Produktpiraterie „Die Fälscher haben bestimmt eine halbe Million Stück gefertigt“

Quelle: Aktion Plagiarius e.V.

Der deutschen Volkswirtschaft entsteht jährlich ein zweistelliger Milliardenschaden durch Produktpiraterie. Wie dreist Fälscher dabei vorgehen und wie sich zwei Mittelständler dagegen wehren.

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Etwa 9500 verschiedene Inserate haben bereits das sternförmige Werkzeug angepriesen: Einen Multifunktionsschlüssel, mehrere Profile und Kreuze, zusammengehalten von einem Magnet. Genauso viele Anzeigen hat Stefan Saltenbrock aus Webshops löschen lassen. Sie waren Plagiate des „Twinkey“ genannten Schaltschrankschlüssels. Der Justiziar des Wuppertaler Werkzeugherstellers Knipex verfolgt Produktfälscher seit einigen Jahren hartnäckig. Sie kopieren nicht nur Werkzeug, sondern drucken auch den Namen des Mittelständlers auf Billigzangen.

Nach wenigen Monaten und Hunderten Anzeigen übergab Saltenbrock die Jagd an einen Dienstleister. Der scannt das Web mithilfe von Software. „Die Spur der Fälscher und Nachahmer führt eigentlich immer nach Asien“, berichtet Saltenbrock. Knipex hat auch Detektive in China beauftragt. Doch die Nachahmer sind zumeist kleine Händler und daher nur schwer greifbar; die Adressen genauso gefälscht wie die Produkte. Die Hersteller selbst zu belangen: praktisch unmöglich, sagt Saltenbrock.

Wie Knipex ergeht es vielen Mittelständlern in Deutschland. „Mittelständische Unternehmen können sich im Vergleich zu Konzernen schlechter gegen Produkt- und Markenpiraterie wehren“, weiß Oliver Koppel, Ökonom beim Deutschen Institut für Wirtschaft (IW). Hauptsächlich, weil Fälschungen schwerpunktmäßig auf Messen oder bei Kunden im Ausland bemerkt würden. Konzerne hätten das systematisch im Blick. Die Mittelständler hätten jedoch aufgeholt, was die Schutzrechte angeht. Nur mit ihnen können sie sich gegen Produktpiraterie zu wehren. In der Konsequenz melden sie beispielsweise inzwischen mehr Patente in China an. Denn: „Wenn ein chinesisches Unternehmen ein ausschließlich in Deutschland geschütztes Produkt in China kopiert und in die USA verkauft, ist das zwar moralisch fragwürdig, aber rechtlich gesehen keine Produktpiraterie“, erklärt Koppel.

„Kein Original-Produkt, aber austauschbar“: Die dreistesten Produktfälschungen des Jahres
Schmähpreis Plagiarius: Das sind die „Sieger“ Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Koziol Klikk Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
So dreist kopierte vor einiger Zeit ein Unternehmen mit Sitz in Bangladesch ein Druckmessgerät von Wika aus Nordbayern (Original links) – im vergangenen Jahr kopierten Kriminelle die Webseite des Mittelständlers und gaben sie als offizielle China-Onlinepräsenz aus. Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Schaeffler Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Wagner Pet Products Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
gefälschte Radkappe mit VW-Logo Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Germens Quelle: Aktion Plagiarius e.V.

Eine wichtige Rolle spielen dabei die Verkaufsplattformen. Unternehmen beklagen, dass sie zu wenig tun, um den Verkauf von Plagiaten zu verhindern. Zwar hätten große Onlinehandelsunternehmen wie Amazon oder Ebay mittlerweile gute Meldestrukturen für Plagiate. Doch sie sollten präventiver handeln, damit Fälschungen gar nicht erst auf den Seiten landen. „Die Fälscher haben es perfektioniert, Hunderte Shops auf den Plattformen anzulegen. Haben wir ein Angebot gesperrt, finden wir am nächsten Tag wieder eines bei einem anderen Shop“, schildert Saltenbrock.

