Die Exportrückgänge sind aber nicht ausschließlich auf die von der EU verhängten Sanktionen zurückzuführen, sondern auch auf die schlechte Konjunkturentwicklung in Russland. „Die wirtschaftliche Dynamik in Russland nimmt bereits seit zwei bis drei Jahren deutlich ab“, sagt Cordes. „Oben drauf kommen nun noch die Sanktionen: Die treffen die russische Wirtschaft insbesondere im Finanzsektor. Die Möglichkeiten für russische Banken, sich am Markt zu finanzieren, haben sich deutlich verschlechtert.“
Die Tendenz in der Industrie hat sich bereits vor der politischen Krise abgezeichnet. Das lässt sich zum Beispiel an den Maschinenexporten beobachten, die mehr als ein Fünftel der deutsch-russischen Exportgeschäfte ausmachen. Laut Zahlen des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) ging der Maschinenexport nach Russland des Jahres 2013 bereits um 3,5 Prozent zurück. „Im Januar und Februar 2014, also noch vor der Krimannexion, gab es Einbrüche von 19 Prozent“, sagt Monika Hollacher, Russland-Referentin beim VDMA. „Erst im zweiten Halbjahr 2014 verlangsamte sich dieser Abwärtstrend.“
Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine
Das flächenmäßig nach Russland größte europäische Land besitzt jede Menge davon: Eisenerz, Kohle, Mangan, Erdgas und Öl, aber auch Graphit, Titan, Magnesium, Nickel und Quecksilber. Von Bedeutung ist auch die Landwirtschaft, die mehr zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt als Finanzindustrie und Bauwirtschaft zusammen. Etwa 30 Prozent der fruchtbaren Schwarzerdeböden der Welt befinden sich in der Ukraine, die zu den größten Weizenexporteuren gehört. In der Tierzucht spielt das Land ebenfalls eine führende Rolle.
Sie ist gering. Das Bruttoinlandsprodukt liegt umgerechnet bei etwa 130 Milliarden Euro, in Deutschland sind es mehr als 2700 Milliarden Euro. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt nicht einmal 3900 Dollar im Jahr. Wuchs die Wirtschaft 2010 um 4,1 und 2011 um 5,2 Prozent, waren es 2012 noch 0,2 Prozent. 2013 dürfte es nur zu einem Plus von 0,4 Prozent gereicht haben.
Exportschlager sind Eisen und Stahl, gefolgt von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und chemischen Produkten. Wichtigstes Importgut ist Gas. Auch Erdöl muss eingeführt werden. Die Ukraine könnte aber vom Energie-Importeur zum -Exporteur werden, weil sie große Schiefergasvorkommen besitzt.
Sie ist von der Schwerindustrie geprägt, besonders von der Stahlindustrie, dem Lokomotiv- und Maschinenbau. Ein Grund ist, dass die Sowjetunion einen Großteil der Rüstungsproduktion in ihrer Teilrepublik Ukraine angesiedelt hatte. Eine Westorientierung und die Übernahme von EU-Rechtsnormen könnte das Land zunehmend zum Produktionsstandort für westliche Firmen machen.
Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner der Ukraine. Gemessen an der Größe des Landes ist das deutsche Handelsvolumen aber unterdurchschnittlich. Zu den wichtigsten deutschen Exportgütern zählen Maschinen, Fahrzeuge, Pharmaprodukte und elektrotechnische Erzeugnisse. Wichtigste ukrainische Ausfuhrgüter sind Textilien, Metalle und Chemieprodukte. Nach Angaben des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft sind knapp 400 deutsche Unternehmen in der Ukraine vertreten. Bei den Direktinvestitionen liegt Deutschland auf Platz zwei hinter Zypern.
Chancen ergeben sich für die deutsche Wirtschaft vor allem im ukrainischen Maschinen- und Anlagenbau. Zudem ist die frühere Sowjetrepublik mit ihren rund 45 Millionen Einwohnern ein potenziell wichtiger Absatzmarkt für Fahrzeuge. Korruption und hohe Verwaltungshürden stehen Investitionen indes im Wege.
