"Großbritanniens Zukunft liegt nicht darin, eine Steueroase zu sein" donnerte der britische Wirtschaftsminister Vince Cable im Unterhaus und drohte dann an, er werde die Motive des US-Pharmariesen Pfizer überprüfen lassen. Der Viagra-Hersteller will seinen britischen Konkurrenten AstraZeneca schlucken - Kritiker meinen, das habe in erster Linie steuerliche Gründe. Der US-Konzern hat bereits zwei milliardenschwere inoffizielle Angebote für seinen britisch-schwedischen Rivalen gemacht, er will AstraZeneca für rund 106 Milliarden Dollar (63 Milliarden Pfund) kaufen.
Die Transaktion wäre die bisher größte Übernahme in der Pharmabranche und der teuerste Kauf eines ausländischen Konzerns auf den britischen Inseln. Bis 26. Mai hat Pfizer aufgrund des britischen Wettbewerbsrechts nun Zeit, eine offizielle Offerte abzugeben. Ist diese Frist verstrichen, muss der US-Multi sechs Monate stillhalten, bevor er erneut angreifen kann. Für Pfizer ist AstraZeneca attraktiv, weil es neuartige Krebsmedikamente entwickelt hat, die Alternativen zu den traditionellen Behandlungsmethoden der Chemo- und Radiotherapie bieten. Seine Mittel für die Krebs-Immuntherapie gelten als vielversprechend. Mindestens ebenso wichtig aber ist für die Amerikaner jedoch die Aussicht, nach einer Übernahme kräftig Steuern sparen zu können.
Die Auslandstöchter des US-Multis Pfizer haben dem Vernehmen nämlich Barreserven in Höhe von 70 Milliarden Dollar angehäuft, auf die bei einer Repatriierung in die die USA hohe Steuern anfallen würden. Während die Körperschaftssteuer in Pfizers Heimatland USA auf Bundesebene 35 Prozent beträgt haben die Briten ihre Unternehmenssteuern in den letzten Jahren stufenweise auf mittlerweile nur noch 21 Prozent gesenkt, nächstes Jahr werden es sogar nur noch 20 Prozent sein.
So dürfte es kein Zufall sein, dass der US-Riese den Firmensitz nach einer erfolgreichen Übernahme von AstraZeneca ins Vereinigte Königreich verlegen will, obwohl das Topmanagement auch künftig in New York bleiben soll. Dafür spricht außerdem noch ein weiteres Steuerbonbon: seit diesem Jahr können Unternehmen in Großbritannien die sogenannte "Patent Box" nutzen - damit werden Gewinne aus Patenten erheblich günstiger versteuert als bisher: die entsprechenden Abgaben werden bis 2017 schrittweise von 23 auf 10 Prozent gesenkt.
Für Pharmakonzerne, die traditionell hohe Ausgaben für Forschung und Entwicklung haben ist das Modell attraktiv. Auch ausländische Unternehmen können davon profitieren, indem sie Patente auf ihre britischen Töchter übertragen und dann Gewinne nach Großbritannien umleiten. US-Multis sind bekanntlich sehr kreativ wenn es darum geht, Steuerschlupflöcher in europäischen Staaten zu nutzen, wie Starbucks, Apple, Google und Amazon in der Vergangenheit bewiesen haben. Vor allem Irland mit seiner Niedrigsteuer von 12,5 Prozent ist dafür ein beliebter Standort.
Befürchteter Stellenabbau in den Bereichen Forschung und Wissenschaft
Neuestes Beispiel dafür bietet der Bananenkonzern Chiquita aus dem US-Bundesstaat North Carolina: nach der Übernahme des irischen Frischfruchtkonzerns Fyffes soll der Firmensitz des kombinierten Konzerns nach Dublin verlegt werden.
Doch für Pfizer ist es noch nicht so weit. Denn vor einer Übernahme von AstraZeneca gilt es noch eine Reihe von Hürden zu nehmen. Widerstand leisten bisher der französische Chef des britischen Konzerns Pascal Soriot und die Aktionäre, vor allem aber ist in Großbritannien eine heftige politische Debatte entbrannt. Zwei Ausschüsse des britischen Unterhauses wollen nun Pfizer-Manager zur geplanten Übernahme befragen und Vertreter von AstraZeneca sollen ebenfalls gehört werden.
Den Politikern geht es in erster Linie um die Arbeitsplätze und um das Risiko, dass in Großbritannien nach einer Übernahme Kapazitäten in Wissenschaft und Forschung flöten gehen könnten. Deshalb wird nun die Frage gestellt, ob strategisch wichtige Branchen nicht durch strengere Gesetze vor Übernahmen durch ausländische Konkurrenten geschützt werden müssen. Die Pharmabranche gilt in Großbritannien als Zukunftsindustrie und gehört zu den wenigen Lichtblicken in einem Land, das kaum mehr über eine eigene verarbeitende Industrie verfügt.
