Gleichzeitig hasst er es offenkundig, wenn ihm der Staat etwas vorschreibt. Mit dieser Einstellung gehört er zu jenen Unternehmern, die in den Dreißigerjahren aus Panik vor der linken Volksfrontregierung unter Ministerpräsident Léon Blum zu radikalen Mitteln und Gewalt greifen. Das Recht auf bezahlten Urlaub für Fabrikarbeiter, das Schueller ablehnt, aber mit der Erfindung von Ambre Solaire versilbert, Lohnerhöhungen zwischen 7 und 15 Prozent, die Einführung der 40-Stunden-Woche: All dem muss auch Schueller zustimmen, um die schlimmste Forderung der Arbeiterklasse zu kontern, die Vergesellschaftung der Produktionsmittel.
Schueller entscheidet in dieser Situation, mit einem Teil seines Vermögens, das er mit L’Oréal gemacht hat, rechtsextreme Gruppen zu unterstützen, die den Umsturz der Regierung planen und Mordanschläge verüben. Dabei nutzen Mitglieder der „Cagoule“, die das Attentat 1941 verübten, in ihren Anfangszeiten sogar L’Oréal-Büros zu verschwörerischen Treffen.
Das alles hat der französische Historiker Jacques Marseille in der autorisierten Firmenbiografie „L’Oréal 1909–2009“ bestätigt. Marseille, der 2010 starb, war der Einzige, dem das Unternehmen und die Familie des L’Oréal-Gründers nahezu uneingeschränkt Zugang zu den Archiven gewährte. Er blieb in der Beurteilung der Fakten meist gnädig.
Ein Sondergericht, das nach dem Krieg die Kollaboration französischer Unternehmen mit den deutschen Besatzern untersuchte, warf Schueller jedoch vor, monatlich eine Million Francs (umgerechnet 300.000 Euro) an rechtsradikale Gruppen bezahlt zu haben, als die Deutschen Frankreich besetzt hatten. Der Vorwurf wurde in der Berufung fallen gelassen.
Wer heute bei L’Oréal und den Schueller-Erben nach diesen Seiten der Konzerngeschichte fragt, erhält die knappe Nachricht, man wahre über diese Angelegenheiten „Diskretion“. Anders als in Deutschland, wo die Familie Quandt als BMW-Hauptaktionäre oder auch die Deutsche Bank unter dem Druck der Öffentlichkeit im Laufe der Zeit ihre Rolle vor und während des Krieges offengelegt haben, fehlt in Frankreich bis heute in weiten Teilen der Gesellschaft dieser Druck.
„L’Oréal ist eines der erfolgreichsten und angesehensten Unternehmen in Frankreich. Da gibt es so etwas wie ein affektives Bedürfnis, diese Firma zu schützen“, sagt Jean-Pierre Getti. Der Pariser Richter untersuchte zahlreiche Verbrechen im Zusammenhang mit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien und ermittelte gegen L’Oréal in den Neunzigerjahren wegen des Verdachts, der Konzern habe sich dem Boykott-Aufruf der Arabischen Liga gegen eine Zusammenarbeit mit israelischen Firmen gebeugt. Den meisten Franzosen sei die Rolle Schuellers in der „Cagoule“ und ihren Nachfolgeorganisation „völlig egal“, ist er überzeugt. „Und seine Familie will diese Epoche vergessen machen.“
Makellose Bilanz: Kennzahlen L'Oreal
Umsatzsteigerung 2012: 10 Prozent auf 22,5 Milliarden Euro
Gewinnsteigerung 2012: 12 Prozent auf 3,7 Milliarden Euro
72.600
2012: 611
L’Oréal gibt es in 130 Ländern
Liegen bei der Gründer-Tochter Liliane Bettencourt, davon wurden 41 Prozent ohne Stimmrecht an deren Tochter Françoise Bettencourt-Meyers übertragen
hält Nestlé, der Schweizer Konzern und die Familie Bettencourt haben sich Ende 2013 ein Vorkaufsrecht an ihren Anteilen eingeräumt
