Der Standort existiert seit über 150 Jahren. Einst produzierten sie hier aus Bienengift ein Rheumamittel, später stellte der US-Konzern Pfizer auf dem Gelände Medikamente her. Seit einigen Jahren gehört das Werk in Illertissen bei Ulm nun zum russischen Unternehmen R-Pharm, das sich auf seiner deutschen Website als Auftragsfertiger für die Pharmabranche preist: Für andere Unternehmen übernimmt R-Pharm die Entwicklung, Produktion oder Abfüllung von Medikamenten.
Bald soll dort freilich ein ganz besonderes Mittel produziert werden – der russische Impfstoff Sputnik V. „Wir unternehmen alle Anstrengungen, damit es im Sommer losgehen kann“, sagte R-Pharm-Manager Alexander Bykow gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Innerhalb von drei, vier Monaten nach Zulassung können dort 100 Millionen Dosen für die EU hergestellt werden, hat der Chef des staatlichen russischen Direktinvestmentfonds RDIF, Kirill Dmitrijew, bereits durchblicken lassen. 100 Millionen Dosen würden bei zweifacher Impfung für 50 Millionen Menschen in der EU reichen.
Und Bayern wird nach Angaben von Ministerpräsident Markus Söder einen Vorvertrag mit der Firma für den Bezug des russischen Impfstoffs abschließen. „Sollte Sputnik zugelassen werden in Europa, dann wird der Freistaat Bayern über diese Firma zusätzliche Impfdosen – ich glaube, es sind 2,5 Millionen Impfdosen – wohl im Juli erhalten, um die Impf-Zusatzkapazitäten in Bayern zu erhöhen“, sagte der CSU-Politiker in München.
Weltweit ist Sputnik V in über 50 Ländern zugelassen. In Europa nutzen etwa Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Italien das Angebot aus Russland – oder haben dies zumindest angekündigt. Die Wirksamkeit von Sputnik V liegt laut Studien bei über 90 Prozent.
Wie sich die Corona-Impfstoffe unterscheiden
Forscher liefern sich weltweit ein Wettrennen um wirksame Impfstoffe gegen Covid-19. Alle Impfstoffkandidaten basieren auf demselben Grundprinzip: Dem Abwehrsystem des Körpers werden Teile des Coronavirus präsentiert (Antigene), auf die die Immunzellen eine Antwort (Antikörper) herausbilden und so eine Immunität gegenüber dem Krankheitserreger aufbauen.
Dabei gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen, etwa, welche Antigen-Teile dem Immunsystem wie präsentiert werden. Hier stehen derzeit zwei Entwicklungslinien im Fokus:
- Impfstoffe mit Vektorviren, das bedeutet so viel wie "Träger-Viren"
- und die neuartigen mRNA-Impfstoffe.
Stand: 11. Mai 2021
mRNA-Impfstoffe enthalten Abschnitte aus dem Erbgut des Coronavirus, die sogenannte messenger-RNA (kurz mRNA), die auch als Boten-RNA bezeichnet wird. Hiervon wird eine sehr geringe Menge dem Menschen in den Muskel injiziert. Die Körperzellen nehmen die Partikel auf und entschlüsseln die enthaltene Erbinformation. Kurzzeitig produzieren sie ein sogenanntes Spike-Protein, das an der Oberfläche des Coronavirus sitzt. Es macht vereinfacht gesagt dem Immunsystem deutlich, dass hier etwas Körperfremdes zu finden ist, das es unschädlich zu machen gilt. Für dieses Oberflächenprotein bildet das Abwehrsystem also Antikörper, die es ihm bei einer späteren Infektion mit dem Coronavirus ermöglichen, den Eindringling schnell zu erkennen und sofort eine Immunantwort parat zu haben.
