Russland Wie die Sanktionen deutsche Unternehmen treffen

Opel stellt die Produktion in Russland ein, anderen deutschen Unternehmen entgehen Milliarden-Geschäfte. Noch schwerer als die Sanktionen wirkt die Schwäche der russischen Wirtschaft selbst.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die deutsch-russische Zusammenarbeit leidet unter der politischen Krise, wie die geplatzen Gas-Deals zeigen Quelle: dpa

Rainer Seele kann sich freuen. Bei der Jahrespressekonferenz stellte der Wintershall-Chef das zweitbeste Ergebnis der 121-jährigen Geschichte des Unternehmens vor. Deutschlands größter Erdöl- und Erdgasförderer verdiente bei einem Umsatz von 15,1 Milliarden Euro unterm Strich 1,46 Milliarden Euro. Ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann – auch wenn es nicht ganz an das Rekordjahr 2013 heranreicht.

Vor allem, wenn man die Umstände bedenkt: Der Ölpreis ist seit Monaten auf Talfahrt, die Wechselkurse erschweren dem international tätigen Unternehmen die Planung. Die Öl- und Gasproduktion konnte die BASF-Tochter trotz der monatelangen Förderunterbrechungen in Libyen auf 136 Millionen Barrel Öläquivalent (boe) steigern. Die höheren Mengen, vor allem in Russland und Norwegen, konnten die niedrigeren Preise allerdings nur teilweise kompensieren.

Die Sanktionen der EU und USA gegen Russland

Dazu kommt: Wintershall ist wie kaum ein anderes deutsches Unternehmen in Russland involviert. Und gerade im Öl- und Gashandel mit den Russen zählt derzeit das politische Kalkül mehr als ökonomische Logik. Der Einfluss auf das Jahresergebnis ist zwar noch gering, die politische Krise zwischen Ost und West wirkt sich aber dennoch auf strategische Entscheidungen des Unternehmens aus.

Wichtige Russland-Projekte scheitern

Anfang Dezember stoppten die Russen einseitig den Bau der Gaspipeline South Stream, an der auch Wintershall beteiligt ist. „Wir hätten das gerne gemacht. Gazprom übrigens auch. Es sind aber aus Europa deutliche Signale gesendet worden, dass Gazprom nicht unbedingt als Investor willkommen ist“, sagte Seele im Interview mit dem „Handelsblatt“. „Deshalb machte das Milliardenprojekt am Ende auch aus unserer Sicht keinen Sinn mehr. Letztlich hat die EU es blockiert.“

Auch ein weiteres deutsch-russisches Projekt mit Beteiligung von Wintershall ist inzwischen geplatzt: Gazprom sollte den gemeinsam mit der BASF-Tochter betriebenen Gashändler Wingas komplett übernehmen, Wintershall als Gegenleistung die Förderrechte an einem Gasfeld in Sibirien erhalten. „Wir bedauern das. Es ist eines der attraktivsten Gasfelder, das uns angeboten wurde, weil die Förderung dort sehr profitabel ist“, sagt Seele. „Wir haben uns zusammengesetzt und waren uns einig, dass sich die Rahmenbedingungen – insbesondere die politischen – so verschlechtert haben, dass dieser Asset-Tausch nicht mehr sinnvoll ist.“

Russland - und die Ängste seiner Nachbarn

Dennoch sorgt sich Seele um das deutsch-russische Verhältnis und sieht in den Sanktionen „eine Belastung für unsere Geschäftsbeziehungen“. „Unter den russischen Geschäftspartnern ist die Unterstützung für die Politik von Präsident Wladimir Putin sehr groß. Und für die Sanktionen hat niemand Verständnis, weil sie in erster Linie die Bevölkerung treffen“, sagt der Wintershall-Chef. „Die Sanktionen untergraben Putins Autorität nicht wie gewünscht. Im Gegenteil, das schweißt die Russen noch stärker zusammen.“

