Roland Busch folgt Joe Kaeser Die fünf Baustellen des neuen Siemens-Chefs

Siemens-Chef Joe Kaeser übergibt am Mittwoch den CEO-Titel an Roland Busch. Quelle: dpa

Siemens-Chef Joe Kaeser übergibt am Mittwoch den CEO-Titel an Roland Busch. Das Erbe Kaesers ist solide, hat aber seine Tücken – vor allem in den Digitalsparten herrscht Handlungsbedarf.

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Was war das noch für ein Auftritt vor einem Jahr! Von draußen schallten die Trillerpfeifen der Kohlegegner in die Münchener Olympiahalle. Drinnen auf der Bühne, wo sonst Rockstars vor 15.000 Menschen spielen, wirkte Siemens-Chef Joe Kaeser auf die Kohlegegner ein, die dem Münchener Technologiekonzern die Lieferung einer Zugsignalanlage an die australische Kohlemine Adani übel nahmen.

Mit der Show aus dem vergangenen Jahr wird die aktuelle Hauptversammlung von Siemens an diesem Mittwoch wohl nicht mithalten können. Statt vor großem Publikum wird die Hauptversammlung pandemiebedingt nur vor dem Bildschirm stattfinden. Dabei bringt der Termin am 3. Februar für Siemens eine der größten Zäsuren der vergangenen Jahre. Joe Kaeser übergibt nach sieben Jahren an der Siemens-Spitze den CEO-Titel an Roland Busch.

Der Blick auf die aktuellen Ergebnisse von Siemens zeigt, dass der promovierte Physiker und langjährige Siemensianer Busch einen solide aufgestellten Konzern übernimmt. Zwar ging der Umsatz  im Geschäftsjahr 2019/2020 – unter Herausrechnung des abgespaltenen Energiegeschäfts – im Vergleichszeitraum um zwei Prozent auf rund 57 Milliarden Euro zurück. Auch der operative Gewinn von 7,6 Milliarden Euro sank gering. Im Vergleich zu Konkurrenten wie General Electric kann Siemens mit diesem Ergebnis aber glänzen. Die Präsentation der letzten Quartalszahlen hat der Konzern sogar vorgezogen, so gut hat sich das Ergebnis zuletzt entwickelt. Die wirtschaftlichen Verwerfungen der Pandemie scheinen an Siemens abzuperlen.

Und doch hinterlässt Joe Kaeser seinem Nachfolger ein Erbe, das sich schwieriger gestalten könnte, als es auf den ersten Blick scheint. Kaeser hat den Konzern so radikal wie keiner seiner Vorgänger umgebaut: Die Medizinsparte (Siemens Healthineers) und der Energiebereich (Siemens Energy) brachte er als Spin-Offs an die Börse. Den verbliebenen Rest unterteilte er in die Sparten Industrieautomation (Digital Industries) und Gebäude- und Elektrotechnik (Smart Infrastructure). Auch die Bahnsparte (Siemens Mobility) ist nach der gescheiterten Fusion mit dem französischen Bahnkonzern Alstom bei Siemens geblieben.  

Formal ist die Neuausrichtung von Siemens damit abgeschlossen. Doch verdaut sind die Auswirkungen des Radikalumbaus noch keineswegs. Der Erfolg von Busch wird maßgeblich davon abhängen, wie rasch und effektiv er folgende Baustellen in den Griff bekommt:

1. Neuer Wachstumskurs

„Joe Kaeser hat den Konzern umgebaut, aber er ist mit dem Umbau auf halber Strecke stehen geblieben. Woher das Wachstum in den digitalen Geschäftsfeldern kommen soll, hat er offengelassen“, heißt es von einem ehemaligen hochrangigen Siemens-Manager. Auch in Aufsichtsratskreisen wird erwartet, dass Busch die „Konturen“ für die Kernsparten Digital Industries und Smart Infrastructure schärft und Wachstumsoptionen aufzeigt. Die Frage, ob und welche Akquisitionen im Digitalbereich notwendig sind, um für Wachstum zu sorgen, wird Busch bald beantworten müssen.

2. Neue Konkurrenz

Joe Kaeser hat Siemens durch die Konzentration auf die Digitalsparten in einen Ring geführt, in dem die Münchener zunehmend Konkurrenz von Softwaregiganten wie Microsoft, Amazon oder Alibaba bekommen. Zwar hält Siemens seine Nähe zum Kunden und seine Industrieerfahrung hoch. Ein Erfolgsgarant für die Zukunft ist das nicht. Sollte „Mindsphere“, das von Siemens entwickelte Betriebssystem für die digitale Fabrik, von Produkten der Konkurrenz ausgebootet werden, wäre das für Siemens ein katastrophaler Rückschlag. Noch ist das Match um das Betriebssystem der digitalen Fabrik offen.

3. Anschluss an die Spitze

In der Gebäude- und Elektrotechnik (Smart Infrastructure), einer Kernsparte des neuen Siemens, herrscht Handlungsbedarf. Den Korridor von 10 bis 15 Prozent Gewinnspanne verfehlte die Sparte im abgelaufenen Geschäftsjahr mit einer Rendite von 9,1 Prozent knapp. Das Ergebnis zeigt auch, wie konjunkturanfällig die Geschäfte der Sparte sind. Zudem ist Siemens mit seiner Gebäude- und Elektrotechnik keineswegs Marktführer. Diesen Titel hält der französische Konkurrent Schneider Electric inne. Busch muss erst zeigen, wie er zur Konkurrenz aufschließen will.

4. Interne Verwerfungen

Innerhalb der Belegschaft hat Kaesers Großumbau Unsicherheiten und Verwerfungen hinterlassen. Ausgestanden sind diese noch keineswegs. „Die Portfolio-Politik der letzten Jahre hat die Mitarbeiter zurecht in hohem Maß verunsichert: Mitarbeiter wurden verschoben wie Sachanlagen“, heißt es im Gegenantrag zur Hauptversammlung, den der Verein der Siemens-Belegschaftsaktionäre eingebracht hat. Dass mit Busch nun wieder ein Ingenieur an der Spitze von Siemens steht, wird von vielen Siemensianer zwar positiv aufgenommen. Die Verwerfungen innerhalb der Mannschaft zu kitten, wird aber eine der vordringlichsten Aufgaben von Busch sein.

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5. Umweltversprechen einlösen

Auf der Hauptversammlung im vergangenen Jahr kündigte Kaeser eine überraschende Maßnahme an: Siemens wolle bis zum Jahr 2025 eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen, um eine schnellere und umfassendere Reduktion von Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu erreichen. Damit wollte Kaeser offenbar den protestierenden Umweltschützern entgegenkommen. Mittlerweile muss Siemens das Milliardenversprechen nicht mehr alleine tragen. „Die Summe wird im Verhältnis 50:50 zwischen der Siemens AG und Siemens Energy aufgeteilt“, teilte Siemens auf Anfrage der WirtschaftsWoche mit. Auch wenn Busch sich die Kosten nun mit dem Spin-Off Siemens Energy teilen kann, muss er das Versprechen Kaesers erfüllen. Einen Schnitzer wie die Lieferung der Signalanlage an die Kohlemine Adani – und vor allem die vollkommen verunglückte Kommunikation des Konzerns über diesen Auftrag– darf Siemens sich nicht noch einmal leisten.

Mehr zum Thema: Siemens Energy schreibt wieder schwarze Zahlen und wird für seine grüne Zukunftstechnologie an der Börse gefeiert. Dennoch will das Unternehmen tausende Stellen streichen. Das Unternehmen kämpft mit Kohlegegnern - und teils alter Technologie. 

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