Im Geschäftsjahr 2015 stieg der Merck-Umsatz auf deutlich über zwölf Milliarden Euro (2014: 11,4 Milliarden), der operative Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) auf etwa 3,6 Milliarden (2014: 3,4 Milliarden). Das war zumindest der Plan von Merck-Chef Karl-Ludwig Kley, der sein gesamtes Zahlenwerk am 8. März vorlegt.
Ende April geht der 64-Jährige Kley in den Ruhestand, sein Nachfolger Stefan Oschmann steht bereits in den Startlöchern. Kley ist es gelungen, sich mit guten Zahlen zu verabschieden. Ein Makel bleibt allerdings.
Die Bilanz ist zunächst einmal beeindruckend: Unter Kley stieg der Merck-Umsatz seit 2007 von sieben Milliarden auf deutlich über zwölf Milliarden Euro, der Gewinn von 1,8 auf rund 3,6 Milliarden. Kein anderer Vorsitzender der Geschäftsleitung, so der offizielle Cheftitel, hat das fast 350 Jahre alte Unternehmen so sehr verändert wie der frühere Bayer- und Lufthansa-Manager.
Mit Milliardenzukäufen hat er den neuen Geschäftsbereich Life Science geschaffen, der Chemikalien und Analysegeräte für Labors verkauft. Kley hat Dutzende Topmanager ausgewechselt und oft durch ausländische Führungskräfte ersetzt, mächtige Länderfürsten zugunsten der Zentrale entmachtet und einen Abbau von mehr als 1000 Stellen in Deutschland geräuschlos und sozial verträglich durchgezogen. Der Merck-Aktienkurs legte unter Kley um mehr 100 Prozent zu.
Nur im Pharmageschäft ist Kley kein durchschlagender Erfolg gelungen. Seit einem Vierteljahrhundert hat es Merck nicht geschafft, ein selbst entwickeltes, neues Medikament auf den Markt zu bringen. Die Darmstädter zehrten vor allem vom Ruhm zugekaufter Mittel wie dem Multiple Sklerose-Präparat Rebif, das allerdings inzwischen an Umsatz verliert, und dem Krebspräparat Erbitux. Was Eigenentwicklungen angeht, floppte eine Studie nach der anderen. Kleys Nachfolger Oschmann hat als Pharma-Chef bereits die träge Forschung und Entwicklung neu organisiert und international erfahrene Pharma-Manager an Bord geholt.
Ob er damit erfolgreich war, muss sich noch zeigen – die Entwicklung neuer Medikamente dauert schließlich bis zu zehn Jahre. Die Chancen für Erfolg stehen allerdings nicht schlecht: Als eines der ersten Pharma-Unternehmen investiert Merck in die Immunonkologie. Dabei wird das körpereigene Abwehrsystem so aktiviert, dass es selbstständig bösartige Tumore bekämpft. Das dazu von Merck entwickelte Präparat Avelumab sorgt bereits für Fantasie bei Forschern und Aktionären. 850 Millionen Dollar zahlt der weltgrößte Pharmakonzern Pfizer, um Avelumab mit Merck gemeinsam vermarkten zu dürfen – bis zu zwei Milliarden Dollar könnte Merck am Ende erhalten.
Ende vergangenen Jahres sagte die US-Zulassungsbehörde FDA zu, eine erste Anwendung von Avelumab gegen eine Form des Schwarzen Hautkrebses beschleunigt zu prüfen, weil es mutmaßlich einen Therapiedurchbruch bringt; auch die europäische Behörde äußerte sich positiv. 2017 soll das Präparat auf den Markt kommen. Weitere Anwendungen gegen Lungen-, Blasen-, Magen- oder Eierstockkrebs könnten folgen. Von 2017 an, so Oschmann, will Merck nun jedes Jahr ein neues Medikament auf den Markt bringen.
Eine weitere Baustelle, die Oschmann von Kley übernimmt, ist die Integration des US-Laborausrüsters Sigma-Aldrich. Der 17 Milliarden Dollar teure Zukauf, der Ende 2015 von der Europäischen Kommission genehmigt wurde, gilt vielen Aktionären als überteuert. Viele zweifeln an, dass sich die versprochenen Synergien in Höhe von 260 Millionen Euro jährlich realisieren lassen. Oschmann muss nun beweisen, dass sich das Geld gelohnt hat.#
Der noch amtierenden Vorstandschef Kley wird sich das alles bald aus der Ferne ansehen. Er werde auch nicht in den Gesellschafterrat wechseln, der Merck im wesentlichen kontrolliert, auch nicht nach einer Abkühlperiode, hat er der WirtschaftsWoche bereits Ende 2015 verraten. Sein Nachfolger solle freie Hand haben, so Kley. Der umtriebige Manager hat andere Pläne: Kley sitzt bereits seit einigen Wochen im Kontrollgremium des US-Mobilfunkanbieters Verizon, auch bei BMW ist sein Rat gefragt. Gerne würde der Jurist wohl auch an die Spitze des Lufthansa-Aufsichtsrates wechseln – der Fluggesellschaft hat der 64-Jährige vor seiner Zeit bei Merck als Finanzvorstand gedient. Und wenn das alles noch nicht ausreicht, hat Kley immer noch interessante Hobbys – zuhause in Köln wartet eine Sammlung handgefertigter Sumoringer-Plastiken ebenso auf ihn wie eine umfangreiche Bibliothek mit zahlreichen historischen Büchern.