In einem Brief an Premierminister David Cameron hatte Pfizer-CEO Ian Read deshalb versprochen, mindestens 20 Prozent der weltweiten kombinierten Forschungsaktivitäten und "substanzielle" Produktionskapazitäten im Vereinigten Königreich zu konzentrieren - allerdings nur für fünf Jahre. Kein Wunder, dass nun in Großbritannien die Skepsis überwiegt: schließlich hatte auch der US-Lebensmittelriese Kraft 2010 bei der Übernahme des britischen Süßwarenherstellers Cadbury große Versprechen gemacht. Schon wenige Monate später galten sie nicht mehr, die Amerikaner gaben die Schließung einer traditionsreichen Cadbury-Fabrik bekannt. Das stieß den Briten bitter auf und heizte die Debatte über skrupellose Eroberer an.
Und auch mit Pfizer gibt es schlechte Erfahrungen: der Konzern hat erst vor drei Jahren sein Forschungslabour in der britischen Kleinstadt Sandwich dichtgemacht, 1500 Jobs gingen verloren. In Sandwich war das weltberühmte Potenzmittel Viagra entwickelt worden, einst arbeiteten hier 2500 Wissenschaftler, noch heute herrscht dort Verbitterung über den Rückzug der Amerikaner. Deshalb schenkt man den Beteuerungen des Pfizerchefs Read - übrigens ein gebürtiger Schotte - auch keinen Glauben: "Wir wissen doch alle, dass das Bullshit ist", zitierte der "Guardian" den Besitzer eines Cafés in Sandwich, "hier haben sie alles dicht gemacht und nur drei Jahre später heißt es, sie wollten in Großbritannien wieder mehr in die Forschung investieren?
Wie die Politik Pfizer stoppen könnte
Schließlich hatte Pfizer hier eine der besten Forschungsstätten der Welt." In Großbritannien wird in einem Jahr gewählt, so steht auch Premierminister Cameron, eigentlich kein Freund einer interventionistischen Industriepolitik, unter Druck, dem New Yorker Pharmakonzern bei der geplanten Übernahme des britischen Konkurrenten Garantien für Arbeitsplätze, Forschungsstandorte und Patente abzuringen. Minister seiner Regierung würden das Fusionsvorhaben bewerten erklärte er.
Die bisherigen Zusagen zum Erhalt von Arbeitsplätzen und Standorten seien zwar ermutigend, "aber lassen Sie mich es unmissverständlich sagen: Ich bin nicht zufrieden. Ich will mehr." Das sind erstaunliche Töne. Denn die Briten sind eigentlich stolz auf ihre liberalen Traditionen in der Wirtschaftspolitik, Protektionismus bei Firmenübernahmen lehnen sie eigentlich ab. Anders als in Frankreich hält sich die britische Regierung deshalb traditionell aus Übernahmeschlachten heraus, sie will vor allem ausländische Investitionen auf die Insel holen und so Arbeitsplätze schaffen. Schon jetzt ist die gesamte Autoindustrie in ausländischer Hand, ausländische Investoren wie BMW haben die einst kränkelnden Unternehmen zu neuer Blüte geführt.
Pfizer und Novartis: Pharmabranche jongliert mit Milliarden
Aufgrund der EU-Bestimmungen können Regierungen Übernahmen nur aus wettbewerbsrechtlichen Gründen verhindern und falls Gefahr für die nationale Sicherheit, für die finanzielle Stabilität oder die Pluralität der Medien des Landes besteht. Keines dieser letzten drei Kriterien greift im Fall Pfizer. Eine von Wirtschaftsminister Cable nach der Cadbury-Saga angestoßene Verschärfung des Übernahmerechts, der zufolge Investoren gezwungen worden wären im Falle einer feindlichen Übernahme ihre Pläne detailliert offen zu legen und diese auch einzuhalten, ist gescheitert.
Allerdings gibt es für die Politiker doch noch einen - wenn auch indirekten Hebel, auf den Kauf von AstraZeneca Einfluss zu nehmen: das staatliche Gesundheitssystem NHS ist der Großkunde der Pharmaindustrie. Sollte sich der Widerstand in der 10 Downing Street also noch verstärken, dürfte Pfizer es sich doch noch überlegen ob es bis zum 26. Mai gegen den Willen der Politik und des AstraZeneca-Managements eine feindliche Übernahme startetet und sich dabei direkt an die Aktionäre des schwedisch-britischen Konzerns wendet.
Für die zählt letztlich nur das Geld: Ein Londoner Fondsmanager machte bereits klar, was ihm nicht passt: "Was uns derzeit noch wirklich an dem Angebot stört, ist die niedrige Barkomponente" erzählte er einer Londoner Zeitung.
AstraZeneca ging 1999 selbst aus der Fusion eines schwedischen und eines britischen Unternehmens hervor und ist heute nach GlaxoSmithKline (GSK) Großbritanniens zweitgrößter Pharmakonzern. 2013 machte der Konzern einen Umsatz von knapp 26 Milliarden Dollar, verspricht aber, 2023 dürften es 45 Milliarden Dollar werden. Auf der Insel beschäftigt die Firma heute 6700 Menschen.