Rekordjahr 2018 Fast eine Million E-Bikes verkauft – die Profiteure des Booms

E-Bikes sind im Trend: Cube, Haibike, Prophete und die anderen Profiteure des Booms Quelle: Getty Images

Der E-Bike-Boom ist ungebrochen. 2018 wurden so viele E-Bikes verkauft wie noch nie. Und das ist noch nicht das Ende. In Deutschland profitieren davon gleich drei Akteure: Fachhandel, Hersteller und ein Technikgigant.

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Das war ein Rekordjahr: 2018 verkauften deutsche Fahrradhändler 980.000 E-Bikes. Das gab am Donnerstag der Zweirad‐Industrie‐Verband (ZIV) bekannt. Der ZIV geht davon aus, dass der Anteil an Elektrorädern in den nächsten Jahren weiter steigen und bald über ein Drittel der verkauften Räder ausmachen wird – das wären rund 1,5 Millionen Stück pro Jahr.

Das freut hierzulande viele, denn Deutschland hat nicht ein Tesla, sondern viele. Allerdings auf zwei statt vier Rädern. Sie heißen Cube, Haibike oder Prophete kommen aus Waldershof, Sennfeld und Rheda-Wiedenbrück. Sie dominieren einen Markt, dessen Wachstum in Deutschland und Europa nur eine Richtung kennt: Nach oben. E-Bikes sind die Erfolgsgeschichte schlechthin des wenig verwöhnten Fahrradgewerbes.

Zwar sank die Produktion aller Gattungen Fahrräder, also auch konventionellen, in Deutschland seit dem Jahr 2000 von 3,4 Millionen Stück kontinuierlich auf 1,7 Millionen in 2017. Damit ist Deutschland aber nach Italien immer noch der zweitgrößte Produzent Europas.

Und die Zahl mag sinken, die Stückpreise aber steigen – dank Elektroantrieb. So kletterte der mittlere Preis für E-Bikes 2018 auf 2354 Euro. Er liegt damit gut 500 Euro über dem Durchschnittspreis für Rennräder und satte 1500 Euro über dem von Mountain-Bikes. Und die Gruppe der Menschen, die mit dem Gedanken an die Anschaffung eines E-Bikes spielen, wächst. Aus der Trittkraftunterstützung für schwächelnde Muskeln älterer Menschen ist der befreiende Antrieb für jede Bergtour, das Cruisen am Strand oder den Weg zur Arbeit geworden. Daher steigt der Anteil der E-Bikes am Fahrradabsatz unaufhörlich, in Europa ist Deutschland mit einem Marktanteil von 30 Prozent mit Abstand führend. So sehr, dass die Confederation of the European Bicycle Industry ein erstaunlich anmutendes Wachstum der Beschäftigungszahlen in der deutschen Fahrradindustrie festhält.

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Einige davon arbeiten für Thorsten Heckrath-Rose. Er ist einer der drei Familien-Geschäftsführer von Rose Bikes in Bocholt. Aus dem Fahrradhändler ist ein Produzent geworden, mit einem breit gefächerten Programm von Rennrädern, Stadträdern und zunehmend auch E-Bikes. „Wir haben da seit vielen Jahren definitiv viel ausprobiert“, sagt Heckrath-Rose. Auch, weil man nicht wusste, was genau geht. „Wir mussten uns erstmal über die Zielgruppe klar werden“.

Wer den Webshop der Marke aufruft, die ihre Fahrräder im wesentlichen per Versand verkauft, findet neben 49 Rennrädern oder 57 Trekking-Modellen in der Rubrik E-Bikes 20 motorisierte Trekking-Modelle. Zwei E-Mountain-Bikes verstecken sich hinter dem Link zur MTB-Abteilung. Gerade für Marken ohne großes Händlernetz seien E-Bikes eine Herausforderung. „Der Versandhandel funktioniert für E-Bikes ganz anders“, sagt Heckrath-Rose. Der vom Onlinehandel gebeutelte Fachhandel atmet dank des E-Bikes auf. Zu groß ist der Kundenwunsch nach Beratung und vor allem Probefahrten. Für viele bedeutet der Erwerb eines E-Bikes oft auch die Rückkehr auf ein Fahrgerät, das sie bisweilen jahrelang nicht mehr genutzt haben.

Läge der Anteil beim Online-Verkauf von Ersatzteilen oder Ausrüstung bei 80 Prozent und bei Fahrrädern bei 70 Prozent, so Heckrath-Rose, würden gerade mal 15 Prozent der E-Bikes in einen Karton gepackt und zum Kunden geschickt. Der Rest würde in Bocholt oder der Filiale in München gekauft.

