Das Verbot von Einweggeschirr und Trinkhalmen sowie vielerorts auftauchende, verpackungsfreie Läden erwecken den Eindruck, dass es im Kampf gegen Plastikmüll vorangeht. Immerhin nutzten die Deutschen ja im vergangenen Jahr nur noch 24 Plastiktüten pro Kopf. Vor drei Jahren waren es mit 45 Tüten doch noch deutlich mehr.
Im Plastikatlas 2019, den die Heinrich Böll Stiftung gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) herausgegeben hat, finden Leser allerdings immer noch Wörter wie „Plastikkrise“ und „Plastikflut“. Das Problem mit dem äußerst langlebigen Kunststoff, der sich mittlerweile im Boden, in den Meeren und der Luft widerfindet, ist der Studie nach alles andere als gelöst. Mehr als 400 Millionen Tonnen Kunststoff werden demnach pro Jahr weltweit hergestellt, seit Beginn der Produktion Mitte des 20. Jahrhunderts waren es insgesamt 8,3 Mrd. Tonnen.
Für ein wenig Optimismus war dann allerdings doch noch Platz: Denn eine Lösung ist zumindest eine Vision, „für die es sich lohnt zu streiten“, heißt es im Plastikatlas. Dabei gehe es laut den Studienautoren nicht in erster Linie darum, Verbrauchern Alternativen zur Plastikverpackung zu zeigen und sie langfristig davon komplett freizumachen. Vielmehr müsse die Politik die „Plastik-Lobby“ in die Verantwortung nehmen. Teil dieser Lobby, die international agierende Produzenten oder Verarbeiter von Plastik vereint, sind auch deutsche Unternehmen wie BASF oder Lanxess. Auch wenn sie sich kooperativ und umweltbewusst geben, werden sie die Forderungen der Umweltschützer kaum beeindrucken. Das könne nur der Politik gelingen.
„Gravierende gesundheitliche und ökologische Probleme“
Der Plastikatlas befasst sich nicht nur mit dem allgegenwärtigen Plastikmüll: „Von der Herstellung bis zu der Entsorgung von Plastik entstehen gravierende gesundheitliche und ökologische Probleme“, sagt Barbara Umüßig im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Sie ist seit 2002 Vorstand der Heinrich Böll Stiftung. Welche Probleme das seien? „In der Plastikherstellung werden gigantische Emissionen freigesetzt, das heizt das Klima an.“ Außerdem würden giftige Zusatzstoffe eingesetzt, die bei der Entsorgung durch Verbrennung oder Deponierung wieder freigesetzt würden, erklärt Umüßig. Und: „Die Verwendung von Kunststoffprodukten kann darüber hinaus für gesundheitliche Schäden sorgen.“
Für all diese Probleme gibt es laut Plastikatlas eine „Hauptursache“: Die „Plastik-Lobby“. Neben den deutschen Vertretern BASF und Lanxess erheben Heinrich Böll Stiftung und BUND Vorwürfe gegen Ineos, das auch mehrere Werke in Deutschland betreibt, die Mineralölkonzerne ExxonMobil und Eni oder auch den saudi-arabischen Chemiekonzern SABIC. Diese Unternehmen „organisieren Lobbyisten, die Einfluss darauf nehmen, dass die Primärquellen für die Kunststoffproduktion, nämlich Erdöl und Erdgas, nicht besteuert werden“, sagt Barbara Unmüßig. Ineos sei das bereits in Großbritannien gelungen, wo eine Abgabe auf fossile Energien verhindert wurde. „Außerdem wirbt die petrochemische Industrie sehr stark dafür, dass europaweit neue Standorte aufgebaut und bestehende ausgebaut werden.“
Tatsächlich plant Ineos derzeit ein Mega-Projekt im belgischen Antwerpen, wo der bisherige Standort für drei Milliarden Dollar ausgebaut werden soll. Verwunderlich ist das nicht, immerhin ist die Herstellung und Verarbeitung von Kunststoff für die Unternehmen ein Riesengeschäft. BASF setzte im Unternehmensbereich Performance Materials, der das Geschäft mit Kunststoffen bündelt, 2018 rund 7,7 Milliarden Euro um.
Was sagen die deutschen Konzerne?
