Ohne ihn ist nichts wie vorher: Am 3. Juni des vergangenen Jahres verstarb Horst Brandstätter, der Alleininhaber des Playmobil-Produzenten Geobra Brandstätter. Zu diesem Zeitpunkt war er mehr als 60 Jahre in dem Unternehmen tätig, dessen Führung er von seinem Onkel übernahm.
Mit Brandstätters Ableben begannen die Probleme für den Kunststoffverarbeiter: Zuerst schied Judith Weingart nach 25 Jahren im Unternehmen aus. Die Vertraute Brandstätters war erst 2015 in die Geschäftsführung berufen worden. Der Abschied soll kühl ausgefallen sein. Wie aus Unternehmenskreisen verlautete, waren inhaltliche Differenzen bei der strategischen Ausrichtung der Gruppe der Grund für ihren Abgang.
Hinzu kam schlechte Presse, die der Produzent der 7,5 Zentimeter großen Grinsemännchen so nicht gewöhnt war: Die Süddeutsche Zeitung attestierte der Brandstätter-Gruppe im Februar dieses Jahres ein „massives Führungsproblem“ , BR.de berichtete ausführlich über die Querelen mit der Arbeitnehmervertretung IG Metall.
Die Geschichte von Playmobil
Beck, ein Möbeltischler, den Horst Brandstätter ins Unternehmen seines Onkels geholt hat, beginnt mit der Entwicklung eines System-Spielzeugs.
Geobra Brandstätter meldet das Patent für die 7,5 Zentimeter große Playmobil-Figur an.
Geobra Brandstätter präsentiert die Figur auf der Spielwarenmesse in Nürnberg. Die Resonanz ist verhalten.
Erste weibliche Playmobil-Figuren erscheinen.
Die Figuren erhalten erstmals bewegliche, hautfarbene Hände. Zuvor waren diese fixiert und hatten die gleiche Farbe wie der Rest des Torsos.
Ende der Achtziger werden die Figuren personalisiert: Sie erhalten neue Körperformen und Kleidungsstücke wie Schuhe, Westen und Röcke. Von nun an sind die Figuren wandelbar.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth stellt fest, dass Playmobil-Figuren als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sind.
In Zirndorf wird ein eigener Playmobil-Freizeitpark eröffnet.
Die Playmobil-Figuren werden 30.
Erstmals tragen Figuren Badekleidung.
In den Geschäften findet sich zum ersten Mal eine schwangere Playmobil-Frau.
Am 3. Juni erlag der Alleininhaber Horst Brandstätter einem Krebsleiden. Er wurde 81 Jahre alt.
2,9 Milliarden Playmobil-Figuren bevölkern aktuell mehr als 100 Länder.
Hinzu kommt der Kampf um den Platz in den Spielzeugkisten der Republik mit Lego, dem ewigen Rivalen aus Dänemark. Auch auf die zunehmende Digitalisierung der Spielewelt muss eine Antwort gefunden werden. Wie also ist es um den Playmobil-Produzenten bestellt? Die wichtigsten Aspekte im Überblick.
Der wirtschaftliche Stand
Bei all den Negativschlagzeilen in jüngster Zeit gerät außer Acht, dass es wirtschaftlich durchaus gut läuft in Zirndorf – auch nach dem Ableben Brandstätters. Im vergangenen Jahr setzte Geobra Brandstätter nach eigenen Angaben 616 Millionen Euro um, 558 davon entfielen allein auf Playmobil. Das entspricht einem Wachstum von vier Prozent gegenüber dem Vorjahr im Geschäft mit den Plastikmännchen – ein neuer Umsatzrekord.
Lechuza, eine Premiummarke für Pflanzgefäße, die Brandstätter 2000 auf den Weg brachte, um nicht nur von Playmobil abhängig zu sein, sorgte für den Rest des Umsatzes. Zum Gewinn macht das Unternehmen keine genauen Angaben, versichert aber: Es ist profitabel.
Und die Zeichen stehen weiter auf Wachstum: „Wir rechnen mit einer steigenden Nachfrage, vor allem im Auslandsmarkt“, sagt ein Unternehmenssprecher. 71 Prozent des Umsatzes macht Geobra Brandstätter dort bereits. Die 2,9 Milliarden Playmobil-Figuren, die die Welt bevölkern, finden sich heute in mehr als 100 Ländern.
Die Marke Playmobil
Trotz aller internen Probleme – die Marke Playmobil hat von ihrer Strahlkraft nichts eingebüßt. „Playmobil verfügt über einen hohen Bekanntheitsgrad in Deutschland und weltweit“, sagt Stefan Bures, CEO und Mitbegründer des Marktforschers metoda. Er lobt die hohe Produktqualität, für die Playmobil steht, und verweist darauf, dass die Marke bei der heutigen Elterngeneration nach wie vor positive Kindheitserinnerungen auslöse.
