Die lang gezogene, silbrig-graue Fabrikhalle in der Mülheimer Rheinstraße grenzt direkt an die Ruhr. „Siemens Power Generation“ steht in großen Buchstaben an der Außenwand. Neben dem Eingang flattern müde drei Fahnen mit dem Firmenlogo im Wind. Eine Straße weiter liegt ein verlassener Baumarkt; bei Pommes Klaus nebenan sind auch mittags noch die Rollläden unten.
Die triste Ruhrgebietsszenerie passt zur Stimmung, die in diesen Tagen hinter den Toren der Mülheimer Siemens-Hallen herrscht. Der Konzern baut hier Dampfturbinen – die ganz großen Maschinen, von 250 Megawatt bis hoch in Leistungsbereiche von 600 Megawatt. Die Anlagen werden unter anderem in Kohlekraftwerken gebraucht, wo sie aus Dampf Strom erzeugen.
Belegschaft erwartet nächste Kündigungswelle
Etwa 4800 Leute arbeiten im Mülheimer Werk – noch. Siemens verhandelt mit den Betriebsräten über Abfindungen für 450 Leute. Die müssen gehen, weil das Geschäft mit Anlagen zur Energieerzeugung lahmt, „konjunkturbedingt“, so die offizielle Begründung bei Siemens. Insgesamt fallen in Deutschland 1200 Jobs in der Energiesparte weg, so der bisherige Plan von Vorstandschef Joe Kaeser.
Die Siemens-Sparten im Vergleich
Ergebnis
2013: 1955
2014: 1569
Tendenz: -
Ergebnismarge
2013: 7,3
2014: 6,4
Tendenz: -
Umsatz*
2013: 26,6
2014: 24,6
Tendenz: -
*Werte gerundet
Geschäftsjahresende ist der 30.September
Quelle: Geschäftsbericht
Ergebnis
2013: 2033
2014: 2027
Tendenz: -
Ergebnismarge
2013: 16,1
2014: 16,3
Tendenz: +
Umsatz*
2013: 12,6
2014: 12,4
Tendenz: -
*Werte gerundet
Geschäftsjahresende ist der 30.September
Quelle: Geschäftsbericht
Ergebnis
2013: 1563
2014: 2252
Tendenz: +
Ergebnismarge
2013: 9,2
2014: 13,2
Tendenz: +
Umsatz*
2013: 16,9
2014: 17,1
Tendenz: +
*Werte gerundet
Geschäftsjahresende ist der 30.September
Quelle: Geschäftsbericht
Ergebnis
2013: 291
2014: 1487
Tendenz: +
Ergebnismarge
2013: 1,6
2014: 7,9
Tendenz: +
Umsatz*
2013: 17,9
2014: 18,9
Tendenz: +
*Werte gerundet
Geschäftsjahresende ist der 30.September
Quelle: Geschäftsbericht
Doch in Mülheim stellt sich die Belegschaft schon auf die nächste Kündigungswelle ein. Im Mai wolle Siemens neue Streichungen in der Energiesparte verkünden, heißt es in Unternehmenskreisen. Die Rede ist von mehreren Tausend Arbeitsplätzen. „Dann sind wir hier in Mülheim bei einem Personalabbau im vierstelligen Bereich“, fürchtet ein Betriebsrat.
Ob in Mülheim, Görlitz, Erfurt oder Berlin: Wo Siemens Ausrüstung und Anlagen für die Energieerzeugung fertigt, herrscht derzeit Krisenstimmung. „Nah an der Katastrophe“, so beschreibt es ein Insider, entwickle sich der Bereich. Alles laufe viel schlechter, als man noch vor wenigen Monaten geglaubt habe, heißt es in Unternehmenskreisen. Man sei bei der „Energieerzeugung technisch weit hinten dran“. Es werde Jahre dauern, bis Siemens den Rückstand aufgeholt habe.
Kaeser schiebt die Schuld an den Problemen gerne Richtung Berlin, die Energiewende, die Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel habe die Nachfrage nach großen Turbinen einbrechen lassen. Siemens aber hat auch Trends verschlafen, ist bei wichtigen Technologien weit hinter der Konkurrenz zurückgeblieben.
Sparte Power und Gas schrumpfte um drei Prozent
Schon die letzten Zahlen waren ernüchternd. Im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres, also von Oktober bis Dezember 2014, brach der Gewinn in der Sparte Power and Gas im Vergleich zum Vorjahresquartal von 536 auf 325 Millionen Euro ein. Der Umsatz, bereinigt um Zukäufe, Verkäufe und Währungseffekte, schrumpfte um drei Prozent auf 2,9 Milliarden Euro. „Es gibt kein anderes Geschäft im Hause mit einem vergleichbar großen Handlungsbedarf“, hatte Kaeser dazu im Januar erklärt. Wenn der Siemens-Chef Anfang Mai das Zahlenwerk zum zweiten Quartal vorlegt, werde es aber noch schlimmer kommen, heißt es nun in Konzernkreisen. Siemens wollte dazu keine Stellung nehmen.
Viel zu spät haben die Münchner erkannt, dass immer mehr Städte und Gemeinden auf kleine Gaskraftwerke zur Stromerzeugung bauen. Oftmals nutzen diese Kraftwerke zusätzlich die entstehende Wärme zur Heizung privater Haushalte und kommen so auf Wirkungsgrade von mehr als 90 Prozent. „Die dezentrale und kleinteilige Energieversorgung ist der zentrale Trend“, sagt etwa Marco Deckert, Energieexperte am Fraunhofer-Institut in Sulzbach bei Nürnberg.
Götz Brühl ist Geschäftsführer der Stadtwerke im oberbayrischen Rosenheim, einer Stadt mit gut 60 000 Einwohnern. Brühls ganzer Stolz ist ein kleines Kraftwerk, in dem die Stadt ihren Müll verbrennt. Das so entstandene Gas treibt mehrere Motoren an, die Strom und Wärme erzeugen. Schon vor zwölf Jahren hat Rosenheim dafür die ersten vier Gasmotoren mit je vier Megawatt angeschafft. Vor Kurzem hat Brühl das Kraftwerk erweitert und noch einen Gasmotor mit einer Leistung von zehn Megawatt eingekauft.
„Den Strom speisen wir ins Netz ein“, erläutert Brühl, „vorzugsweise zu Zeiten, in denen der Preis an der Strombörse hoch ist.“ Die entstehende Wärme können die Rosenheimer speichern oder ins Fernwärmenetz einspeisen. Kombiniert kommt das kleine Kraftwerk mit seinen knapp 30 Megawatt auf mehr als 90 Prozent Wirkungsgrad.