PSA-Deal „Opel wird nicht abgeschleppt, Opel schleppt ab“

Im Herzen der Opel-Stadt Rüsselsheim wird leidenschaftlich über den Verkauf von Opel an PSA diskutiert. Bei einer Lesung des ehemaligen Betriebsrats Klaus Franz finden die Opelaner deutliche Worte. Ein Besuch.

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Opel als zweitälteste deutsche Automarke blickt auf eine große Vergangenheit zurück: Ein legendäres Modell ist der Opel Blitz. Die Zukunft der Rüsselsheimer ist derzeit ungewisser denn je. Quelle: Imago

Rüsselsheim Im Stadt- und Industriemuseum in Rüsselsheim hängen die alten Arbeiterführer der hessischen Opel-Heimatstadt an der Wand. Ferdinand Stuttmann etwa, der 1865 den ersten Rüsselsheimer Arbeiterverein gründete, aber auch Karl Marx und Friedrich Engels. Wer durch die Räume des Museums läuft, durchschreitet die große Vergangenheit der zweitältesten deutschen Automarke. Ein Laubfrosch steht dort, jenes legendäre Opel-Modell von 1924, aber auch ein Opel Blitz.

Heute Abend ist aber auch ein Vertreter der Opel-Vergangenheit gekommen, der sich noch nicht reif fürs Museum fühlt: Klaus Franz. Der ehemalige Chef des Gesamtbetriebsrats war in der Krise 2009 das Gesicht des Autobauers. Einige nannten ihn sogar „Mister Opel“. Mittlerweile ist er in Rente. Sein Herz, sagt er, hänge immer noch am Unternehmen.

An diesem Donnerstagabend will er aus seinem Buch „Die Rettung von Opel vor der Insolvenz. Das Beispiel gelebter Mitbestimmung“ vorlesen. Die Lesung ist schon seit mehreren Monaten geplant, soll eigentlich eine historische Rückschau auf die vergangene Existenzkrise sein – doch die aktuellen Vorgänge in Rüsselsheim lassen auch Franz nicht kalt. Seit Tagen kommen wieder Fernsehteams, um zu hören, was Franz zum Opel-Verkauf zu sagen hat. Am Montag, so bestätigen es französische politische Kreise, soll der Deal abgeschlossen werden.

Und Franz ist in diesen Tagen wieder einmal das Sprachrohr der Marke. Dass sein Nachfolger Wolfgang Schäfer-Klug ihn vor der Belegschaft für seine Kommentare zum aktuellen Opel-Verkauf kritisierte, ficht ihn nicht an. „Wenn ihr nichts sagt, dann muss ich das eben machen“, sagt er. Und viele ehemalige Mitstreiter sind ins Museum gekommen, um Franz zuzuhören. Ältere Opelaner im Publikum sind in der Überzahl. Man kennt sich. Die Preise sind volkstümlich. Wasser kostet 1 Euro, Weißwein 1,50 Euro.

Bevor Franz mit seinem Vortrag beginnt, erinnert Museumsleiterin Bärbel Maul an die engen historischen Verbindungen von Opel nach Frankreich. Schon 1902 verkaufte der Franzose Alexandre Darracq seine Motorenfahrzeuge unter dem Namen Opel Darracq. Allerdings hielt die Kooperation nur fünf Jahre.

Und auch der berühmte Opel 4PS von 1924, der im Volksmund wegen seiner grünen Farbe nur Laubfrosch genannt wurde, hatte ein französisches Vorbild. Er sah dem gelben Citroen 5CV so ähnlich, dass die Franzosen sogar gegen das Plagiat klagten. Er soll sogar das Vorbild für den Ausspruch „dasselbe in Grün“ sein. Auch das eine französische Vergangenheit, an die man sich in Rüsselsheim sicher nicht besonders gerne erinnern dürfte.

Franz selbst will zu Beginn seiner Rede nicht in der Vergangenheit schwelgen. Als er an das Holzpult tritt, ist jedem im Raum klar, dass der ehemalige Arbeiterführer seinen Kampfgeist nicht verloren hat. Er sei zwar „nicht in die Verhandlungen involviert“, doch er „glaube, das Unternehmen zu kennen“, schickt er vorweg.

Dann folgt seine Abrechnung mit General Motors. Unter dem neuen Management von Mary Barra und Dan Ammann habe sich GM verändert. Früher sei es um Absatz, Größe und die Weltmarktführerschaft gegangen, heute stehe vor allem um Profit. „GM ist ein Unternehmen, das immer mehr von der Wall Street geführt wird“, sagt Franz. Unberechenbar sei der US-Konzern, betont er. Darum glaube er erst an einen Verkauf, wenn die Tinte trocken sei. Applaus im Publikum.


„Es sind Managementfehler gemacht worden“

Er halte es für unmöglich, dass Opel alleine überleben könne. „Dazu haben wir zu wenig Ertragskraft und zu wenig Absatz“, sagt er und entschuldigt sich prompt, dass er schon wieder „wir“ gesagt hat, als er über Opel spricht. Der Betriebsrat müsse jetzt schon mit den Franzosen aushandeln, wie es mit den Modellreihen in den kommenden fünf Jahren weitergehe. Dann stellt er die offenen Fragen in den Raum „Was passiert in Eisenach? Kommt der Mokka? Welche Motoren und Getriebe werden in Rüsselsheim entwickelt?“

In den vergangenen Jahren habe GM zu viel Zukunftstechnologie aus Deutschland abgezogen, etwa die Elektroauto- und Wasserstoffentwicklung in Mainz-Kastel. „Es sind Managementfehler gemacht worden“, sagt Franz.