In einer Umfrage von Anfang 2017 wollte Statista herausfinden, wo Menschen, die kein E-Bike im Haushalt haben, aber E-Bikes nicht grundsätzlich ablehnen, eines kaufen würden. 83 Prozent der Befragten hielten das stationäre Fahrradgeschäft für einen geeigneten Ort für den Kauf eines E-Bikes. Ein Online-Fahrradhändler erschien nicht mal der Hälfte eine etwaige Anlaufadresse und im allgemeinen Online-Handel würden gar nur 20 Prozent ein E-Bike ordern.

E-Bikes sind im Gegensatz zum normalen Fahrrad komplexer

Jörg Schindelhauer ist Mitgründer der gleichnamigen Fahrradmarke in Berlin. Ausschließlich Fahrräder mit Riemenantrieb in einem unverkennbarem Design mit viel Bezug zur Fixie-Szene sind der Kern des 2009 gegründeten Unternehmens. Zehn Jahre später werden die ersten E-Bikes an Kunden ausgeliefert. „In der urbanen Mobilität ist es nicht mehr wegzudenken“, sagt Ganzjahres-Radpendler Schindelhauer.

Ob als Cargo-Fahrräder für innerstädtische Transporte oder eine Schar Kinder: elektrisch betriebene Lastenräder sind längst Teil des Stadtbilds. „Es gibt viele Nutzungsszenarien für Familien“, sagt Schindelhauer. Zwei Modelle waren von Beginn an darauf ausgelegt, Kindersitze, die Wocheneinkäufe oder auch eine Kiste Bier zu transportieren.

Das sportliche Segment wiederum hat sich die reine Online-Marke Canyon aus Koblenz als erstes vorgeknöpft. „Wir waren sicher spät dran mit unserem ersten E-Bike“, räumt Thorsten Lewandowski, Kommunikationsleiter von Canyon ein. Aber wie bei vielen sportlichen Marken hätte es Zeit gebraucht, bis die Einführung eines nicht ausschließlich von Muskelkraft betriebenen Fahrrades nicht als schädlich für den Markenkern bei der Klientel wahrgenommen wurde. „Die erste Generation E-Bikes hätte nicht zur Marke gepasst“. Heute ist bei Canyon nach der Einführung zweier Mountain-Bikes nicht mal mehr ein Rennrad mit E-Antrieb undenkbar. „Es muss dann aber eine möglichst eigenständige Lösung sein“, sagt Lewandowski.

Elektro-Fahrräder: Was ist was?

Auch bei Rose in Bocholt weiß man, dass Trekking-Bikes nicht das Ende der Möglichkeiten sind. „Es ist anders als bei konventionellen Fahrrädern: Alles ist neu, es gibt keine Vorbilder. In vielen Punkten muss man herumprobieren“, sagt Heckrath-Rose. So zum Beispiel beim Service. Rose kooperiert in sieben Städten in Deutschland mit dem mobilen Anbieter Live-Cycle, der den persönlichen Kontakt zum Kunden herstellt, das Rad ausliefert, montiert und auch Reparaturen übernimmt.

Dass der E-Bike-Boom an sich oder überhaupt so möglich ist, verdankt die Branche auch ausgerechnet den Zulieferern und in Deutschland maßgeblich einem Unternehmen, das man auf Anhieb dort gar nicht vermutet: Bosch. Der Produktbereich eBike Systems ist erst 2009 gestartet, seit 2012 leitet Claus Fleischer den Bereich. „Wir profitierten bei der Gründung natürlich auch von dem Know-how, das im Konzern vorhanden ist“, sagt Fleischer. Mit Sensoren und Antriebstechnologie sei der Automotive-Teil des Konzerns vertraut, Akkutechnologie beherrschen die Kollegen von den Power Tools.

E-Bikes sind im Gegensatz zu einem normalen Fahrrad komplexe Technologie. Schnell mal in der Werkstatt einen Rahmen zusammenlöten und standardisierte Bauteile montieren, reicht nicht. Fahrradproduzenten, die auf E-Bikes setzen, müssen sich mit der Konstruktion für Kabelage, Akku und Antrieb auseinandersetzen. Ein Standardmotor für alle Fälle würde schnell der Kreativität der Szene ein Ende setzen. „Wir haben also daran gearbeitet, die Zielgruppen zu erweitern“, sagt Fleischer. Bosch gab den Herstellern ein Produktportfolio an die Hand, mit dem sich von Chopper bis Lastenrad Fahrräder entwickeln lasse. Noch immer sei die Fahrrandbranche nicht konsolidiert und zahllose mittelständische kleine Betriebe bestimmten das Angebot, so Fleischer.

