Presseschau „Die Zukunft einer ganzen Industrie steht auf dem Spiel“

Die Autokonzerne werden in Kommentaren zu den Enthüllungen um ein möglicherweise seit Jahrzehnten operierenden Kartell heftig kritisiert. Die analysierten Themen: Glaubwürdigkeit, Zukunftsfähigkeit und Dreistigkeit.

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„Der Anfang vom Ende der Autoindustrie, wie wir sie kannten.“ Quelle: Reuters

Die Autokonzerne in Wolfsburg (Volkswagen), Stuttgart (Daimler) und München (BMW) stehen unter Kartellverdacht. „Autoindustrie in der Krise“ titelt das Handelsblatt in der Montagsausgabe. Das Thema ist Haupt-Kommentarthema in der Presselandschaft. Eine Übersicht.

Handelsblatt

(...) Wenn sich ansatzweise bestätigt, was seit dem Wochenende als Vorwurf im Raum steht, dann ist das der Anfang vom Ende der Autoindustrie, wie wir sie kannten. Milliardenstrafen und Zivilklagen, die bislang nur VW zu tragen hätte, drohen auch BMW und Daimler.

Die Branche steckt in der Zwickmühle: Der Dieselantrieb, bislang Herzstück der Antriebstechnologie, fällt als Cashcow aus. Gleichzeitig müssen die Konzerne Milliarden in die Entwicklung von Elektroautos und künstlicher Intelligenz stecken, um es mit neuen Rivalen aufnehmen zu können. Die haben auf Fehler der einst übermächtigen deutschen Konkurrenten nur gewartet. Denn im Wettbewerb um die Mobilitätsmärkte von morgen zählen die Erfolge von gestern wenig. (Lesen Sie hier kompletten Kommentar von Markus Fasse)

Frankfurter Allgemeine Zeitung

(...) Die Autoindustrie fällt zwei Jahre nach dem Bekanntwerden des VW-Dieselbetrugs immer tiefer in die Grube, die sie sich selbst gräbt. (...)

Die deutsche Autoindustrie hat einen Serienunfall produziert und muss doch zurück in die Offensive. Das geht nur mit schonungsloser Offenheit in der Aufklärung des Fehlverhaltens der Vergangenheit und einem radikalen Strategiewechsel im Hier und Jetzt. Es kann doch nicht sein, dass ein Jahr alte Selbstanzeigen zu Absprachen über Technik und Zulieferer bekannt werden – und die betroffenen Hersteller dazu schweigen. (...)

Überall dort, wo technischer Fortschritt tatsächlich behindert und Wettbewerb unter Zulieferern verhindert wurde, muss eine künftige Strafe empfindlich ausfallen. Auch daran darf es keinen Zweifel geben. Auf die Autoindustrie darf niemand mehr besondere Rücksicht nehmen. (Link zum Kommentar)

Die Welt

(...) Im Fall des Autokartells war den Beteiligten offenbar klar geworden, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis ihre illegalen Absprachen auffliegen. Schließlich hatten sie die Ermittler schon i Haus, als hektisch Selbstanzeigen geschrieben wurden. (…) Dabei hätten die Konzerne schon viel früher ahnen können, oder sogar wissen müssen, dass es höchste Zeit war, reinen Tisch zu machen. Spätestens als im September 2015 der Abgasbetrug bei Volkswagen aufflog, bestand die akute Gefahr, dass auch das Kartell enttarnt werden würde. (Link zum Artikel)

Spiegel Online

Die Autoren der Spiegel-Titelgeschichte zum Autokartell hatten den Stein ins Rollen gebracht. Sie kommentieren auf Spiegel Online:

(...) Wenn Hersteller glaubten, mit Sparmaßnahmen bei der Abgasreinigung den Gewinn steigern zu können, zeigt sich nun, dass dies ein sehr kurzfristiges und falsches Kalkül war. Glaubwürdigkeit ist zwar ein schwammiger Begriff. Manchmal lässt sich der Wert der Glaubwürdigkeit aber in Euro beziffern. Spätestens, wenn die Strafen der EU zu bezahlen sind. (…)

Politiker bekommen jetzt vorgeführt, dass auf das Wort dieser Industrie kein Verlass ist. Warum sollten sie den Bossen von Volkswagen, Daimler und BMW noch Glauben schenken, wenn diese argumentieren, noch schärfere Abgasgrenzwerte könne man technisch nicht erreichen? (...)


Das wird in Stuttgart, München und Wolfsburg geschrieben

Süddeutsche Zeitung (München)

(...) Wenn der Verdacht zutrifft – Deutschlands Autokonzerne sollen sich seit den 90er-Jahren in geheimen Arbeitskreisen über ihre Technologien abgesprochen haben–, dann hätten die Hersteller nicht nur ihre Kunden jahrelang geblendet. Sie hätten auch die sorgsam gepflegten Markenclaims und damit ihre Konzern-Identität ins Absurde geführt.

Denn wenn sich alle abgesprochen haben bei Achsen, Getrieben, Kupplungen und auch beim Diesel, dann gibt es hier weder einen besonders großen „Vorsprung durch Technik“ noch das „Beste oder Nichts“. Die Konzerne hätten nicht nur allen etwas vorgemacht, sie wären im Grunde auch austauschbar. (...) (Link zum Kommentar)

Stuttgarter Zeitung

(...) Doch anstatt sich gegenseitig zu beschuldigen, hilft Konzernen und Politik nur noch eins: nicht länger zu taktieren, sondern endlich reinen Tisch zu machen. Das wird wohl zu personellen Konsequenzen führen und weitere Milliarden kosten. Doch dieser hohe Preis ist gerechtfertigt: Auf dem Spiel steht die Zukunft einer ganzen Industrie. (Link zum Kommentar)

Wolfsburger Nachrichten

(...) Die Autoindustrie hat den Abriss der eigenen Glaubwürdigkeit so weit getrieben, dass die Unschuldsvermutung, auf die im Rechtsstaat jedermann Anspruch hat, für naiv gehalten werden mag: Ist die angebliche Kartellbeildung vielleicht gar nicht so böse? Fallen die gerade noch so bornierten Unternehmen nur ins andere Extrem? Entspringen die Schriftsätze, die der „Spiegel“ „eine Art Selbstanzeige“ nennt, einer Hypersensibilität der Compliance-Wächter? (Link zum Kommentar)

Taz

Die politisch dem linken Spektrum zugeneigte taz hält sich kaum zurück in ihren Formulierungen.

(...) Daimler lügt seit Jahren, wie viele deutsche Autobauer, im Diesel-Skandal und nach neuesten Erkenntnissen untereinander in einem illegalen Kartell abgesprochen. Ihre Karren verpesten die Luft, obwohl die Technik, es besser zu machen, sogar schon eingebaut ist. Durch Stickoxide sterben Menschen. Autobauer sind in diesem Sinne Mörder: Sie handeln mit Vorsatz und aus einem niederen Motiv – Profit. (Link zum Kommentar)

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