Rainer Seele kann sich freuen. Bei der Jahrespressekonferenz stellte der Wintershall-Chef das zweitbeste Ergebnis der 121-jährigen Geschichte des Unternehmens vor. Deutschlands größter Erdöl- und Erdgasförderer verdiente bei einem Umsatz von 15,1 Milliarden Euro unterm Strich 1,46 Milliarden Euro. Ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann – auch wenn es nicht ganz an das Rekordjahr 2013 heranreicht.
Vor allem, wenn man die Umstände bedenkt: Der Ölpreis ist seit Monaten auf Talfahrt, die Wechselkurse erschweren dem international tätigen Unternehmen die Planung. Die Öl- und Gasproduktion konnte die BASF-Tochter trotz der monatelangen Förderunterbrechungen in Libyen auf 136 Millionen Barrel Öläquivalent (boe) steigern. Die höheren Mengen, vor allem in Russland und Norwegen, konnten die niedrigeren Preise allerdings nur teilweise kompensieren.
Die Sanktionen der EU und USA gegen Russland
Die EU erschwert den Zugang zu den EU-Finanzmärkten für russische Banken. Gilt für alle Banken mit einem staatlichen Anteil von mindestens 50 Prozent. Sie können auf den EU-Kapitalmärkten keine neuen Wertpapiere oder Aktien von russischen Unternehmen mehr verkaufen.
In den USA fallen drei weitere Banken im russischen Staatsbesitz unter die Strafmaßnahmen, damit sind es nun fünf von sechs: Die Bank von Moskau, die Russische Landwirtschaftsbank und die VTB Bank kamen hinzu. Ihnen wird der Zugang zu mittel- und langfristiger Dollarfinanzierung für Russland erschwert. Sie dürfen aber weiter in den USA operieren.
Die EU verbietet künftige Rüstungslieferungen. Betroffen sind alle Güter, die auf einer entsprechenden Liste der EU stehen. Gilt nicht für bereits unterzeichnete Verträge, also auch nicht für die Lieferung von zwei französischen Hubschrauberträgern im Wert von 1,2 Milliarden Euro an Russland.
In den USA wurde die United Shipbuilding Corporation (größtes russisches Schiffsbau-Unternehmen) zu den bislang acht auf der Sanktionsliste stehenden Firmen im Verteidigungssektor ergänzt. Die Unternehmen dürfen nicht mehr das US-Finanzsystem nutzen oder mit amerikanischen Bürgern Geschäfte machen.
Die EU verbietet den Export von bestimmten Hochtechnologiegütern an das Militär. Gilt beispielsweise für Verschlüsselungssysteme sowie für Hochleistungscomputer.
Die EU untersagt die Ausfuhr für Spezialtechnik zur Ölförderung. Zielt auf Geräte, die für Ölbohrung und -förderung beispielsweise in der Arktis gebraucht werden.
Auch in den USA gelten für Unternehmen aus der Ölbranche eingeschränkte Importmöglichkeiten für Technik zur Erschließung von Ölquellen in tiefen Gewässern, vor der arktischen Küste oder in Schiefergestein. Die aktuelle Energieproduktion werde damit aber nicht beeinträchtigt.
Dazu kommt: Wintershall ist wie kaum ein anderes deutsches Unternehmen in Russland involviert. Und gerade im Öl- und Gashandel mit den Russen zählt derzeit das politische Kalkül mehr als ökonomische Logik. Der Einfluss auf das Jahresergebnis ist zwar noch gering, die politische Krise zwischen Ost und West wirkt sich aber dennoch auf strategische Entscheidungen des Unternehmens aus.