Die zehn vertrauenswürdigsten Spielzeugmarken der Deutschen im Jahr 2014
Unternehmen: Disney
Vertrauen: 32 Prozent
Quelle: GPRA
Unternehmen: Revell
Vertrauen: 35 Prozent
Unternehmen: Barbie
Vertrauen: 49 Prozent
Unternehmen: Fisher-Price
Vertrauen: 60 Prozent
Unternehmen: Carrera
Vertrauen: 68 Prozent
Unternehmen: Playmobil
Vertrauen: 74 Prozent
Unternehmen: Ravensburger
Vertrauen: 78 Prozent
Unternehmen: Märklin
Vertrauen: 81 Prozent
Unternehmen: Steiff
Vertrauen: 82 Prozent
Unternehmen: Lego
Vertrauen: 85 Prozent
Auch im Vergleich zu Lego, das mit Playmobil oft im gleichen Atemzug genannt wird und den Spielzeugmarkt dominiert, muss sich Playmobil nicht verstecken. Sacha Szabo, Spielsoziologe und Mitautor des Buchs „Playmobil durchleuchtet“, weiß, wo der Erfolg der kleinen Plastikmännchen herrührt: „Im Zentrum von Playmobil steht eine stilisierte menschliche Figur, während bei Lego das Bauen und die Technik im Mittelpunkt stehen.“ Das mache Playmobil für Kinder besonders attraktiv, weil sie so ihre Umwelt nachspielen können und das, was sie im Alltag erleben.
Ein großer Vorteil gegenüber Lego ist laut Szabo die strukturelle Offenheit, die den Mythos Playmobil begründete. „Die Figuren waren anfänglich noch universell einsetzbar – mit einem Handgriff konnte aus einem Bauarbeiter ein König werden – eine phantastische Utopie.“ Auch wenn die Figuren sich in Ende der Achtziger individualisierten, die Playmobil-Welt setzt der kindlichen Phantasie weiter wenig Grenzen.
Lernen von Lego
Dass Geobra Brandstätter durchaus bereit ist vom dänischen Klötzchenbauer abzukupfern, zeigt sich anhand des Films, den Playmobil für 2019 angekündigt hat.
„Lego the movie“ erschien 2014 und war ein Vermarktungs-Coup der seinesgleichen sucht. In Kooperation mit Warner Bros. produzierte Lego den Film – wie viel von dem an Lego ging, was an den Kinokassen eingespielt wurde, ist nicht bekannt. Fest steht aber: Die Dänen setzten nach dem Kinostart massenhaft Lego-Sets zum Film ab und erhielten eine deutliche Image-Aufwertung. Einen ähnlichen Schub erhofft sich Playmobil.
„Der Lego-Film belebte und erneuerte die Marke“, sagt Szabo. „Es wäre aus Unternehmenssicht fatal, die Augen vor dessen Erfolg zu verschließen.“
Der Film ist nur eine Reaktion, um die Plastikfiguren in die immer digitaler werdende Spielewelt zu tragen. Playmobil versucht das auch mit Apps, Online-Spielen und Youtube-Videos.
Trotz der zunehmenden Digitalisierung des Kinderzimmers ist Szabo sicher: „Das haptische Spiel bleibt als Komplementärerlebnis weiterhin attraktiv und notwendig.“ Davon wird auch Playmobil weiter profitieren.
Playmobil hat mehr Potenzial
Markenexperten sehen trotz des Umsatzrekords weiter Wachstumschancen für Geobra Brandstätter. So sagt metoda-CEO Bures: „Playmobil stünde eine attraktive Lizenzstrategie ähnlich der von Lego gut zu Gesicht.“ Aus seiner Sicht lassen die Zirndorfer aktuell ein erhebliches Umsatzpotenzial sowie die Chance auf höhere Verkaufszahlen leichtfertig ungenutzt.
„Lego ist mit seinen Lizenzthemen – etwa den Star-Wars-Sets – regelmäßig unter den Spielzeug-Topsellern auf Amazon.de“, sagt Bures. Außerdem erlöst Lego höhere Durchschnittspreise und mehr Umsatz, wie eine Analyse des Weihnachtsgeschäfts 2015, durchgeführt von metoda, zeigt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Junge Star-Wars-Fans sind für Playmobil kaum zu erreichen. „Am Ende dürfte die Rechnung für Lego aufgehen, auch wenn die Lizenzkosten nicht bekannt sind“, sagt Bures.
