Rohstoffknappheit Der Papiermangel in sechs Grafiken

Längst nicht jedes Papier ist knapp, bestimmte Sorten dafür umso mehr. Quelle: dpa

Nicht nur die Impfpflicht soll daran scheitern: Druckereien schlagen Alarm, weil sie zu wenig Papier bekommen. Ein Grund: Menschen sind seltener im Büro, bestellen aber mehr online. Eine Erklärung in sechs Grafiken.

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Die Buchverlage warnten schon im Herbst vor einem Papiermangel. Statt vier oder fünf Tagen müssten sie auf einmal sechs bis acht Wochen auf neues Druckpapier warten, erklärten damals große Verlage. Bald schon seien die Regale leergekauft - und nicht genug Papier für neue Auflagen vorhanden.

Der Bundesverband Druck und Medien (BVDM) meldete dann Anfang März, die Branche sei „massiv betroffen von einer bislang ungekannten Papierknappheit“. Für 21 Prozent der Unternehmen sei die Knappheit existenzgefährdend, bereits über siebzig Prozent der Druckereien müssten deshalb Aufträge ablehnen. Da wirkt die Meldung, dass der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen eine Impfpflicht wegen des Papiermangels für praktisch nicht durchsetzbar halte, beinahe überholt. 

Ja, es gibt eine Papierkrise in Deutschland. Ausgerechnet. Deutschland gilt als Papierfabrik Europas. Insgesamt 152 Fabriken für Papier, Pappe oder Zellstoff produzieren in Deutschland, die Branche setzte im vergangenen Jahr 15,5 Milliarden Euro um, stellte mehr als 23 Millionen Tonnen Papier und Pappe her.

Doch das reicht anscheinend nicht aus, um die Nachfrage zu erfüllen: Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts meldeten im Februar 92,4 Prozent der Hersteller für Druckerzeugnisse Materialknappheit – das ist ein höherer Anteil als in jeder anderen Branche. Die Situation hat sich in den vergangenen Monaten weiter zugespitzt. Auch, weil die Papierfabriken als Zulieferer selbst große Probleme haben. 78,7 Prozent litten im Februar unter dem Rohstoffmangel.

Allerdings betrifft der Mangel nicht die gesamte Branche. Längst nicht jedes Papier ist knapp, erklärt auch der Verband der Papierindustrie. In Deutschland etwa verwendeten Unternehmen und Verbraucher Papier und Pappe vor allem für Verpackungen. Im Jahr 2020 haben die Deutschen fast zehn Millionen Tonnen Papierverpackungen und Pappkartons verbraucht, berichtet der Verband. Bisher gibt es bei Verpackungspapier aber kaum Lieferprobleme. Auch 1,6 Millionen Tonnen sogenannter Hygienepapiere wie Toilettenpapier oder Küchenrollen wanderten über die Kassenbänder, Spezialpapiere zum Beispiel für Schecks oder Künstlerpapier machen nicht mal eine Million Tonnen aus. Nach den Verpackungen bleiben damit die sogenannten grafischen Papiere das wichtigste Segment. Dazu zählt etwa Zeitungspapier, Buchpapier oder auch das Druckpapier im Büro. Vor allem dieses hochwertige Material ist nun knapp.

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Das liegt auch an einem langfristigen Trend: Seit Jahrzehnten schon sinkt die Nachfrage nach grafischen Papieren. Die Menschen lesen weniger Zeitung, die Verlage reduzieren teils die Seitenzahlen. Während der Coronapandemie waren viele Beschäftigte auch seltener im Büro, haben weniger Dokumente ausgedruckt. Und weil zahlreiche Läden wegen der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus schließen mussten, haben diese auch weniger Werbematerial drucken lassen. Die Papierfabriken passten sich der Entwicklung an: Statt grafischem Papier stellen sie nun häufiger Verpackungskartons her.

Doch diese Umstellung kostet. Seit Jahren finden deshalb in der Papierindustrie Übernahmen und Verkäufe statt. Ein Beispiel: Die Papierfabrik Stora Enso in Sachsen wurde im vergangenen Jahr von der Schweizer Model-Gruppe übernommen. Auch dort sollen künftig Transportverpackungen produziert werden.

Im vergangenen Jahr aber zog die Nachfrage nach grafischem Papier plötzlich wieder an. Ein Grund: Handelsketten und Markenproduzenten wollten mit Briefsendungen und Katalogen verstärkt für ihre Produkte werben – und so den verlorenen Umsatz aus den Lockdown-Phasen wiedergutmachen.


Die Nachfrage zog ausgerechnet an, als es bereits an einem wichtigen Rohstoff für die Papierproduktion mangelte: Altpapier. Im Durchschnitt produzierten die deutschen Papierfabriken ihre Produkte 2020 zu 79 Prozent aus Altpapier. Zeitungsdruckpapiere werden rein mengenmäßig zu 112 Prozent aus Altpapier hergestellt, Wellpappe zu 108 Prozent. Es ist also mehr Altpappe nötig, um einen neuen Karton daraus herzustellen. Deutschland importiert auch deshalb regelmäßig Material aus dem Ausland.

Nur taugt nicht jedes Altpapier für jedes Produkt. Aus altem Versandkarton lässt sich kein blütenweißes Druckpapier herstellen. Um mehr grafisches Papier zu produzieren, brauchen die Papierfabriken also auch die alten Zeitungen und das Druckpapier aus der blauen Tonne. Doch genau das fehlte in der Coronapandemie. Stattdessen füllten sich die Mülltonnen mit Kartons und Versandtaschen von Onlinehändlern. Für das plötzlich stark nachgefragte grafische Papier gab es nicht genug passendes Material. Das trieb die Preise für Altpapier in die Höhe.


Nicht viel besser sieht es bei Zellstoff aus, der für die Herstellung von neuem Papier benötigt wird und zum größten Teil aus chemisch aufgeweichten Holzfasern produziert wird. Die deutschen Fabriken produzieren nur einen geringen Anteil Zellstoff selbst. Den Rest müssen sie aus dem Ausland importieren, zum Beispiel aus Brasilien. Doch weil es rund um die Welt Lieferschwierigkeiten gibt und Schiffe sich vor Häfen stauen, hat sich der Transport mittlerweile drastisch verteuert - und damit auch der Preis für Zellstoff. Und die Konkurrenz ist groß: Auch China importiert zum Beispiel Zellstoff und kauft den Markt leer.

Der Angriff russischer Truppen auf die Ukraine könnte die Situation nun noch verschlimmern. Denn auch Russland und die Ukraine sind wichtige Lieferanten für Rohstoffe wie Zellstoff, Stärke und Holz. Und als wäre das noch nicht genug, streiken in Finnland die Mitarbeiter des wichtigen Zellstoffherstellers UPM. Der Papiergroßhändler Inapa warnt deshalb bereits: „Der Wegfall dieser Mengen kann durch andere Hersteller nicht aufgefangen werden, was die Versorgungslage weiter verschärft.“


Hinzu kommt ein weiterer Faktor: Die Papierproduktion und auch das Papierrecycling braucht Energie - viel Energie. 16,8 Millionen Megawattstunden verbrauchten die Papierfabriken in Deutschland 2020. Strom aber hat sich in den vergangenen Monaten stark verteuert. Das treibt die Preise für Papier weiter in die Höhe. Der Großhändler Inapa etwa hat seit Dezember bereits drei Preisanpassungen angekündigt - und zusätzlich wegen der steigenden Spritpreise noch eine Erhöhung der Pauschale für Logistikkosten. Eine Lösung der Papierkrise ist damit noch nicht in Sicht.

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