Pharmakonzern Novartis will 2022 weiter wachsen – und könnte seine Generikaaktivitäten abstoßen

Das kommende Jahr ist wichtig für die Zukunft des Pharmakonzerns. Investoren hoffen auf einen Verkauf der Generika-Tochter Sandoz. Noch ist aber nichts entschieden.

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Der CEO beglückte zuletzt die Anleger des Schweizer Pharmakonzerns. Quelle: Reuters

Mit einem 15-Milliarden-Dollar-Weihnachtsgeschenk hat Novartis-Konzernchef Vasant Narasimhan im Dezember eine Charme-Offensive bei den Anlegern des Schweizer Pharmakonzerns gestartet. Mit dem Aktienrückkauf nutzt der Amerikaner die Gelegenheit, die Gunst der von überteuerten Übernahmen und Medikamenten-Fehlschlägen enttäuschten Investoren wiederzugewinnen und den Ton zu setzen für das Schlüsseljahr 2022: Dann entscheidet Novartis, was mit der Generika-Tochter Sandoz passieren soll.

Investoren hoffen, dass der Erlös aus einem möglichen Verkauf – dem wahrscheinlich größten in der Firmengeschichte – in neue Medikamente oder Technologien investiert werden, um dem Wachstum auf die Sprünge zu helfen. Hier sehen sie Nachholbedarf, doch das kann teuer werden.

Die Ankündigung des Aktienrückkaufs ließ den Kurs der Novartis-Aktie fast sechs Prozent nach oben schnellen. Doch blickt man weiter zurück, sieht es weniger rosig aus: Seit dem Anritt von Narasimhan Anfang Februar 2018 ist die Aktie kaum von der Stelle gekommen. In derselben Zeit hat Erzrivale Roche rund 70 Prozent an Wert gewonnen und der Index der europäischen Gesundheitswerte ist um fast die Hälfte gestiegen.

„Das Problem bei Novartis ist die Pipeline“, erklärt Vontobel-Analyst Stefan Schneider. Die Medikamentenkandidaten in der Entwicklung böten keine überzeugenden Wachstumsaussichten. Zwar sei die Pipeline schon vor dem Amtsantritt Narasimhans ausgedünnt gewesen, aber mit seinen Zukäufen um sie aufzubessern – fünf davon recht groß –, habe er kein glückliches Händchen bewiesen. „Die waren allesamt teuer“, erklärt Schneider. „Und vier von den fünf Deals haben sich nicht wie erwartet entwickelt. Das war einfach zu viel.“ Irgendwann hätten die Investoren die Geduld verloren. Auch die Analysten der UBS kamen zum Schluss, dass die meisten Projekte in der spätklinischen Entwicklung „wenig aufregend sind oder wahrscheinlich scheitern werden.“

In den vergangenen Monaten reifte dann in dem von Star-Architekten gebauten Hauptsitz-Campus an Rheinknie offenbar die Überzeugung, dass ein Befreiungsschlag notwendig ist. Novartis klopfte beim Nachbarn Roche an und vereinbarte den Verkauf des rund 21 Milliarden Dollar schweren Roche-Aktienpakets, das die Grundlage des Geldsegen für die eigenen Aktionäre lieferte. Doch Novartis hat einen weiteren, potenziell noch größeren Pfeil im Köcher: Die Generika-Tochter Sandoz.

Sandoz-Verkauf könnte bis zu 40 Milliarden bringen

Im Oktober in die Auslage gestellt lautet die offizielle Sprachregelung: Alle Optionen liegen auf dem Tisch. Doch kaum ein Experte bezweifelt, dass Novartis das Geschäft mit Nachahmermedikamenten und Biosimilars abstoßen wird. Ob über einen Börsengang – ähnlich wie 2019 mit der Augenheil-Tochter Alcon – oder einen Verkauf, hängt einem Banker zufolge in erster Linie vom Preis ab, auch wenn die höhere Transaktionssicherheit eher für einen Verkauf spreche. „Jede große Private-Equity-Gesellschaft wird sich das anschauen“, sagt ein Fondsmanager.

