Dass Manager grundsätzlich schadensersatzpflichtig sein können, auch mit hohen Summen, stellte der Bundesgerichtshof schon 1997 im Arag-Fall klar. Bei dem Rechtsschutzversicherer hatte der Finanzvorstand mit unerlaubten Transaktionen Millionenverluste eingefahren. Zwei zerstrittene Familienstämme hinter der Arag fochten die Frage, ob der Mann verklagt werden sollte, bis in die letzte Instanz aus. Ergebnis: Aufsichtsräte müssen Schaden vom Unternehmen abwenden – auch durch Schadensersatzprozesse gegen eigene Manager. Der Arag-CFO wurde zu 55 Millionen Mark Schadensersatz und viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Das Arag-Urteil war nur der Auftakt. Rechtsverschärfungen verbreiterten die Basis für Compliance-Streitsachen. 1999 verbot das Strafrecht Bestechung, die bis dahin steuerlich abzugsfähig war. Es folgte der Corporate Governance Kodex, später verschärfte der Gesetzgeber das Aktienrecht. „Die erste größere Welle von Schadensfällen folgte auf den Zusammenbruch des Neuen Markts und seiner Stars“, erinnert sich D&O-Anwalt Oliver Sieg von der Kanzlei Noerr in Düsseldorf.
Es folgte eine lange Reihe von aufgedeckten Kartellen. „Immer mehr heimliche Preisabsprachen kommen heraus, seit Unternehmen, die als Whistleblower voranpreschen, Rabatte bei den Millionenbußen oder sogar Straffreiheit bekommen können“, sagt Anwalt Oliver Maaß von der Kanzlei Heisse Kursawe in München. Die verhängten Bußgelder und die Schadensersatzzahlungen an die Kartellopfer holen sich die Unternehmen von den einst verantwortlichen Führungskräften zurück.
Den nächsten großen Schwung von Managerhaftungsfällen bescherte die Finanzkrise. Der Gesetzgeber hat die Verjährungsfristen zur Verfolgung der Finanzbosse 2011 auf zehn Jahre verdoppelt – dauern diese Fälle im Schnitt doch acht bis zehn Jahre. Die D&O-Anbieter HDI, VOV und Axa versichern wegen des hohen Risikos keine Finanzdienstleister mehr.
Auch Insolvenzverwalter haben D&O-Policen für sich entdeckt: als Vermögenswert, den sie realisieren können. Eine Sonderprüfung bei der IVG wäre die erste im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. „Viele Manager, die versuchen, Firmen zu sanieren, werden hinterher vom Insolvenzverwalter verfolgt“, klagte jüngst Ex-Arcandor-Grande Middelhoff.
Gerne halten sich Insolvenzverwalter auch an den Aufsichtsrat – „insbesondere, wenn dort solvente Leute sitzen“, sagt der Düsseldorfer Insolvenzverwalter Dirk Andres. Er habe schon erlebt, „wie ein Aufsichtsrat 100 000 Euro aus der Privatschatulle zahlen musste“, weil er Zahlen des Wirtschaftsprüfers nicht hinterfragt hatte.
Aufsichtsräte sind in Sachen Schadensersatz Jäger und Gejagte. Die juristische Schlachtordnung in vielen Unternehmen heißt heute jeder gegen jeden: Aufsichtsräte gegen Vorstand, Vorstand gegen Aufsichtsrat, Aufsichtsräte gegeneinander.