Doch damit offenbar nicht genug: BASF teilte auf Anfrage der WirtschaftsWoche mit, global einen „steigenden Bedarf an Kunststoffen“ zu sehen. Allerdings zum guten Zweck – zumindest klingt das bei dem Ludwigshafener Unternehmen so: Der Bedarf steige, „um die Ernährung und die Trinkwasserversorgung einer wachsenden Weltbevölkerung sicherzustellen, Energie einzusparen und die medizinische Versorgung zu verbessern“.
Der DAX-Konzern spricht einvernehmlich ebenfalls von einem „Plastikproblem“. Dieses sei aber zu komplex, „als dass es einen Königsweg für dessen Lösung gibt“. Barbara Unmüßig von der Heinrich Böll Stiftung zeigt zumindest Maßnahmen auf, die Teil eines Lösungsweges sein könnten: Neben einem Aufstockungsstopp bei bestehenden und neuen Standorten, „müssen wir sicherstellen, dass natur- und gesundheitsschädigende Zusatzstoffe in Kunststoffen durch Recycling nicht einfach weitergegeben werden und am Ende bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern landen“. Wir würden nämlich erleben, dass es keine Transparenz darüber gebe, welche Stoffe in einem Rezyklat enthalten seien, sagt Unmüßig.
Zentralen Handlungsbedarf sehen BUND und Heinrich Böll Stiftung allerdings an anderer Stelle: „BASF zum Beispiel profitiert von den viel zu billigen Erdgas- und Erdölpreisen“, erklärt Unmüßig. Denn Erdöl und Erdgas sind Ausgangsstoffe für die Herstellung von Kunststoff. Hier müsse laut Unmüßig die Politik ansetzen und beides durch Besteuerung deutlich verteuern.
Klima als Top-Thema
Womöglich rückt dieser Wunsch demnächst näher: Denn in Zeiten von Wahlen wie der zum Europäischen Parlament Ende Mai, die maßgeblich im Zeichen des Klimas stand, dürfte auch Plastik wieder mehr Aufmerksamkeit zukommen. Nicht zuletzt sorgten dafür die Fridays-for-Future-Demonstrationen. „Ich fühle mich beflügelt dadurch, dass die Mobilisierung für mehr Klimaschutz wieder auf der Straße stattfindet“, sagt auch Barbara Unmüßig. „Doch die Politik reagiert darauf noch nicht wirklich, vielmehr bekommen wir nur Tippelschritte präsentiert.“





Und es müssen statt Tippelschritten gar Sprünge werden, damit sich die produzierenden und verarbeitenden Kunststoffunternehmen beindrucken lassen. Vom Plastikatlas tut Lanxess das ohnehin nicht und tritt ihm entgegen: „Unsere Erfahrungen im Dialog mit NGOs und erst recht mit wissenschaftlichen Einrichtungen zeigen ein anderes Bild“, teilte ein Sprecher des Unternehmens auf Anfrage der WirtschaftsWoche mit. Diese würden „in aller Regel den bedeutenden Unterschied zwischen unseren Hochleistungs-Kunststoffen mit hohem Produktnutzen und langer Lebenszeit und minderwertigeren Verpackungskunststoffen mit tendenziell geringerem Produktnutzen und kürzerer Lebenszeit“ sehen.
Denn eben diese Hightech-Produkte stellen Lanxess und BASF mittlerweile größtenteils her. Dass sich bei Hightech-Produkten auch die Frage nach einer verbesserten Recyclingfähigkeit stelle, merkt Lanxess einsichtig an. Und BASF verweist auf Initiativen zur Vermeidung von Plastikmüll und zur Kreislaufwirtschaft, in denen sich das Unternehmen engagiere.
Die beiden Unternehmen sprechen sich zudem dafür aus, auf globaler Ebene Lösungen zu finden. Diese sollen laut Lanxess allerdings auch von Verpackungsherstellern, Recyclern oder Rohstofflieferanten mitgetragen werden. Das mag ein richtiger Weg sein. Doch da Kunststoffhersteller und Verarbeiter in der Wertschöpfungskette nun mal besonders weit vorne stehen, können gerade sie bereits einen großen Beitrag leisten. Ebenso wie die Politik.