Auch in der deutschen Autobranche ist die Stimmung merklich abgekühlt. Galt Russland noch vor einem Jahr als der Wachstumsmarkt schlechthin, der bis 2020 der größte Markt Europas werden sollte, zieht zum Beispiel Opel jetzt die Reißleine und schließt sein Werk in Sankt Petersburg. „Die Situation ist mehr als belastend. Der Markt hat sich mehr als halbiert“, sagt Opel-Chef Karl-Thomas Neumann im „Handelsblatt“. „Wir sind zu der Einschätzung gekommen, dass die Perspektive für den russischen Markt nicht nur kurzfristig, sondern auch mittel- und langfristig nicht gut ist. In der aktuellen Situation sehen wir keine Grundlage für massive Investitionen in Russland.“

6,5 Milliarden Euro weniger Exporte

Der Schritt von Opel ist die „Ultima Ratio“, in anderen Branchen ist die Lage derzeit noch besser. Dennoch: Gegenüber den Vorjahren verdienen die rund 6000 deutschen Unternehmen, die in Russland aktiv sind, Milliarden weniger. Der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft beziffert die Exporteinbußen nach Russland im vergangenen Jahr auf 6,5 Milliarden Euro, das Minus der EU-Exporte nach Russland liegt sogar bei 16 Milliarden Euro.

Deutschland im Gasstreit gewappnet

„Damit gehen über 40 Prozent des Exportrückgangs zu Lasten deutscher Unternehmen“, sagt Eckhard Cordes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses. „Auch 2015 müssen wir mit weiteren Einbußen rechnen.“ Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) rechnet ebenfalls mit schlechten Geschäften: „Wir gehen von einem weiteren Rückgang von fast 15 Prozent aus, also eher mit einem größeren statt kleineren Einbruch.“

Maschinenbau leidet besonders

Die Exportrückgänge sind aber nicht ausschließlich auf die von der EU verhängten Sanktionen zurückzuführen, sondern auch auf die schlechte Konjunkturentwicklung in Russland. „Die wirtschaftliche Dynamik in Russland nimmt bereits seit zwei bis drei Jahren deutlich ab“, sagt Cordes. „Oben drauf kommen nun noch die Sanktionen: Die treffen die russische Wirtschaft insbesondere im Finanzsektor. Die Möglichkeiten für russische Banken, sich am Markt zu finanzieren, haben sich deutlich verschlechtert.“

Die Tendenz in der Industrie hat sich bereits vor der politischen Krise abgezeichnet. Das lässt sich zum Beispiel an den Maschinenexporten beobachten, die mehr als ein Fünftel der deutsch-russischen Exportgeschäfte ausmachen. Laut Zahlen des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) ging der Maschinenexport nach Russland des Jahres 2013 bereits um 3,5 Prozent zurück. „Im Januar und Februar 2014, also noch vor der Krimannexion, gab es Einbrüche von 19 Prozent“, sagt Monika Hollacher, Russland-Referentin beim VDMA. „Erst im zweiten Halbjahr 2014 verlangsamte sich dieser Abwärtstrend.“

Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine

Die Maschinenbauer trifft die Krise im Russland-Geschäft besonders hart. Zwar war der Rückgang mit 17 Prozent im Gesamtjahr 2014 geringer als befürchtet, nominal hat die Branche aber Geschäfte im Volumen von 1,3 Milliarden Euro verloren. Immerhin: Laut Treier konnten einige Maschinenbauer die Verluste in Russland und den ebenfalls schwierigen Märkten Brasilien und Türkei durch Wachstum in den USA, Großbritannien und China ausgleichen.