Studien haben gezeigt, dass hiervon keine Gefahr für den menschlichen Körper ausgeht. Die eingeschleusten Erbgut-Teilchen werden innerhalb kurzer Zeit von den menschlichen Zellen abgebaut. Sie werden nicht in die menschliche DNA eingebaut. Sobald die mRNA des Impfstoffs abgebaut ist, findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Die mRNA-Impfstoffe können innerhalb weniger Wochen in sehr großen Mengen hergestellt werden. Sie bringen jedoch die Herausforderung mit sich, dass sie nach derzeitigem Forschungs- und Entwicklungsstand bei extrem niedrigen Temperaturen transportiert und dauerhaft gelagert werden müssen (-20 bis -80 Grad Celsius). Deshalb werden sie vorrangig in speziell dafür ausgerüsteten Impfzentren verabreicht. Hier soll der Moderna-Impfstoff allerdings einen Vorteil haben: Laut dem Hersteller kann er bis zu 12 Stunden bei Raumtemperatur und 30 Tage im Kühlschrank (2 bis 8°C) gelagert werden.
Für vektorbasierte Impfstoffe werden für Menschen harmlose Viren als kleine Transporter zweckentfremdet – sozusagen als trojanisches Pferd. Die Viren werden so verändert, dass sie in ihrem Erbgut auch den Bauplan für einen oder mehrere Bestandteile (Antigene) desjenigen Erregers enthalten, gegen den eine Immunität (Antikörper) aufgebaut werden soll. Das Prinzip ist immer das gleiche: Die menschlichen Zellen sollen auch hier Teile des Spike-Proteins des Coronavirus herstellen, damit das Immunsystem "weiß", wen es angreifen soll.
Auch hier werden die Viren-Erbinformationen nicht in die menschliche DNA eingebaut. Nach dem Abbau der von den Vektorviren übertragenen Erbinformation findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Vektorimpfstoffe wurden bereits zugelassen (zum Beispiel Ebola-Impfstoffe). Die Corona-Impfstoffe der Firmen AstraZeneca und Johnson & Johnson (J&J) sind Vektorimpfstoffe. Diese haben gegenüber den mRNA-Impfstoffen den Vorteil, dass sie bei Temperaturen von 2 bis 8 Grad Celsius transportiert und gelagert werden können. Das macht ihren Einsatz in normalen Hausarztpraxen simpler. Das J&J-Präparat hat zudem den Vorteil, dass es nur einmal verabreicht werden muss. Die drei anderen bislang in Deutschland zugelassenen Corona-Impfstoffe (von AstraZeneca, Biontech/Pfizer und Moderna) müssen zwei Mal gespritzt werden.
Quelle: RKI, eigene Recherche
Eine Zulassung in der EU wäre – gerade in den aktuellen politischen Turbulenzen – ein Gütesiegel für Russland. Doch soweit ist es noch nicht. Die europäische Arzneibehörde EMA prüft zwar, sichtet bereits Daten und inspiziert Anlagen. Noch gibt es kein klares Signal von der EMA, wann eine Zulassung erfolgen könnte. Die Behörde prüft parallel auch noch die Corona-Impfstoffe von Curevac aus Tübingen und dem US-Unternehmen Novavax. Immerhin möglich erscheint eine Zulassung im Juni – danach würde es allerdings noch drei bis vier Monate dauern, bis die Produktion hochgefahren ist.
Das Interesse an dem russischen Corona-Impfstoff ist in der EU allerdings nur mäßig ausgeprägt. Thierry Breton, der zuständige EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen und Leiter der Impfstoff Task-Force der EU, erklärte am Sonntag gegenüber dem französischen Fernsehsender TF1: „Wir haben absolut keinen Bedarf an Sputnik V“. Allein mit den in Europa hergestellten Impfdosen, die er auf 300 bis 350 Millionen beziffert, könne schon bis zum 14. Juli eine „Herdenimmunität“ auf dem gesamten Kontinent erreicht werden. Aus Sicht von Breton sollte die EU europäischen Impfstoffen den Vorrang geben. Einer Produktion des russischen Vakzins in Europa stehe er allerdings aufgeschlossen gegenüber.
Die Reaktion der russischen Impfstoff-Hersteller ließ dann allerdings nicht lange auf sich warten. Via Twitter warfen der Russian Direct Investment Fund und das Gamaleya National Center, das den Impfstoff entwickelt hat, Breton Voreingenommenheit gegenüber Russland vor. Der russische Impfstoff sei „wirksamer und sicherer“ als einige der in der EU zugelassenen Impfstoffe. Europäer würden sich eine Auswahl an sicheren und effizienten Impfstoffen wünschen, die die EU bislang nicht liefern würde.
Mit Agenturmaterial
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