Playmobil setzt primär auf eigene Spielewelten, doch mittlerweile hat das Unternehmen den Wert solcher Kooperationen erkannt. „Das Lizenzgeschäft ist ein zunehmend wichtiger Teil unserer Vertriebsstrategie“, heißt es von Unternehmensseite. So gibt es mittlerweile den Porsche 911 Targa 4s als Playmobilmodell. „Weitere Lizenzprodukte sind bereits in Planung.“
Lego erwirtschaftet mit Lizenzprodukten – von Harry Potter über Spiderman hin zu Star Wars – mindestens ein Drittel seines Umsatzes. Trotz des verstärkten Fokus auf solche Kooperationen, das Ausmaß des Lizenzhandels von Lego wird Playmobil wohl vorerst nicht erreichen. Brandstätter hatte schon 2013 erklärt: „Einerseits sind solche Lizenzen teuer, andererseits überlebe sich solches Spielzeug schnell.“
Ob er mit seiner Einschätzung richtig lag, darf in Anbetracht der Lego-Erfolge angezweifelt werden. Für Szabo ist das Setzen auf eigene Themenwelten allerdings ein wertvolles Alleinstellungsmerkmal: „Eine geschlossene Welt, wie sie durch die Lizenzpolitik von Lego entsteht, erzeugt ein anderes Spielen.“ Es sei mehr eine Art Rollenspiel. Playmobil beflügle die Phantasie des Kindes in stärkerer Weise.
Das vermeintliche Führungsproblem
Ein Jahr nach dem Tod von Horst Brandstätter hat Geobra Brandstätter „einen umfassenden Führungswechsel vollzogen“ und die Geschäftsführung „personell und strategisch neu aufgestellt“, wie ein Unternehmenssprecher sagt.
Den Patriarch alter Schule, der seine Mitarbeiter mit strenger aber stets fairer Hand führte und seit mehr als 60 Jahren im Unternehmen war, vermochte Geobra Brandstätter aber nicht zu ersetzen.
„Was das Unternehmen gerade durchmacht, ist eine Krise, die viele inhabergeführte Unternehmen nach dem Tod des Patriarchen durchleiden“, sagt Spielsoziologe Szabo. Schon vor seinem Tod hatte sich Brandstätter um eine Unternehmensform bemüht, die das Überleben von Playmobil sichern sollte. Das deutete er 2011 in einem Interview mit Focus Money an.
Wie die Deutschen am liebsten spielen
Spielekonsolen gehören zu den großen Wachstumstreibern in der Spielebranche, doch der PC hat einer aktuellen Studie zufolge noch immer die Nase vorn. Über die Hälfte (55 Prozent) der Gamer in Deutschland nutzen den Personal Computer regelmäßig zum Spielen, ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov.
Den Laptop gaben 42 Prozent als bevorzugte Spieleplattform an.
39 Prozent der Befragten sagten, dass sie ihr Smartphone regelmäßig zum Spielen nutzen.
Konsolen wie die Xbox von Microsoft, die Playstation von Sony oder Nintendos Wii favorisiert nur ein Viertel der Befragten.
Auf die Frage, ob sein jüngerer Sohn, der jahrelang im Konzern tätig war, die Führung übernehmen werde, antwortete Brandstätter: „Interesse hat er. Aber er ist eigenwillig und würde einiges ändern, was ich im Management mit Mühe etabliert habe.“ Deswegen hatte er seine Firma in eine Stiftung eingebracht, die ihm als Eigentümer nachfolgen sollte. Anstelle des Alleineigentümers traten nach seinem Tod drei gleichberechtigte Vorstände, die wiederum von der Geobra Brandstätter Stiftung & Co.KG kontrolliert werden.
Das Modell ist umstritten. Die IG Metall spricht von „Schwierigkeiten mit der Führungskonstruktion“. Christian Baeder, bei der IG Metall aktuell zuständig für Geobra Brandstätter, sagt: „Vielen Mitarbeitern fehlen klare Entscheidungen, ihnen ist nicht ersichtlich, wohin es mit dem Unternehmen gehen soll.“ Außerdem sei unklar, wer der drei Vorstände für welche Unternehmensbereiche die Verantwortung trage.
Geobra Brandstätter will sich im Detail nicht zu dem vermeintlichen Führungsproblem äußern – genauso wenig wie zu den Querelen mit der IG Metall. Angesprochen auf die Vorwürfe antwortet ein Unternehmenssprecher: „Leider müssen wir feststellen, dass unserem Unternehmen von IG Metall-Seite offensiv eine arbeitnehmerfeindliche Kultur unterstellt wird, zu der Behinderung von Betriebsratswahlen gehören soll. Diese Vorwürfe weisen wir auf das Schärfste zurück.“
Weiter könne man keine Stellung beziehen, „weil dies als Einflussnahme auf die im Juni stattfindenden Betriebsratswahlen ausgelegt wird.“ Die wiederum sorgen seit Monaten für große Unruhe in Zirndorf – der Streit zwischen Arbeitergeber und IG Metall ging soweit, dass das Bundesarbeitsgericht in Erfurt eingeschaltet wurde.
