Recaro und BMW Das sind Deutschlands beste Fabriken

Kunden in die Entwicklung einbeziehen, Fehler transparent machen, Mitarbeiter nach Vorschlägen fragen: Der Schlüssel zum Erfolg lautet "Komplexes einfach machen". Was Deutschlands beste Fabriken auszeichnet.

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Mark Hiller, Zsolt Kulcsar, Joachim Ley Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche

Hundert Kilo wiegt die Metallpuppe, die auf dem grauen Flugzeugsitz drapiert ist, der im Testlabor von Recaro Aircraft Seating steht. Unentwegt wird er vor- und zurückgekippt – 100.000 Mal muss er die Prozedur überstehen. Dann hat er den Test bestanden. Einen von vielen. 100.000 Anforderungen muss ein Sitz erfüllen, bevor er den Segen von Luftfahrtbehörden, Flugzeugbauern, Airlines und Recaro selbst erhält. Die Bezüge etwa müssen schwer entflammbar sein, die Armlehne darf eine bestimmte Höhe nicht überschreiten.

Und: Jeder Kunde kann die Sitze nach seinen Wünschen konfigurieren – von der Farbe bis zur Kopfstütze. Bis zu 30 unterschiedliche Sitze gibt es in einem Flugzeug: In der ersten Reihe kommen die Tische aus der Armlehne, die letzte Reihe braucht keinen Bildschirm in der Rückenlehne. „Diese enorme Vielfalt, gepaart mit hoher Qualität und 100-prozentiger Liefertreue, ist schon beeindruckend“, sagt Arnd Huchzermeier, Professor an der WHU – Otto Beisheim School of Management und Jurymitglied beim Wettbewerb „Die Beste Fabrik“.

Gemeinsam mit seinen Kollegen von der TU Eindhoven, der Rotterdam School of Management, der Koç Universität, der IESE Business School, der HEC Paris, der Judge Business School und Insead hat Huchzermeier Recaro zum deutschen Sieger erkoren. Der Mittelständler konnte sich knapp gegen das Cockpitwerk von BMW in Wackersdorf durchsetzen. Nur wer sowohl mit seinem Geschäftsmodell als auch mit dessen Umsetzung überzeugt, kann den deutschen Teil des europaweit ausgeschriebenen Industrial Excellence Awards gewinnen.

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Recaro zählt zu den größten Flugzeugsitzherstellern der Welt

„Spitzenqualität ist die beste Immunisierungsstrategie gegen Wettbewerber aus Fernost“, sagt Huchzermeier. Und damit wichtig für die deutsche Wirtschaft. Liegt doch der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt seit 20 Jahren auf unverändert hohem Niveau – 2014 bei 22,3 Prozent. Und damit deutlich höher als etwa in Frankreich (11,4 Prozent) oder Großbritannien (9,4 Prozent).

Grundlage für diesen Erfolg: Mittelständler wie Recaro, der mit 14 Prozent Marktanteil zu den größten Flugzeugsitzherstellern der Welt zählt. Umsatzziel bis 2018: 600 Millionen Euro – ein Plus von 60 Prozent. Eine realistische Prognose, denn die Zahl der weltweit eingesetzten Passagierflugzeuge wird sich in den nächsten 20 Jahren verdoppeln – auf 37.500. 12.000 weitere Maschinen werden ersetzt.

So schneidet Deutschland als Wirtschaftsstandort ab

Alleine am Standort in Schwäbisch Hall produziert Recaro jährlich 30.000 Sitze – und das ganz ohne Automatisierung: In der Werkshalle gibt es keine Roboter. Gebeugt über ausgedruckte Konstruktionszeichnungen setzen Mitarbeiter jeden einzelnen Sitz Schritt für Schritt zusammen. „Gute deutsche Handarbeit“, sagt Hirofumi Matsuo, Professor an der Kobe-Universität und Juror. „Diese Menge an Varianten lässt keine automatisierte Fertigung zu.“

Die nächste Generation der Industrie wird den Arbeitsmarkt umkrempeln. Skeptiker fürchten Stellenstreichungen, doch tatsächlich entstehen mit der Digitalisierung völlig neue Beschäftigungsbereiche. Die Jobs der Zukunft.

Trotzdem liegt die Reklamationsquote bei nur einem Prozent. „Wir sind stolz auf unsere qualifizierten Mitarbeiter“, sagt Mark Hiller, geschäftsführender Gesellschafter von Recaro Aircraft Seating. „Ohne sie wäre diese Qualität nicht zu gewährleisten.“ Im Schnitt bleiben sie zehn Jahre, kennen Produkte und Arbeitsschritte bis ins Detail.