„Die Betreiber von E-Commerce-Plattformen müssen zukünftig stärker in die Verantwortung genommen werden“, fordert auch Aliki Busse, Fachanwältin für gewerbliche Schutzrechte und zweite Vorsitzende der Aktion Plagiarius, einem Schmähpreis für besonders dreiste Produktfälschungen. So sollten sich die Händler mit Lichtbildausweis, Steueridentifikationsnummer sowie Bank- und Kontaktinformationen verifizieren müssen. Außerdem sollten die Shops dafür sorgen, dass bereits gelöschte Angebote nicht erneut hochgeladen werden können.

„Die Fälscher haben bestimmt eine halbe Million Stück gefertigt“

Das Unternehmen Koziol hat etwa 200 Beschäftigte und sitzt im Odenwald. Auch Geschäftsführer Stephan Koziol kämpft immer wieder gegen Fälschungen seiner Produkte. Koziol verkauft etwa ein Campingbesteck. Das ist dreiteilig, Outdoor-Fans können es nach der Nutzung zusammenstecken. Über 25 Jahre lag die Idee in der Schublade, sagt der Unternehmenschef. Vor vier Jahren habe ein Londoner Designbüro das Besteck entwickelt. Lange habe seine Firma die richtigen Materialien gesucht, Werkzeuge gebaut und es schließlich auf den Markt gebracht. Deutlich über 100.000 Euro habe Koziol hier investiert.

Nach Hinweisen von Kunden erfuhr Koziol, dass ein australisches Verlagshaus ein Plagiat des Bestecks an Kunden im Rahmen einer Werbeaktion versendet. „Die Fälscher haben bestimmt eine halbe Million Stück gefertigt“, erzählt Stephan Koziol. Ein großer Auftrag – den er gerne selbst angenommen hätte. Entsprechend frustriert ist er. „Kopieren ist ein lukratives Geschäftsmodell, lukrativer und ungefährlicher als der Drogenhandel. Wir investieren 15 bis 20 Prozent unseres Umsatzes in Forschung und Entwicklung, wir produzieren in Deutschland. Wir brauchen den Schutz unseres geistigen Eigentums, um zu überleben.“

59 Milliarden Euro Schaden für Deutschland im Jahr 2021

Laut IW-Experten Koppel wurde jedes neunte Unternehmen innerhalb der letzten fünf Jahre mindestens einmal Opfer von Produkt- und Markenpiraterie. Besonders betroffen seien große, internationale Industrieunternehmen. Das IW schätzt, dass der deutschen Volkswirtschaft durch Produkt- und Markenpiraterie im Jahr 2021 ein Schaden in Höhe von etwa 59 Milliarden Euro entstanden sein dürfte. Die Folge: 550.000 entgangene „vollzeitäquivalente Arbeitsplätze“ hierzulande.

Unternehmen wie Knipex oder Koziol müssen dabei abwägen, wie viel sie für den Schutz ihrer Produkte ausgeben wollen. Knipex-Justiziar Saltenbrock erläutert, dass Gerichtskosten schnell zu einer sechsstelligen Summe anwachsen können. „Das kann man vielleicht mal für einen Präzedenzfall investieren, aber nicht ein paar Tausend Mal.“ Dazu kommen die Kosten für die Schutzrechte, also für Patente, Gebrauchsmuster oder Markenschutz. Koziol nennt es eine „Balance zwischen Verteidigen, aber nicht das ganze Geld versenken“.

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Wie hoch der Schaden für Knipex ist, der durch die Fälscher entsteht, kann Saltenbrock nicht genau beziffern. Der 1882 gegründete Werkzeugfertiger gibt jährlich mehrere Hunderttausend Euro aus, um Fälscher zu verfolgen. Imageschaden und Umsatzverlust kommen hinzu. Geld, das der Mittelständler nicht für Neuentwicklungen ausgeben kann.

Dreist sind auch die Preise, die die Händler für ihre Fakes aufrufen. Während Händler den Twinkey genannten Schaltschrankschlüssel im Original meist für um die 30 Euro verkaufen, reiche die Preisspanne in den Webshops von zehn bis 70 Euro.

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