Problemfall Energiesparte Siemens ist "nah an der Katastrophe"

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Die Konkurrenz ist ganz dicht auf Siemens Fersen

„Noch hat Siemens in diesem Segment einen Vorsprung“, sagt Manfred Wirsum, Experte für Kraftwerkstechnik an der RWTH Aachen. Konkurrenten wie GE seien den Deutschen aber ganz dicht auf den Fersen. Ein langjähriger Siemens-Aufsichtsrat ist sich sogar sicher, dass die Turbinen der Konkurrenz bereits besser sind.

Dass der Konzern an Boden verliert, zeigt das Geschäft mit Gasturbinen. Weltweit ist die Nachfrage geschrumpft. Doch während sich der Siemens-Marktanteil verringerte, hat GE seinen ausgebaut.

In der Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz sorgt man sich um einen weiteren Bereich der Energietechnik, in dem die Siemens-Ingenieure ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben: die Windkraftanlagen. Zwar zählen die großen Offshore-Mühlen für den Betrieb auf hoher See, die Siemens in Dänemark baut, nach wie vor zum Besten, was die Branche weltweit zu bieten hat. Bei Schwachwindanlagen für den Betrieb an Land hinke man der Konkurrenz allerdings hinterher, heißt es in Unternehmenskreisen.

von Matthias Kamp, Miriam Meckel

Kaeser will den Rückstand bei kleinen Turbinen aufholen

Die Verantwortung für die Wende im Energiegeschäft trägt Lisa Davis. Im vergangenen Jahr holte Kaeser die 51-jährige Amerikanerin in den Vorstand. Die frühere Shell-Managerin muss nun versuchen, den gefährlichen Abwärtstrend zu stoppen – eine Herkulesaufgabe. Und Kaeser baut Druck auf: Die Berufung von Davis sei „der erste Schritt, die Margen und das Geschäft dorthin zu bringen, wo sie hingehören“, sagte er im vergangenen November.

Davis muss die Integration des US-Unternehmens Dresser-Rand managen. Die Münchner wollen den Ausrüster für die Öl- und Gasindustrie für stolze und angesichts des niedrigen Ölpreises reichlich teure 7,6 Milliarden Dollar übernehmen. Der Fall liegt aber noch bei den Kartellbehörden.

Zugleich muss sie das Geschäft mit kleinen Gasturbinen von Rolls-Royce integrieren, das die Münchner für 1,3 Milliarden Dollar von den Briten gekauft haben. Mit dem Schritt will Kaeser den Rückstand bei kleinen Anlagen zur dezentralen Energieversorgung verringern.

Belegschaft hat Angst um ihre Stellen

Der von Kaeser eingeschlagene Kurs stimmt nach Einschätzung von Unternehmenskennern. Bis er Früchte trägt, dürfte es allerdings dauern. „Das ist jetzt eine Übergangszeit“, sagt etwa Nord/LB-Analyst Wolfgang Donie. Eine schnelle Besserung beim Energiegeschäft sei kaum zu erwarten.

Kaum weniger knifflig dürfte für Davis die Organisation des geplanten Stellenabbaus werden. Bei Siemens in Mülheim ist die Belegschaft in Sorge. „Ob Davis weiß, was das Abkommen Radolfzell II ist?“, fragt einer. Die unter Kaesers Vorgänger Peter Löscher geschlossene Vereinbarung zur „Standort- und Beschäftigungssicherung“ schließt betriebsbedingte Kündigungen unbefristet aus. Bis jetzt hat Siemens den Stellenabbau über großzügige Abfindungen geregelt.

In Mülheim hofft man auf Hilfe der Politik. Im März schauten NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel vorbei. Die SPD-Politiker versprachen Unterstützung.

Es wird, so scheint es, jetzt wirklich eng. Nicht weit hinter dem Eingang zum Mülheimer Werksgelände steht eine mächtige alte Uhr. Die Arbeitnehmervertreter haben sie aus einem schon vor Jahren stillgelegten Stahlwerk herübergeholt, gewissermaßen als Mahnmal: Die Zeiger der alten Uhr stehen immer auf fünf vor zwölf.

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