3 Frauen gehören dem Vorstand an
Der in Paris lebende Essayist und Theaterregisseur Benjamin Korn, Bruder von Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, macht General Charles de Gaulle für das mangelnde Geschichtsbewusstsein der Franzosen verantwortlich. „De Gaulle hat in seiner berühmten Rede vom 25. August 1944, als die Amerikaner ihm den Gefallen taten, ihn nach Paris einmarschieren zu lassen, gesagt, Frankreich habe sich selbst befreit. Das war eine totale Verdrehung der Geschichte. Nicht nur eine Verdrehung, sondern gewissermaßen auch ein Verbrechen an der Geschichte. Weil er damit das große Schweigen einleitete und jede Aufarbeitung verhinderte.“
Aversion im Bürgertum
Dass Schueller angeblich sogar auf der Gehaltsliste der NS-Propagandastaffel stand, lässt sich nicht mehr überprüfen. Notizen der deutschen Botschaft in Paris aus der Besatzungszeit wurden nach Angaben des Auswärtigen Amtes ebenso vernichtet wie zahlreiche andere möglicherweise belastende Dokumente.
Verbrieft ist dagegen Schuellers Verehrung von Adolf Hitler. „Wir haben nicht dieselbe Chance gehabt wie die Nationalsozialisten bei ihrer Machteroberung 1933,“ bedauerte er 1941. „Wir haben nicht die Kaderleute, die sie damals hatten. Wir haben weder die Glaubensstärke des Nationalsozialismus noch die Dynamik eines Hitler, der alle vorantreibt.“
Anlässlich der Gründung der rechtsradikalen Nationalen Revolutionären Bewegung 1940 forderte Schueller eine „Revolution der Reinigung und Erneuerung“ und fügte unmissverständlich hinzu: „Sie kann nur blutig sein. Sie wird ganz einfach darin bestehen, schnell 50 oder 100 wichtige Persönlichkeiten zu erschießen.“ Wer diese sein würden, war für Schueller klar: „Das Wichtigste für uns ist der vollständige und endgültige Bruch mit der jüngsten Vergangenheit, mit den Methoden und den Männern der Dritten Republik, mit den Freimaurern und dem Judentum.“
Auch Schuellers späterer Schwiegersohn Bettencourt betätigte sich unverhohlen als Antisemit. Er arbeitete von 1940 bis 1942 an verantwortlicher Stelle für das NS-Propagandablatt „Terre française“, mit dem die deutschen Besatzer die katholische französische Landbevölkerung für sich gewinnen wollten. „Die Juden hatten sich eingebildet, sie hätten die Partie bereits gewonnen“, schrieb er in der Weihnachtsausgabe 1941. „Sie hatten es geschafft, die Hand an Jesus zu legen und ihn zu kreuzigen. Als sie sich noch die Hände rieben, stand schon geschrieben, dass sein Blut über sie und ihre Kinder kommen werde“. Diese „Vorhersehungen des ewigen Buches“, so Bettencourt, „müssen umgesetzt werden“.
Die offenkundige Hetze im Namen der Nazis hinderte Bettencourt indes nicht, sich nach der Befreiung Frankreich als Mitglied des Widerstandes gegen die Deutschen, der Résistance, auszugeben.
L’Oréal-Gründer Schueller war ein Mann, der sich offenkundig vom Judenhass weiter Teile der französischen Gesellschaft und der Aversion im Bürgertum gegenüber der Linken anstecken ließ. Zudem war er einer jener Zeitgenossen, wie der Historiker Marseille schrieb, denen „die politische Hellsichtigkeit fehlte“. Sein Bedürfnis, die Menschen von seinen Ideen zu überzeugen, habe ihn „dazu gebracht, die schlimmsten rechtsextremen Bewegungen zu frequentieren und zu finanzieren und vor den hassenswertesten Auditorien jener Zeit zu sprechen“.