Einem Medienbericht zufolge sollen etwa der Finanzinvestor EQT und die deutsche Investorenfamilie Strüngmann ein gemeinsames Gebot erwägen. Schlussendlich könnten etwa vier Konsortien bestehend aus mehreren Investoren Angebote einreichen, schätzt der Fondsmanager, der nicht namentlich genannt werden wollte. Während Analysten den Wert von Sandoz auf 20 Milliarden Dollar oder mehr veranschlagen, hält er auch ein Preisschild von 40 Milliarden Dollar für möglich.

Sollte Novartis Sandoz verkaufen, würde der Konzern über eine prall gefüllt Kasse verfügen. Bis zu 70 Milliarden Dollar könnte Novartis dann aufbringen, schätzen Analysten. Das wissen auch die Banken, die lukrative Mandate wittern. „Jede Bank, jeder Berater geht jetzt auf Novartis zu und macht Vorschläge,“ sagte ein Investmentbanker. „Sie zeigen ihnen die ganze Weinkarte, von den günstigen bis zu den ganz teuren Tropfen.“

Auf der Liste der möglichen Übernahmeziele dürften Dutzende von Firmen stehen, erklärte er. Novartis-Chef Narasimhan stapelt tief. Großübernahmen seien nicht das Ziel, im Zentrum stünden wie bereits bislang ergänzende Zukäufe, sagte er in einem Interview mit „Finanz und Wirtschaft“. Er wolle bei den bestehenden Therapiegebieten Krebsbehandlungen, Herz-Kreislauf-Medikamente, Immunologie, Neurologie und Hämatologie zukaufen.

Dennoch muss das Unternehmen wegen der hohen Bewertungen in der Branche wohl tief in die Tasche greifen, wenn es das Wachstum ankurbeln will. Firmen mit einer Technologie-Plattform etwa im zukunftsträchtigen RNA- oder Gentherapiebereich oder mit einer vielversprechenden, noch in der Entwicklung steckenden Arznei, dürften etwa zwischen fünf und 15 Milliarden Dollar kosten, schätzen Branchenexperten. Unternehmen mit bereits namhaften Umsätzen kämen noch deutlich teurer.

Einer Umfrage der japanischen Bank Mizuho bei über 100 Großanlegern zufolge fanden Horizon Therapeutics, Alnylam und Cytokinetics den größten Anklang als mögliche Zukäufe für Novartis. Genannt wurden aber auch Vertex Pharmaceuticals oder Argenx. Diese Firmen sind an der Börse - Cytokinetics ausgenommen – zwischen 16 und 54 Milliarden Dollar wert. Und eine Übernahme dürfte rund 40 Prozent Prämie Aufschlag bedingen.

Noch größere Sprünge, beispielsweise der Kauf der britischen Astrazeneca oder der französischen Sanofi, gelten als unwahrscheinlich. Dafür müsste Novartis neben dem Sandoz-Erlös, den Erträgen aus dem bestehenden Geschäft und neuen Schulden von bis zu 30 Milliarden Dollar wohl auch eine große Kapitalerhöhung durchführen.

Dazu würde der Kraftakt der Umsetzung kommen. „Der Markt ist skeptisch, ob Novartis mit dem gegenwärtigen Management in der Lage ist, einen großen Zukauf zu integrieren“, sagt der Fondsmanager. In eine ähnliche Kerbe schlägt ZKB-Analyst Laurent Flamme: Novartis habe den Aktienrückkauf früher als erwartet angekündigt, um Sorgen der Anlegern zu zerstreuen, der Konzern könnte die Mittel für einen großen Zukauf verwenden. „Die Mitteilung, es stehe keine große Akquisition an, reichte wohl nicht.“

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