Das liegt auch am missglückten Krisenmanagement der Japaner. In einem Bericht der New York Times warfen ehemalige Mitarbeiter dem Unternehmen vor, es habe schon lange von Problemen mit den Airbags gewusst. Im Mittelpunkt der Vorwürfe: Ammoniumnitrat. Ein Salz, das zur Herstellung von Dünger und Sprengstoffen genutzt wird. Laut dem Bericht der New York Times entdeckte Takata die Chemikalie Ende der 90er Jahre als günstige Alternative für seine Airbags – denn auch die benötigen einen Zünder, der bei Unfällen planmäßig explodiert und Luft in das Kissen pumpt. Hinweise von Mitarbeitern, Ammoniumnitrat könne unter gewissen Umständen auch spontan und wesentlich heftiger explodieren, ignorierte Takata demnach.
Als 2004 in Alabama tatsächlich der erste Airbag explodierte, soll Takata laut ehemaligen Mitarbeitern eine ganz eigene Aufklärungsstrategie entwickelt haben. Nach dem ersten tödlichen Unfall sollen Takata-Ingenieure demnach alte Airbags von Schrottplätzen geholt und nach Feierabend geprüft haben. Zwei der fünfzig Zündkapseln explodierten angeblich dabei. Das Management jedoch ließ die Protokolle angeblich vernichten und informierte weder Kunden noch die amerikanische Sicherheitsbehörde NHTSA. Takata bestreitet diese Vorfälle.
Es dauerte vier weitere Jahre, bis Takata die ersten echten Konsequenzen zog – und Honda den Rückruf von 3940 Autos empfahl. Seitdem weitet sich der Skandal wie ein Pilzgeflecht aus. 2009 mussten eine halbe Millionen Autos in die Werkstatt, 2014 waren es bereits acht Millionen. Erst im Februar dieses Jahres erhärtete eine von zehn betroffenen Autobauern finanzierte Studie den Ammoniumnitrat-Verdacht.
Die Studie listet drei Gründe für die fehlerhaften Airbags auf: Die Verwendung Ammoniumnitrats, das Feuchtigkeit nicht absorbieren kann. Ein feucht-warmes Klima. Und eine Konstruktion des Airbags, die das Eindringen von Feuchtigkeit nicht verhindern kann. Eine Studie des amerikanischen Senats, veröffentlicht am gleichen Tag, kreidet Takata vor allem schlechtes Sicherheitsmanagement und zweifelhaften Umgang mit interner Kritik an. Laut Senat bestehen Zweifel an der Sicherheit aller Takata-Airbags, die mit Ammoniumnitrat gefüllt sind.
„Wir brauchen eine andere Unternehmenskultur“
Ferdinand Dudenhöffer, Autoexperte an der Universität Duisburg-Essen, überraschen solche Vorwürfe nicht. „Es gibt GAUs und es gibt Super-GAUs – das hier ist auf jeden Fall ein Super-GAU“, sagt Dudenhöffer. Er erklärt den Takata-Skandal mit mangelhafter Compliance und der falschen Unternehmenskultur. „Die Verschlossenheit und die autokratischen Prinzipen der japanischen Kultur und wichtiger japanischer Unternehmen sind das Problem.“ Auch der Zündschloss-Skandal bei General Motors sei wegen ähnlicher Probleme zustande gekommen. Der US-Autobauer habe seine Unternehmenskultur aber nach der Affäre geändert.
Wichtigste Voraussetzung für solche Veränderungen ist für Dudenhöffer ein striktes und wirkungsvolles Produkthaftungsrecht, das Hersteller zur Rechenschaft zieht. Schließlich sei es kein Zufall, dass die großen Autoskandale – General Motors, Takata, VW – ihren Ursprung alle in den USA gehabt hätten. Auf die Selbstheilungskräfte der wenigen Zulieferer zu setzen sei blauäugig.
Im konkreten Takata-Fall sieht Dudenhöffer indes nur geringe Genesungschancen. „Das Ganze fängt ja gerade erst an, die Klagen kommen ja gerade erst“, sagt er. Das genaue Ausmaß der Krise könne noch niemand abschätzen. Auch weitere Tote müsse man befürchten. „Autos mit Takata-Airbags fahren überall auf der Welt herum.“