Pharmaindustrie Bei Boehringer Ingelheim knirscht es im Resonanzboden

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Fremdpartikel in den Pillen

Die größten Chemiekonzerne der Welt
Das Mitsubishi Chemical-Werk in Yokohama Quelle: Pressebild
Platz 8: Dupont Quelle: dpa
Platz 7:LyndellBasell Quelle: AP
Screenshot Formosa Plastics Quelle: Screenshot
Platz 4: Exxon Mobil Quelle: Reuters
Platz 6: Sabic Quelle: dpa
Platz 6: Shell Quelle: Reuters

Eher der eigenen Schlampigkeit haben die Boehringer-Manager die harten Auseinandersetzungen mit der amerikanischen Arzneizulassungsbehörde FDA um die Produktionsstätten des Konzerns zu verdanken. US-Kontrolleure hatten bei einer Inspektion in Ingelheim ab November 2012 im Wirkstoff des Boehringer-Bestsellers Spiriva gegen Raucherlunge Fremdpartikel entdeckt. Das Unternehmen habe darauf nicht angemessen und zu spät reagiert, stellten die Prüfer fest – und sandten im Mai 2013 einen blauen Brief („warning letter“) ins Rheintal. Weil Boehringer Medikamente in den USA verkauft, darf die FDA Produktionsstätten auch hierzulande unter die Lupe zu nehmen. Das Warnschreiben schlug bei Boehringer ein wie eine Bombe. Im Extremfall droht ein Exportverbot in die USA, wo das Unternehmen gut ein Drittel seiner Umsätze macht. Produktionschef Wolfram Carius, seit 26 Jahren bei Boehringer, musste daraufhin ohne Angabe von Gründen Knall auf Fall gehen.

"Wir sind auf dem richtigen Weg"

Inzwischen räumt das Unternehmen Versäumnisse offen ein. „Unsere Qualitätssicherungssysteme waren nicht aktualisiert worden“, sagt Produktionschef Wolfgang Baiker gegenüber der WirtschaftsWoche. „Wir haben dabei etwa Verfahren angewandt, die mit den Behörden nicht abgestimmt waren. Früher ist so etwas noch durchgegangen. Die gerade beendete Inspektion hat aber gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“ Zudem betont Boehringer, dass die Gesundheit der Patienten zu keinem Zeitpunkt gefährdet war.

Die größten Probleme bei Boehringer

Doch der Vorfall hat Spuren im Unternehmen hinterlassen. Denn zur Unvorsicht hatte sich offenbar auch eine gewisse Überheblichkeit gesellt. Die erste Antwort von Boehringer gegenüber der FDA sei reichlich pampig und arg selbstbewusst ausgefallen, berichtet eine frühere Führungskraft. Wenige Monaten später musste dann Produktionschef Carius gehen. Inzwischen hat sein Nachfolger Baiker die Zahl der Mitarbeiter in der Qualitätssicherung deutlich aufgestockt, die Stellung des globalen Qualitätsleiters gestärkt und die Dokumentation verbessert.

Angespannte Atmosphäre

Anfang März dieses Jahres waren die FDA-Prüfer wieder da. Boehringer-Mitarbeiter mussten den Kontrolleuren Rede und Antwort stehen. Viele durften über die Fastnachtstage keinen Urlaub nehmen. Während der tollen Tage war die Kostümierung in der Kantine, die in den Vorjahren dazugehörte, strikt untersagt, um die US-Prüfer nicht zu irritieren. Lockerer ist es seitdem bei Boehringer nicht geworden. „Die Stimmung ist sehr angespannt, kaum einer trifft noch Entscheidungen“, berichtet ein Mitarbeiter. Voraussichtlich bis zum Herbst will die Behörde nun entscheiden, ob ihr die getroffenen Maßnahmen ausreichen.

Für die scharfen Kontrollen am Firmensitz trägt Boehringer zumindest eine Mitverantwortung, denn die FDA war wohl ohnehin schon misstrauisch geworden. Qualitätsprobleme in der Produktion traten nicht erst 2012 in Ingelheim auf, sondern schon 2011 in einem Boehringer-Werk in Bedford im US-Bundesstaat Ohio. Dort hatten die Prüfer haarsträubende Hygienemängel entdeckt: Durch ein undichtes Dach aus der Vorkriegszeit regnete es in die Fertigungshalle; ein Behälter mit Urin aus einer defekten Mitarbeitertoilette stand in der Produktionshalle. Im Auftrag anderer Pharmaunternehmen stellte Boehringer in Bedford Krebsmedikamente zum Spritzen her; die Gesundheitsbehörden notierten noch etliche andere Mängel und sahen die notwendige Sterilität nicht mehr gewährleistet.

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