Darum sei es wichtig, die Arbeitnehmer künftig stärker zu beteiligen. Die neue Unternehmensform sei entscheidend für die Zukunft von Opel. Mit einer GmbH könne PSA durchregieren. Franz plädiert für eine europäische Aktiengesellschaft, eine SE. Nur damit könne garantiert werden, dass das Management sich nicht aus der Verantwortung stehle.

Franz geht es um ein gesetzlich garantiertes Mitspracherecht. Mit seinem Nachfolger Schäfer-Klug hat er sich überworfen, weil der es zuließ, dass 2014 eine Holding oberhalb der Adam Opel AG gegründet wurde. Franz ist ein Gewerkschafter vom alten Schlag, aber kein Ideologe. Und er will auch nicht als Opel-Kritiker wahrgenommen werden. Darum beendet er seine Rede zur aktuellen Situation mit dem Satz, mit dem er derzeit auch gerne seine Interviews beendet. „Die Hochzeit kann gelingen, wenn ein guter Ehevertrag ausgehandelt wird“. Dafür brauche jeder „sein eigenes Zimmer“.

Der Rest seines Vortrags sind Geschichten der Vergangenheit. Franz erinnert an die existenziellen Ängste von 2009, als Opel beinahe durch die GM-Insolvenz mit in den Abgrund gerissen wurde. Er erzählt, wie die Gewerkschaft Interessenten wie den Fiat-Chef Sergio Marchionne aus dem Feld fochten, wie er sich mit Chinesen traf, die nichts übrig hatten für Arbeitnehmervertreter, und wie er den damaligen Bundesfinanzminister Hans Eichel um eine Milliarde Euro anpumpte. Sehr enttäuscht sei er gewesen, als der Verkauf an Magna im letzten Moment platzte, weil sich GM doch anders entschied. „Opel war nie mehr als eine Milchkuh, die man zu stark gemolken hat“, sagt Franz.

Wie zerrüttet die Ehe zwischen GM und Opel mittlerweile ist, wird deutlich, als die alten Opelaner im Publikum von ihren Erinnerungen an die Partnerschaft erzählen. Selbst den Einbau einer Abschleppöse habe man sich damals in Detroit genehmigen lassen müssen. Genehmigt wurde nur eine an der hinteren Stoßstange. „Ein Opel schleppt ab, aber wird nicht abgeschleppt“, lautete die Begründung. Gelächter im Publikum. Den Humor haben sie in Rüsselsheim noch nicht verloren.

Ein anderer Diskutant spricht über seine „unbändige Wut“ und über die „Grabesstille“, die derzeit vonseiten der Arbeitnehmervertreter herrsche. Das Ende der Beschäftigungssicherung sei „einen Wimpernschlag“ entfernt. Jetzt sei doch die Zeit, um zu Mobilisieren und „einen kleinen Aufstand zu starten“. Doch aktuell verweigere der Betriebsrat um Schäfer-Klug nahezu jede öffentliche Kritik. Franz könnte in diesem Moment abrechnen mit seinen Nachfolgern. Doch er hält sich bewusst zurück. Die Strategie müssten seine Nachfolger selbst festlegen. „Sag doch, was Du denkst, Franz“, raunt einer im Publikum.


„Klar sind wir erst mal zusammengebrochen“

Doch nicht alle betrachten den Verkauf an PSA mit Sorge. Ein Mann im Publikum kritisiert die „Negativberichte in den Medien“. PSA kaufe Opel schließlich nicht für mehrere Milliarden, um die Stückzahlen zu reduzieren. Im Gegenteil könne man jetzt damit rechnen, dass mehr Entwickler eingestellt würden. Bislang komme viel Technologie, unter anderem für den neuen Insignia, aus den USA.

Als ein Mann im Publikum fragt, warum nun kein „Arbeitskampf“ organisiert werde, springt auch ein junger Mann im Karohemd auf. Er sei selbst Ingenieur bei Opel und kenne die Stimmung im Unternehmen. Unter dem Opel-Chef Karl-Thomas Neumann habe sich vieles zum Positiven verändert. Der Betriebsrat arbeite gut mit dem Management zusammen.

„Klar sind wir erst mal zusammengebrochen“, gibt er zu. Die Nachricht vom Verkauf habe alle kalt erwischt. Man sei gerade so positiv unterwegs gewesen, habe endlich wieder „coole Autos“ gebaut. Ein Gewinn, sagt er, wäre nur noch eine Frage der Zeit gewesen. Aber man solle sich auch klarmachen, welche Chance in einem Verkauf an PSA liegen. Es sei nicht der Zeitpunkt für eine Konfrontation. „Es ist schwierig, einen Kampf zu führen, wenn man nicht weiß gegen wen“, sagt er. Franz sekundiert. Den letzten Arbeitskampf bei Opel habe es 1984 gegeben.

Als die Lesung beendet ist, geht die Debatte unter den Opelanern weiter. Franz steht immer noch hinter seinem Pult in einer Menschentraube, signiert. Den Vorschlag aus dem Publikum, ihm für seine Rettungstat im Jahr 2009 ein Denkmal zu setzen, hatte er zuvor schnell beiseite gewischt. „Ach was“. Er fühlt sich noch nicht reif fürs Museum. Er will Opel helfen, ein letztes Mal.

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