Rund ein Drittel der ukrainischen Exporte fließt in die EU. Eine engere wirtschaftliche Verknüpfung durch ein Handels- und Assoziierungsabkommen liegt auf Eis, nachdem Präsident Viktor Janukowitsch auf russischen Druck seine Unterschrift verweigerte. Für die EU ist die Ukraine für die Versorgung mit Erdgas von Bedeutung. Rund ein Viertel ihres Gases bezieht die EU aus Russland, die Hälfte davon fließt durch die Ukraine.
Mit Abstand wichtigster Handelspartner der Ukraine ist Russland. Ein Drittel der Importe stammt aus dem Nachbarland, ein Viertel der Exporte gehen dorthin. Der Regierung in Moskau ist eine Orientierung der Ukraine nach Westen ein Dorn im Auge. Stattdessen drängt sie das Land zum Beitritt zur Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland.
Streit flammt zwischen beiden Ländern immer wieder über Gaslieferungen auf. Die Ukraine importiert fast ihr gesamtes Gas aus Russland, muss dafür aber einen für die Region beispiellos hohen Preis zahlen. Der Konflikt über Preise und Transitgebühren hat in der Vergangenheit zu Lieferunterbrechungen geführt, die auch die Gasversorgung Europas infrage stellten.
Die Maschinenbauer trifft die Krise im Russland-Geschäft besonders hart. Zwar war der Rückgang mit 17 Prozent im Gesamtjahr 2014 geringer als befürchtet, nominal hat die Branche aber Geschäfte im Volumen von 1,3 Milliarden Euro verloren. Immerhin: Laut Treier konnten einige Maschinenbauer die Verluste in Russland und den ebenfalls schwierigen Märkten Brasilien und Türkei durch Wachstum in den USA, Großbritannien und China ausgleichen.
Russland fünftgrößter Markt für deutsche Maschinenbauer
Dabei sind nicht alle Maschinenbau-Bereiche gleich stark betroffen. Der Rückgang bei Bau- und Baustoffmaschinen, Bergbaumaschinen oder der Landtechnik ist deutlich größer als etwa bei Lebensmittel- und Verpackungsmaschinen. „Das Minus bei den Bau- und Baustoffmaschinen hängt sicher mit dem konjunkturbedingten Rückgang der Bautätigkeit in Russland zusammen“, sagt Hollacher. „Andere Branchen wie Nahrungs- und Verpackungsmaschinen könnten die Bestrebungen der russischen Regierung nach mehr „local content“ zu Hilfe kommen. Wer einen Industriezweig aufbaut, muss in Maschinen investieren.“
Trotz der Rückgänge bei den Maschinenexporten ist Russland aber nach wie vor einer der Top-Märkte für den deutschen Maschinenbau. Lange Zeit war es der viertwichtigste Markt für die deutschen Maschinenexporteure und 2014 lag Russland immer noch auf Platz fünf. Wichtiger waren nur China, die USA, Frankreich und Großbritannien.
Insgesamt erwartet der VDMA, dass die Exporte nach Russland 2015 aufgrund schwacher Auftragseingänge in 2014 weiter zurückgehen werden. „Auch die Erwartungen für die Auftragseingänge im laufenden Jahr sind gering, so dass mit einem Aufschwung 2016 noch nicht zu rechnen ist“, so die Russland-Referentin. Im Mai will der Verband eine Umfrage unter den Mitgliedsfirmen zu ihrer aktuellen Situation, ihren mittelfristigen Zukunftsplänen und Aussichten auf dem russischen Markt veröffentlichen.
Aus Sicht von Cordes sollten die Zukunftspläne nicht allzu pessimistisch ausfallen. „Niemand geht aus dem Land raus, weil im Grunde alle glauben, dass sich mittel- und langfristig die Situation stabilisiert. Allerdings treten die deutschen Investoren auf die Investitionsbremse“, sagt der Ost-Ausschuss-Vorsitzende. „Alle in Russland aktiven deutschen Unternehmen sagen mir, sie verfolgen jetzt eine Art Überwinterungsstrategie.“