Die Betriebsratswahl bei Geobra Brandstätter
Das Gericht entschied, dass die Wahl des Betriebsrats 2014 ungültig war. Geklagt hatte die IG Metall, die dem damals gewählten Betriebsrat vorhielt, „ein verlängerter Arm der Geschäftsführung“ zu sein und nicht die „Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten“, so IG-Metaller Baeder. Das Kuriose: Der damalige Betriebsratsvorsitzende ist IG-Metall-Mitglied – verweigerte laut dem Arbeitnehmerverband aber die Zusammenarbeit.
Deswegen stellte die IG Metall für die Betriebsratswahl 2014 eine neue eigene Kandidatenliste auf, die allerdings nicht zugelassen wurde. Aus Sicht der IG Metall habe das Bundesarbeitsgericht deswegen die Wahl von 2014 für nichtig erklärt. Playmobil hält dagegen: Die Wahl wurde für nichtig erklärt, weil die Frist zum Einreichen der Vorschlagsliste zu kurz gewesen sei.
Im Zuge des Streits um die Betriebswahl entbrach eine Schlammschlacht: Die IG Metall warf der Unternehmensführung vor, Druck auf die Mitarbeiter ausgeübt zu haben. So drohte Geobra Brandstätter angeblich 2014 Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu streichen, sollte die IG Metall gewählt werden. „Das war als Gerücht im Umlauf“, sagt IG-Metaller Baeder. „Ich kann nicht sagen, ob das gezielt von oben gestreut wurde oder ob das von einzelnen Vorgesetzten ausging.“
Der Unternehmenssprecher nennt das Ganze indes einen „konstruierten Vorwurf“. Laut der Geschäftsführung habe es 2014 weder Kürzungen gegeben noch Drohungen in diese Richtung. „Wir weisen einen solchen Vorwurf in aller Deutlichkeit zurück.“ Weiter sagt der Unternehmenssprecher: „Das hat mit Interessenpolitik der IG Metall zu tun, weniger mit Interessen auf Mitarbeiterseite.“
Als die Geschäftsführung damals von dem Vorwurf erfuhr, habe sie versucht, die Dinge klarzustellen und den Mitarbeitern über einen Aushang versichert, es ändere sich nichts an Zusatzzahlungen – egal wer in den Betriebsrat gewählt werde. Das Unternehmen betont: „Betriebliche Mitbestimmung bei Geobra Brandstätter funktioniert.“
Weiteren Zündstoff brachte im Mai dieses Jahres der Beitritt Geobra Brandstätters in den Verband der Kunststoff verarbeitenden Industrie in Bayern (KVI). Der Arbeitgeberverband schließt Tarifverträge mit der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) ab, die wie die IG Metall unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbunds sitzt. Für die IG Metall gibt es also Konkurrenz beim Werben um die Gunst der Mitarbeiter.
Am 18. Mai dieses Jahres setzten sich Unternehmensvertreter mit den Bezirksleitern von IG Metall und IG BCE zusammen. „Das war der erste Schritt für eine gescheite Zusammenarbeit“, sagt Baeder. „Es gibt zwar immer noch unterschiedliche Interessen, aber wir versuchen, an einem Strang zu ziehen.“ Seit dem Gespräch sei es „ruhiger“ geworden im Unternehmen.
Zwischen dem 27. und dem 30. Juni wird nun ein neuer Betriebsrat gewählt. Vielleicht geht es danach im Betrieb wieder hauptsächlich um die 7,5 Zentimeter großen Grinsemännchen aus Plastik.
Spielsoziologe Szabo zeigt sich zuversichtlich: „Bislang ging Playmobil aus jeder Krise gestärkt hervor.“ In den siebziger Jahren war die Lancierung von Playmobil die Reaktion auf die Ölkrise, die die bisherigen Produkte der Geobra-Gruppe unrentabel werden ließ. In den Achtzigern reagierte das Unternehmen mit der Individualisierung der Themenwelten und der Figuren darauf, dass die Spielkisten der Kinder voller Playmobil-Figuren waren. „Geobra Brandstätter hat unter Beweis gestellt, dass es sich an eine veränderte Umwelt anpassen kann.“
Das ist nun, ein Jahr nach Brandstätters Tod, einmal mehr nötig.