Dass heute Mountainbiker mühelos die Berge hochfahren, ist auch ein Effekt, den Bosch befördert hat, indem das Unternehmen speziell für dieses Segment Technologie entwickelte, die nicht allein hilft, die Anstrengung zu überwinden, sondern auch ein angenehmes Fahrgefühl zu schaffen. „Uphill flow“ nennt Bosch das und will damit erreichen, dass „Anforderung und Können im Einklang sind“.

Doch beim Antrieb endet heute die Entwicklung der E-Bikes nicht. ABS oder Konnektivität mit den Mobilgeräten und im Internet sind die nächsten Themen, die der Markt aufnehmen soll. „E-Bikes sind ein Premiumprodukt, es ist unsere Aufgabe, Innovationen anzutreiben“, sagt Fleischer. Dazu zählt auch der enge Kontakt zum Fachhandel, denn auch für den ein oder anderen alteingesessen Händler sind motorisierte, gar digitalisierte Antriebe noch Neuland.

Infrastruktur der Städte hinkt E-Bike-Boom hinterher

Beim weiteren Wachstum der E-Bike-Branche kämpft Fleischer deswegen an anderen Fronten und teils Hand in Hand mit ganz anderen Parteien. Zum einen sei es wichtig, die Nutzung von Pedelecs, die bis zu einer Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern Motorkraft geben, mit wenig gesetzlichen Regularien zu belegen.

Führerschein, Helmpflicht oder gar eine Versicherungspflicht wären im deutschen Markt, der der stärkste in der EU ist, ein Wachstumsdämpfer. Fleischer geht dagegen ebenso an, wie gegen die Möglichkeit, mittels wenig Aufwand, das E-Bike so zu tunen, dass der Motor auch bei Geschwindigkeiten bis 40 Stundenkilometer weiter unterstützt - eine Geschwindigkeit, die den S-Pedelec vorbehalten ist, die unter anderem versicherungspflichtig sind und nicht auf Radwegen fahren dürfen.

Von 2019 an sollen Sperren verhindern, dass Besitzer ihre Pedelecs damit schneller machen. Das ist zwar auch heute schon verboten und führt wegen des Wegfalls der Betriebserlaubnis im Falle eines Unfalles mindestens zu einer Mitschuld – aber das hindert spezialisierte Onlineshops nicht daran, die nötige Hardware zu verkaufen. „Wir sind da gerne der Spaßverderber, damit die gesamte Branche noch lange Spaß hat“, sagt Fleischer.

Wenn man denn noch Spaß hat auf dem Rad. Denn dort, wo immer mehr Menschen aufs E-Bike umsteigen, sei es zur Erholung oder zur Fahrt zur Arbeit, wird es enger. „Die Infrastruktur in den Städten hinkt hinterher“, sagt Fleischer. Da erhält er Unterstützung vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC). Der Verband sieht auch dank der E-Bikes eine stärkere Nutzung des Zweirads als städtisches Verkehrsmittel oder auf dem Land bei längeren Entfernungen. Dem müsse sich eben auch die Infrastruktur anpassen – nicht alleine die zum Fahren, sondern auch die zum Abstellen der Räder. Gerade die für die kostspieligen und unter Kriminellen beliebten E-Bikes.

Und während die Deutschen beim Kauf von E-Bikes in Europa an erster Stelle stehen, ist die Fahrrad-Infrastruktur laut Krone „40 Jahre zurück“. Es ist eine klare Forderung, die der ADFC deswegen an die Politik richtet: „Wir brauchen Hunderttausende Kilometer von drei bis vier Meter breiten, top-asphaltierten Express-Radwegen quer durch unsere Städte – und raus in die Regionen –, damit der Umstieg auf das effizientere und umweltfreundlichere Verkehrsmittel gelingt. Die Niederlande machen vor, wie es geht.“

Aber auch der Gesetzgeber sei gefordert. Kommunen müssten leichter Fahrradstraßen einrichten dürfen. Bislang müssen sie nachweisen, dass die Straße auch vorher schon für Fahrräder wichtig war. „Aber wenn die Straßen nicht für Fahrräder ausgelegt sind, fahren die Menschen dort nicht lang“, sagt Krone. In vielen Straßen in den Städten sollten laut ADFC die Geschwindigkeit grundsätzlich auf Tempo 30 gehen und nur in Ausnahmen die heute gültigen 50 km/h erlaubt sein. Und der Überholabstand von 1,50 Meter müsse verpflichtend in die StVO aufgenommen werden.

Ob Fleischer jeder dieser Forderungen so zustimmen würde, ist offen. Aber klar ist allen Beteiligten: Sollte das Wachstum der E-Bikes so weitergehen und immer mehr Menschen das Rad statt des Autos wählen, wie es in Dänemark oder den Niederlanden üblich ist, dann wird es leerer auf den Straßen, aber voller auf den Radwegen. Und das könnte das Wachstum rasch ausbremsen.

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