Russland fünftgrößter Markt für deutsche Maschinenbauer

Dabei sind nicht alle Maschinenbau-Bereiche gleich stark betroffen. Der Rückgang bei Bau- und Baustoffmaschinen, Bergbaumaschinen oder der Landtechnik ist deutlich größer als etwa bei Lebensmittel- und Verpackungsmaschinen. „Das Minus bei den Bau- und Baustoffmaschinen hängt sicher mit dem konjunkturbedingten Rückgang der Bautätigkeit in Russland zusammen“, sagt Hollacher. „Andere Branchen wie Nahrungs- und Verpackungsmaschinen könnten die Bestrebungen der russischen Regierung nach mehr „local content“ zu Hilfe kommen. Wer einen Industriezweig aufbaut, muss in Maschinen investieren.“

Trotz der Rückgänge bei den Maschinenexporten ist Russland aber nach wie vor einer der Top-Märkte für den deutschen Maschinenbau. Lange Zeit war es der viertwichtigste Markt für die deutschen Maschinenexporteure und 2014 lag Russland immer noch auf Platz fünf. Wichtiger waren nur China, die USA, Frankreich und Großbritannien.

Insgesamt erwartet der VDMA, dass die Exporte nach Russland 2015 aufgrund schwacher Auftragseingänge in 2014 weiter zurückgehen werden. „Auch die Erwartungen für die Auftragseingänge im laufenden Jahr sind gering, so dass mit einem Aufschwung 2016 noch nicht zu rechnen ist“, so die Russland-Referentin. Im Mai will der Verband eine Umfrage unter den Mitgliedsfirmen zu ihrer aktuellen Situation, ihren mittelfristigen Zukunftsplänen und Aussichten auf dem russischen Markt veröffentlichen.

Wo deutsche Unternehmen in Russland aktiv sind
E.On-Fahnen Quelle: REUTERS
Dimitri Medwedew und Peter Löscher Quelle: dpa
Dem Autobauer bröckelt in Russland die Nachfrage weg. Noch geht es ihm besser als der Konkurrenz. Martin Winterkorn hat einige Klimmzüge machen müssen - aber theoretisch ist das Ziel erreicht: Volkswagen könnte in Russland 300.000 Autos lokal fertigen lassen. Den Großteil stellen die Wolfsburger in ihrem eigenen Werk her, das 170 Kilometer südwestlich von Moskau in Kaluga liegt. Vor gut einem Jahr startete zudem die Lohnfertigung in Nischni Nowgorod östlich Moskau, wo der einstige Wolga-Hersteller GAZ dem deutschen Autoriesen als Lohnfertiger zu Diensten steht. Somit erfüllt Volkswagen alle Forderungen der russischen Regierung: Die zwingt den Autobauer per Dekret dazu, im Inland Kapazitäten aufzubauen und einen Großteil der Zulieferteile aus russischen Werken zu beziehen. Andernfalls könnten die Behörden Zollvorteile auf jene teuren Teile streichen, die weiterhin importiert werden. Der Kreml will damit ausländische Hersteller zur Wertschöpfung vor Ort zwingen und nimmt sich so China zum Vorbild, das mit dieser Politik schon in den Achtzigerjahren begonnen hat. Die Sache hat nur einen Haken: Die Nachfrage in Russland bricht gerade weg - nicht im Traum kann Volkswagen die opulenten Kapazitäten auslasten. 2013 gingen die Verkäufe der Marke VW um etwa fünf Prozent auf 156.000 Fahrzeuge zurück. Wobei die Konkurrenz stärker im Minus war. Hinzu kommt jetzt die Sorge um die Entwicklungen auf der Krim. VW-Chef Martin Winterkorn sagte der WirtschaftsWoche: "Als großer Handelspartner blicekn wir mit Sorge in die Ukraine und nach Russland." Er verwies dabei nicht nur auf das VW-Werk in Kaluga, sondern auch auf die Nutzfahrzeugtochter MAN, die in St. Petersburg derzeit ein eigenes Werk hochfährt. Der Lkw-Markt ist von der Rezession betroffen, da die Baukonjunktur schwächelt. Quelle: dpa