Initiative der Mitarbeiter ist gefragt

Doch Recaro investiert nicht nur in seine Mitarbeiter. 13 Prozent des Umsatzes fließen in die Forschung. Ständig neue Anforderungen und Kundenwünsche machen es nötig. Fast jeden Tag ist eine Airline vor Ort, um sich Prototypen anzusehen oder mit den Entwicklern die Ausstattung zu besprechen. Für jeden Auftrag ist ein Team zuständig. Um den Überblick zu behalten, wird jedes Projekt auf einem DIN-A4-Blatt festgehalten und in einem Gemeinschaftsraum aufgehängt. „Wir wollen eine Kultur leben“, sagt Hiller, „in der es nicht darum geht, für Fehler Schuldige, sondern eine Lösung zu finden.“ Um Probleme früh zu erkennen, ist jedes Projekt in acht Phasen unterteilt – von der Planung über die Entwicklung bis hin zur Auslieferung. Nach jeder Phase prüfen Mitarbeiter aus anderen Teams, den Fortschritt – „das“, sagt Hiller, „garantiert einen frischen Blick“.

Im BMW-Werk Wackersdorf garantieren Produktionsleiter Jens Kamphausen und Cockpit-Gesamtleiter Ulrich Dahmen den Blick von außen auf andere Weise: Sie vergleichen die Leistung der rund 330 eigenen Mitarbeiter, die täglich 3300 Cockpits produzieren, mit der Leistung der Zulieferer. Klappt es beim Lieferanten nicht wie vereinbart, steigen die Bayern schon mal für einen Einsatz vor Ort in den Jet. Schneidet das BMW-Werk schlechter ab als die Zulieferer, reisen Fachkräfte des Autokonzerns zum Kunden, um von dessen Wissen zu profitieren – so wie vor Kurzem, als die Spritzgussanlage zu viel Ausschuss produzierte.

Thorsten Pflamm-Jonas, Jens Kamphausen, Kathrin Härtel und Ulrich Dahmen Quelle: Dieter Mayr für WirtschaftsWoche

Darauf zu achten, dass Situationen wie diese nicht an einer fehlerhaften Bedienung der Maschinen liegen, ist Aufgabe von Kollegen wie Erdogan Özdemir. Er ist einer von gut einem Dutzend Vorarbeiter im Werk, die das Management von der Arbeit in der Produktion freigestellt hat, um die Abläufe an den einzelnen Stationen zu verbessern. „Wir wollen die Lösung nicht von oben vorgeben“, sagt Kathrin Härtel, verantwortlich für Produktionsabläufe, „sondern Ziele definieren, die die Mannschaft dann auf eigenem Wege erfüllen soll.“

Das gilt nicht nur für das Verhältnis zwischen Management, Meistern und Vorarbeitern – auch die Initiative der Mitarbeiter am Band ist gefragt. Deshalb diskutieren sie mit Vorarbeitern vor Schichtbeginn fünf Minuten über Möglichkeiten, Fehler abzustellen. Und werden in Workshops angeleitet, über Experimente Abläufe in kleinen Schritten zu verbessern.

Ergonomische Arbeitsplätze und physiotherapeutische Betreuung

Statt etwa das gesamte SAP-System für viel Geld umzukrempeln, um die Fehlerrate bei der Kommissionierung eines Klappfachs zu senken, klebte das Team in Eigenregie den Bildschirm so ab, dass die relevanten Informationen unmissverständlich zu erkennen waren. Die Fehlerquote sank in kürzester Zeit um 80 Prozent – Kosten: 0 Euro. „Der Wissensaustausch klappt vorbildlich – mit externen Partnern ebenso wie innerhalb, über alle Hierarchieebenen hinweg“, sagt Huchzermeier.

Und auch das Ergebnis stimmt: Alle 23 Sekunden läuft ein Cockpit vom Band. Nur über diese hohe Taktzahl lassen sich die hohen Renditevorgaben der Konzernmutter erfüllen. Damit die im Schnitt 46 Jahre alten Mitarbeiter nicht zu schnell erschöpft sind oder wegen Krankheit ausfallen, wechseln sie nicht nur alle zwei Stunden aus der anstrengenden Montage ins Lager. Über das Programm „Heute für morgen“ sorgt BMW auch für ergonomische Arbeitsplätze und physiotherapeutische Betreuung. Die Folge: Die Ausfallquoten in der Belegschaft sind von 2013 auf 2014 um mehr als 20 Prozent gesunken. „Man kann für Geld vieles kaufen“, sagt Cockpit-Gesamtleiter Dahmen. „Ein funktionierendes Team aber nicht – und in der besten Fabrik kommt es auch auf die richtige Mannschaft an.“

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