Wichtige Russland-Projekte scheitern
Anfang Dezember stoppten die Russen einseitig den Bau der Gaspipeline South Stream, an der auch Wintershall beteiligt ist. „Wir hätten das gerne gemacht. Gazprom übrigens auch. Es sind aber aus Europa deutliche Signale gesendet worden, dass Gazprom nicht unbedingt als Investor willkommen ist“, sagte Seele im Interview mit dem „Handelsblatt“. „Deshalb machte das Milliardenprojekt am Ende auch aus unserer Sicht keinen Sinn mehr. Letztlich hat die EU es blockiert.“
Auch ein weiteres deutsch-russisches Projekt mit Beteiligung von Wintershall ist inzwischen geplatzt: Gazprom sollte den gemeinsam mit der BASF-Tochter betriebenen Gashändler Wingas komplett übernehmen, Wintershall als Gegenleistung die Förderrechte an einem Gasfeld in Sibirien erhalten. „Wir bedauern das. Es ist eines der attraktivsten Gasfelder, das uns angeboten wurde, weil die Förderung dort sehr profitabel ist“, sagt Seele. „Wir haben uns zusammengesetzt und waren uns einig, dass sich die Rahmenbedingungen – insbesondere die politischen – so verschlechtert haben, dass dieser Asset-Tausch nicht mehr sinnvoll ist.“
Russland - und die Ängste seiner Nachbarn
25 Prozent der Bevölkerung sind ethnische Russen. 2007 erlebte das High-Tech-Land einen schlimmen Hackerangriff wohl aus Russland – da wird die Krim-Krise zum Albtraum.
Ohne russisches Gas gehen rund um Riga die Lichter aus. Das wissen die zwei Millionen Letten, von denen mehr als ein Drittel Russisch als Muttersprache angibt.
Hier begann vor 25 Jahren der Zerfall der Sowjetunion, hier verschifft Russland heute viel Erdöl. Zum russischen Erdgas gibt es auch in Litauen bislang keine Alternative.
Russland fernhalten – das ist hier parteiübergreifende Staatsraison. Seit Jahren sehen sich die Polen als Fürsprecher der Ukraine in der Europäischen Union.
Die Annexion der Krim erinnert die Tschechen fatal an den sowjetischen Einmarsch in Prag vor 46 Jahren. Russland ist weit weg – das Gefühl der Bedrohung nicht.
Das Land musste 2009 tagelang ohne Gas auskommen – Kollateralschaden russischer Sanktionen gegen die Ukraine. Eine Neuauflage dieses Szenarios wäre bedrohlich.
Ohne eigene Energiequellen sind die Ungarn vom russischen Öl und Gas abhängig. Trotzdem subventioniert die Regierung großzügig den Stromverbrauch im Lande.
Was geschieht mit dem Land, wenn die 1,4 Millionen Ungarn in Siebenbürgen nach dem Muster der Krim-Russen die heutige Staatsgrenze infrage stellen?
Ohne Öl und Gas aus Russland würde das arme Land völlig zusammenbrechen – darum fürchtet die Regierung in Sofia nichts mehr als eine Verschärfung der Konfrontation.
Die Halbinsel ist ein Armenhaus. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl entsprach ihre Wirtschaftsleistung bisher kaum 40 Prozent des ukrainischen Durchschnitts. Wie Putin seinen neuen Untertanen den Aufschwung bescheren will, ist unklar.
Im Sommer 2014 hat das Land ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet. Doch in der abtrünnigen Region Transnistrien stehen schon lange russische Truppen.
Ökonomisch orientiert sich das Land an Europa. Wegen des Konflikts um Südossetien hat Russland ein Embargo verhängt. Das wurde aber gerade gelockert.
Das arme Land hängt am Tropf Russlands. Moskau liefert billiges Gas, baut ein Atomkraftwerk – und unterstützt die Armenier im Grenzkonflikt mit Aserbaidschan.
Die ölreiche Staat drängt sich den Europäern als alternativer Lieferant auf, der Europa bei der Diversifizierung der Energieversorgung helfen kann. Das passt den Russen gar nicht.
Die neue Regierung drängt in Richtung EU, der Osten des Landes ist mit Russland verbandelt. Aber der Handel mit Russland nimmt ab, die Oligarchen sind auf West-Kurs.
