Politik erhöht Druck vor Diesel-Gipfel Autohersteller sollen „verdammte Verantwortung“ übernehmen

Viele Autofahrer fühlen sich im Dieselskandal von Herstellern getäuscht. Hinzu kommt die Sorge vor drohenden Fahrverboten. Hitziger wird die Debatte nun auch, weil das Thema in den beginnenden Wahlkampf hineinläuft.

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Deutschen Dieselherstellern droht eine Klagewelle. Quelle: dpa

Berlin Kurz vor dem „Dieselgipfel“ von Bundesregierung und Industrie erhöht die Politik massiv den Druck auf die deutschen Autohersteller. Sie hätten eine „verdammte Verantwortung, das Vertrauen wiederherzustellen und die begangenen Fehler zu beheben“, sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) der „Bild am Sonntag“.

Im Kern erwartet Dobrindt „dass die Fahrzeuge schnellstens auf Kosten der Hersteller optimiert werden“. Motoren mit Euro-5- und Euro-6-Norm könnten mit neuer Steuerungssoftware deutlich verbessert werden. „Ich erwarte beim Gipfel dazu ein akzeptables Angebot der Automobilindustrie.“

Für Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD), am Mittwoch neben Dobrindt Gastgeberin des „Nationalen Forums Diesel“, ist eine Software-Nachrüstung indes nur ein erster Schritt. In einem zweiten Schritt müssten die Autobauer dann die Hardware der Fahrzeuge nachrüsten, „und zwar auch auf ihre Kosten“, wie sie am Freitagabend in ARD und ZDF sagte. Dazu sagte Dobrindt: „Ob es zusätzliche Hardware-Lösungen für bestimmte Wagentypen geben kann, mit Experten geprüft werden.“

Zuvor hatte das Stuttgarter Verwaltungsgericht mit einem möglicherweise wegweisenden Urteil Millionen Dieselfahrer beunruhigt. Demnach müssen Besitzer älterer Dieselautos weiter mit Fahrverboten rechnen. Die geplanten Software-Updates seien kein adäquates Mittel zur Verbesserung der Luft, argumentierte das Gericht.

Ob und wann es tatsächlich zu Fahrverboten für viele Dieselmodelle kommt und wie diese aussehen könnten, ist aber weiter offen. Es ist damit zu rechnen, dass der Streit beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig weitergeht. Hintergrund sind die in Ballungszonen zum Teil deutlich überschrittenen Grenzwerte für Stickstoffdioxid.

Die Branche selbst hält ihre geplanten Softwareupdates für Dieselautos weiter für die beste Lösung zur Reduzierung der Stickoxidbelastung im Straßenverkehr. „Unsere Unternehmen sind bereit, eine große Zahl von Autos mit der Schadstoffklasse Euro 5 und zum Teil auch Euro 6 mit neuester Software nachzubessern“, sagte der Präsident des Branchenverbandes VDA, Matthias Wissmann, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Im Ergebnis soll das die Schadstoffe in der Luft mindestens so stark reduzieren wie Fahrverbote.“

Mit der neuen Software lasse sich der Ausstoß von Stickoxiden im Schnitt der deutschen Fahrzeugflotte um mindestens 25 Prozent senken, versicherte Wissmann. Hardware-Nachrüstungen lehnte Wissmann als untauglich ab. „In den meisten Fällen sind Hardware-Nachrüstungen technisch und wirtschaftlich nicht machbar, weil die Fahrzeuge schon viele Jahre alt sind“, sagte er.

VW-Markenchef Herbert Diess sagte der Deutschen Presse-Agentur, niemand wolle Fahrverbote in den Städten. „Die Industrie ist sicher bereit, das Ihre zu tun, um diese Situation zu entschärfen.“


Feste Jahreszahl für Verbrennerverbot nicht sinnvoll

Aus den Reihen der Auto-Bundesländer kamen derweil Vorschläge, die Dieselkrise auch mit öffentlichem Geld anzugehen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Es müssen Anreize für den Umstieg von alten Diesel- auf Euro6- und Elektroautos geschaffen werden“ und brachte „steuerliche Anreize oder eine Art Klimaprämie“ ins Gespräch, „die von Industrie und Staat angeboten wird“. Weils bayerischer Kollege Horst Seehofer (CSU) setzt auf die Reduzierung der Kfz-Steuer als „Anreiz zum Kauf eines neuen, emissionsarmen Euro-6-Diesel“, wie er dem „Spiegel“ sagte.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) pochte auf substanzielle Ergebnisse beim Diesel-Gipfel der Bundesregierung am Mittwoch. „Ich gehe davon aus, dass es beim Diesel-Gipfel die Zusage für wirksame und nachprüfbare Schadstoffsenkungen zügig für die gesamte Euro-5- und Euro-6-Flotte gibt - und dass die Industrie die Kosten für die Nachrüstung trägt“, sagte Kretschmann im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Bei FDP und Grünen stoßen Steueranreize auf Widerspruch: „Schon jetzt fließen Milliarden an Steuervergünstigungen in den Diesel, ohne dass es dafür eine umwelt- oder klimapolitische Begründung“, sagte der Verkehrsexperte der Grünen, Oliver Krischer. FDP-Chef Christian Lindner sagte der „Passauer Neuen Presse“ (Samstagausgabe): „Die Konzerne sind selbst gefordert und in der Pflicht, die Abgas-Probleme zu lösen und die notwendigen technischen Nachrüstungen bei Diesel-Fahrzeugen schnell vorzunehmen. Das ist keine Aufgabe der Steuerzahler.“

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann blickt mit Skepsis auf den Mittwoch. Das Treffen liege zu nah am Tag der Bundestagswahl und könne für taktische Spielchen missbraucht werden, sagte Hofmann der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Nötig seien verbindliche Aussagen der Hersteller, dass und wann sie die Fahrzeuge nachbessern werden.

Zudem müssten die Städte ihrer Verpflichtung nachkommen, etwas zur Verringerung der Emissionen zu tun, etwa über geeignete Verkehrsleitsysteme. Hofmann plädierte für eine Ökoprämie für den Austausch von Fahrzeugen. „Das würde gerade denen helfen, die sich kein Neufahrzeug leisten können aber dennoch auf ihr Auto angewiesen sind.“

Auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil, nahm angesichts der Dieselaffäre die Autohersteller in die Pflicht. „Die Automobil-Hersteller stehen jetzt in allererster Linie in der Verantwortung für ihre Kunden und Verbraucher. Aus dieser Verantwortung darf der Staat sie nicht entlassen“, erklärte er. Die Hersteller hätten viel Vertrauen zerstört und müssten nun auch finanziell dafür gerade stehen. Steuersenkungen für die Konzerne, wie CSU-Chef Horst Seehofer sie fordere, nannte Heil „absurd“.

Die Diskussion um den Diesel beschäftigt auch Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD). Sie stellt sich in der andauernden Dieselaffäre zwar nicht auf die Seite der Hersteller, verweist aber darauf, dass ein festes Datum für das Verbot von Verbrennungsmotoren in Deutschland nicht klug sei. „Im Moment eine Jahreszahl wie 2040 festzulegen, ist weder sinnvoll noch zielführend“, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag/Montag). Die britische Regierung plant, Verbrennungsmotoren von 2040 an zu verbieten und ganz auf Elektroantriebe zu setzen.

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