Rochade bei Siemens „Keine guten News für die Belegschaften“

Postenrochade bei Siemens Quelle: imago images

Vollkommen überraschend schmeißen der designierte Siemens-Energy-Chef Michael Sen und sein CFO Klaus Patzak vor dem Börsengang der Sparte hin. Für die Mitarbeiter des künftigen Spin-Offs kommt das einer Hiobsbotschaft gleich.

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Dass Michael Sen zu Höherem berufen ist, daran bestand vor allem für Michael Sen selbst stets wenig Zweifel. Im Gespräch machte der Manager gerne klar, wer der eigentliche Chef von Siemens nach der Konzernaufspaltung sein wird: Er selbst natürlich. „Das Herz von Siemens war immer die Energie“, sagte der 52-Jährige noch vor einigen Wochen der WirtschaftsWoche. Als designierter Chef von Siemens Energy, das im Herbst als Spin-Off an die Börse gebracht werden soll, sah Sen offenbar einen galanten Weg, den ewigen Freund-Feind, Siemens-Chef Joe Kaeser, quasi auf der Außenbahn zu überholen.

Bei diesem Manöver wurde Sen nun radikal ausgebremst. Sen und sein designierter CFO Klaus Patzak verlassen das Unternehmen. Bereits im Mai übernimmt der Linde-Manager Christian Bruch bei Siemens Energy als CEO. Das gab Siemens gestern bekannt. Auch der überfällige Chefwechsel im Gesamtkonzern ist nun konkret: Roland Busch wird Joe Kaeser als Siemens-Chef beerben und spätestens bei der Hauptversammlung im Februar 2021 offiziell zum Nachfolger bestellt werden. Das war wenig überraschend. Für Staunen sorgt hingegen, dass Kaeser nun Aufsichtsratschef bei Siemens Energy wird. Kaum jemandem dürfte diese Postenrochade so missfallen wie Michael Sen. Er nimmt sich offenbar lieber selbst aus dem Rennen, als unter diesem Chefaufseher zu dienen. Verlieren dürften bei diesem hauseigenen Machtpoker vor allem die rund 90.000 Mitarbeiter, die mit Siemens Energy ohnehin in eine mehr als ungewisse Zukunft steuern.

Die Siemensianer in den Werken der Energiesparte wurden von der Entscheidung kalt erwischt. „Keine guten News für die Belegschaften“, schrieb ein leitender Mitarbeiter von Siemens Energy in einem Kurznachrichtendienst. Gewusst habe er von der Entscheidung im Vorfeld nichts. Seine Befürchtung: „Aufbruch und Gemeinsamkeit“ könnten nun den Bach hinuntergehen.

Die Wurzel solcher Nachrichten liegt in dem Kunststück, das Michael Sen gelungen ist: Innerhalb kürzester Zeit sammelte er die stark verunsicherte Mannschaft hinter sich und konnte ihnen trotz Sparzwang so etwas wie Zuversicht vermitteln. Dafür streifte Sen sogar den Anzug ab und verschrieb sich der Volksnähe. Dass er mit seinen Werksbesuchen ausgerechnet in Görlitz begann, wo die Furcht vor der letztlich abgeblasenen Fabrikschließung vielen immer noch in den Knochen sitzt, bewies Sens Gespür für die Nöte der Mitarbeiter und auch den Mut, sich diesen ohne Wenn und Aber zu stellen.

Auch die Börsenstory für Siemens Energy hatte Sen schon in groben Umrissen zurechtgezimmert, als ein anderer ihm in die Parade fuhr. Als Sen sich gerade anschickte, das Geschäft mit den Gas- und Dampfturbinen samt den Windkraftanlagen des zugeschlagenen Unternehmens Siemens Gamesa Investoren als grüne Wohltat zu verkaufen, lieferte sich Kaeser einen Showdown mit der Umweltbewegung Fridays for Future. Der Grund war die Zulieferung einer Signalanlage von Siemens an eine australische Kohlemine. An den Folgen dieses Glaubwürdigkeitsverlustes wird Siemens noch lange zu leiden haben.

von Andreas Macho, Karin Finkenzeller, Angela Hennersdorf

Dass die Reibung zwischen Sen und Kaeser beträchtlich sein kann, ist dabei nichts Neues. 2015 wechselte Sen von Siemens zum Essener Energiekonzern E.On, weil Kaeser ihn bei der Beförderung zum CFO wiederholt übergangen hatte. Dass ausgerechnet Kaeser es war, der ihn zwei Jahre später wieder zurück zu Siemens holte, gehört wohl zu den Eigenheiten dieses Bandes zwischen zwei Männern. Nun dürfte es endgültig gerissen sein. Den Siemensianern wird das in dieser ohnehin katastrophalen Lage zwischen Pandemie und Börsengang wohl die letzte Sicherheit rauben.

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