Das unterentwickelte Land hat seine Pipelines an Russland verkauft und Raffinerien an Moskauer Banken verpfändet. Minsk ist abhängig von Moskau wie keine andere Regierung.
Peking will seinen wichtigen Partner Russland nicht verprellen. Doch Grenzverschiebungen wie auf der Krim machen China mit Blick auf Tibet und die Uiguren extrem nervös.
Im Norden des Landes gibt es viele Städte, in denen Russen die Mehrheit stellen. Kasachstan ist mit seinen Rohstoffen außerdem für Russland wirtschaftlich sehr attraktiv.
Dennoch sorgt sich Seele um das deutsch-russische Verhältnis und sieht in den Sanktionen „eine Belastung für unsere Geschäftsbeziehungen“. „Unter den russischen Geschäftspartnern ist die Unterstützung für die Politik von Präsident Wladimir Putin sehr groß. Und für die Sanktionen hat niemand Verständnis, weil sie in erster Linie die Bevölkerung treffen“, sagt der Wintershall-Chef. „Die Sanktionen untergraben Putins Autorität nicht wie gewünscht. Im Gegenteil, das schweißt die Russen noch stärker zusammen.“
Auch in der deutschen Autobranche ist die Stimmung merklich abgekühlt. Galt Russland noch vor einem Jahr als der Wachstumsmarkt schlechthin, der bis 2020 der größte Markt Europas werden sollte, zieht zum Beispiel Opel jetzt die Reißleine und schließt sein Werk in Sankt Petersburg. „Die Situation ist mehr als belastend. Der Markt hat sich mehr als halbiert“, sagt Opel-Chef Karl-Thomas Neumann im „Handelsblatt“. „Wir sind zu der Einschätzung gekommen, dass die Perspektive für den russischen Markt nicht nur kurzfristig, sondern auch mittel- und langfristig nicht gut ist. In der aktuellen Situation sehen wir keine Grundlage für massive Investitionen in Russland.“
6,5 Milliarden Euro weniger Exporte
Der Schritt von Opel ist die „Ultima Ratio“, in anderen Branchen ist die Lage derzeit noch besser. Dennoch: Gegenüber den Vorjahren verdienen die rund 6000 deutschen Unternehmen, die in Russland aktiv sind, Milliarden weniger. Der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft beziffert die Exporteinbußen nach Russland im vergangenen Jahr auf 6,5 Milliarden Euro, das Minus der EU-Exporte nach Russland liegt sogar bei 16 Milliarden Euro.
Deutschland im Gasstreit gewappnet
Die Bundesrepublik verfügt mit einer Kapazität von etwa 23 Milliarden Kubikmetern über die weltweit viertgrößten Speichermöglichkeiten. Dies entspricht rechnerisch mehr als einem Viertel des deutschen Jahresbedarfs an Gas.
Der Energiestreit zwischen Russland und der Ukraine hat für deutsche Verbraucher zunächst nichts Bedrohliches. Die 51 deutschen Gasspeicher sind aktuell zu knapp 75 Prozent gefüllt, wie aus einer Übersicht europäischer Behörden hervorgeht. Das dürfte bei milder Witterung für mehrere Monate reichen. In den 28 EU-Mitgliedsstaaten sind die Gasspeicher derzeit im Schnitt zu mehr als 64 Prozent gefüllt.
Die inländische Erdgasförderung der Bundesrepublik erreichte von Januar bis März 2014 ein Energie-Äquivalent von rund 84.400 Terajoule (TJ). Das liegt acht Prozent unter dem Niveau der ersten drei Monate des vorigen Jahres.
Das gesamte deutsche Erdgas-Aufkommen (Importe, inländische Gewinnung und Speichermenge) entsprach in den ersten drei Monaten dieses Jahres einem Energiegehalt von rund 1,179 Millionen Terajoule (TJ). Das waren etwa 17,7 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Mehr als vier Fünftel dieser Menge stammte aus Importen (rund 979.000 TJ) - das sind 2,9 Prozent mehr als zwischen Januar und März 2013.