Aus Sicht von Cordes sollten die Zukunftspläne nicht allzu pessimistisch ausfallen. „Niemand geht aus dem Land raus, weil im Grunde alle glauben, dass sich mittel- und langfristig die Situation stabilisiert. Allerdings treten die deutschen Investoren auf die Investitionsbremse“, sagt der Ost-Ausschuss-Vorsitzende. „Alle in Russland aktiven deutschen Unternehmen sagen mir, sie verfolgen jetzt eine Art Überwinterungsstrategie.“

China steht als Ersatz parat

Doch aus diesem Winterschlaf müssen die europäisch-russischen Geschäftsbeziehungen irgendwann aufgeweckt werden, bevor das ganz böse Erwachen kommt: Wo die Europäer wegen der Sanktionen oder den politischen Spannungen nicht liefern können, stehen die Konkurrenten aus Asien parat. „Wir spüren das bei den Ausschreibungsrunden, wo früher deutsche Firmen klar gewünscht waren. Jetzt wird die Auftragsvergabe entweder stark verzögert, oder chinesische Unternehmen werden bevorzugt. Selbst wenn sie das technologische Niveau deutscher Unternehmen nicht erreichen“, berichtet zum Beispiel Wintershall-Chef Seele.

Auch der DIHK warnt vor der Konkurrenz aus Fernost. „Je länger die Sanktionen dauern, desto mehr Marktanteile verliert Deutschland in Russland“, warnt DIHK-Präsident Eric Schweitzer im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. „Es besteht die Gefahr, dass Geschäftsbeziehungen in Richtung China verloren gehen.“

Putins Folterwerkzeuge im Sanktionskrieg

Diese Tendenz kann auch Cordes aus den Erfahrungen seiner regelmäßigen Treffen mit Managern und russischen Regierungsvertretern bestätigen. „Wir müssen aufpassen, dass diese schwierige Situation nicht allzu lange anhält. Denn dann wird das gegenseitige Vertrauen erodieren“, sagt Cordes. „Die persönlichen Beziehungen zwischen russischen Auftraggebern und deutschen Unternehmen sind immer noch gut. Aber was ganz klar sichtbar ist, dass die Konkurrenz der Chinesen und Koreaner deutlich stärker geworden ist.“

Der Schlüssel liegt in der Ukraine

Die Chinesen würden insbesondere bei Infrastrukturprojekten aktiver, wo sie dann häufig mit russischen staatlichen Unternehmen verhandeln. „Ich will das in keiner Weise dramatisieren. Aber ich sage: Achtung, hier können unsere Unternehmen abgehängt werden, wenn die Krise noch lange anhält“, so Cordes.

Der zunehmende Wettbewerb aus China, Südkorea und anderen asiatischen Ländern ist ein weltweites Phänomen, das auch vor Russland in den letzten Jahren nicht Halt machte. Auf dem russischen Maschinenbaumarkt liegt China mit einem Marktanteil von knapp zehn Prozent in etwa gleichauf, da Deutschland leicht an Marktanteilen verloren hat. „Nun wird angesichts der schwindenden Kaufkraft der russischen Kunden der Preis zum wichtigsten Einkaufskriterium“, sagt VDMA-Expertin Hollacher.

„Außerdem kann sich der russische Kunde sicher sein, dass Sanktionen bei den asiatischen Lieferanten keine Rolle spielen werden.“ Das bedeute, dass sich dieser Prozess wahrscheinlich beschleunigen werde und China schneller als ursprünglich angenommen Deutschland als größten Maschinenlieferanten Russlands ablösen könne.

Dieser Prozess liegt aber nur zum Teil in der Hand der Unternehmen. Vieles ist – wie unter anderem die Gazprom-Beispiele zeigen – der politischen Eiszeit zwischen West und Ost geschuldet. Für Rainer Seele liegt der Schlüssel für die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen in der Ukraine: „Nur wenn es uns gemeinsam gelingt, das Land zu befrieden und für wirtschaftliche Stabilität zu sorgen, können wir Schritt für Schritt das Vertrauen zwischen Russland und dem Westen wiederherstellen. So, wie ich es erlebe, wird es noch lange dauern, das Verhältnis zu normalisieren.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%