2013 kamen über 38 Prozent der deutschen Gasimporte aus Russland, EU-weit rund 30 Prozent. Die Baltenstaaten, Finnland, Slowakei und Bulgarien kommen auf bis zu 100 Prozent. Die Hälfte der russischen Gasexporte nach Europa wird über Leitungen (Pipelines) durch die Ukraine abgewickelt. Das übrige russische Gas nimmt den Weg über Weißrussland sowie den direkten Weg durch die Ostsee über die Nordstream-Pipeline.
„Damit gehen über 40 Prozent des Exportrückgangs zu Lasten deutscher Unternehmen“, sagt Eckhard Cordes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses. „Auch 2015 müssen wir mit weiteren Einbußen rechnen.“ Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) rechnet ebenfalls mit schlechten Geschäften: „Wir gehen von einem weiteren Rückgang von fast 15 Prozent aus, also eher mit einem größeren statt kleineren Einbruch.“
Maschinenbau leidet besonders
Die Exportrückgänge sind aber nicht ausschließlich auf die von der EU verhängten Sanktionen zurückzuführen, sondern auch auf die schlechte Konjunkturentwicklung in Russland. „Die wirtschaftliche Dynamik in Russland nimmt bereits seit zwei bis drei Jahren deutlich ab“, sagt Cordes. „Oben drauf kommen nun noch die Sanktionen: Die treffen die russische Wirtschaft insbesondere im Finanzsektor. Die Möglichkeiten für russische Banken, sich am Markt zu finanzieren, haben sich deutlich verschlechtert.“
Die Tendenz in der Industrie hat sich bereits vor der politischen Krise abgezeichnet. Das lässt sich zum Beispiel an den Maschinenexporten beobachten, die mehr als ein Fünftel der deutsch-russischen Exportgeschäfte ausmachen. Laut Zahlen des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) ging der Maschinenexport nach Russland des Jahres 2013 bereits um 3,5 Prozent zurück. „Im Januar und Februar 2014, also noch vor der Krimannexion, gab es Einbrüche von 19 Prozent“, sagt Monika Hollacher, Russland-Referentin beim VDMA. „Erst im zweiten Halbjahr 2014 verlangsamte sich dieser Abwärtstrend.“
Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine
Das flächenmäßig nach Russland größte europäische Land besitzt jede Menge davon: Eisenerz, Kohle, Mangan, Erdgas und Öl, aber auch Graphit, Titan, Magnesium, Nickel und Quecksilber. Von Bedeutung ist auch die Landwirtschaft, die mehr zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt als Finanzindustrie und Bauwirtschaft zusammen. Etwa 30 Prozent der fruchtbaren Schwarzerdeböden der Welt befinden sich in der Ukraine, die zu den größten Weizenexporteuren gehört. In der Tierzucht spielt das Land ebenfalls eine führende Rolle.
Sie ist gering. Das Bruttoinlandsprodukt liegt umgerechnet bei etwa 130 Milliarden Euro, in Deutschland sind es mehr als 2700 Milliarden Euro. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt nicht einmal 3900 Dollar im Jahr. Wuchs die Wirtschaft 2010 um 4,1 und 2011 um 5,2 Prozent, waren es 2012 noch 0,2 Prozent. 2013 dürfte es nur zu einem Plus von 0,4 Prozent gereicht haben.
Exportschlager sind Eisen und Stahl, gefolgt von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und chemischen Produkten. Wichtigstes Importgut ist Gas. Auch Erdöl muss eingeführt werden. Die Ukraine könnte aber vom Energie-Importeur zum -Exporteur werden, weil sie große Schiefergasvorkommen besitzt.
Sie ist von der Schwerindustrie geprägt, besonders von der Stahlindustrie, dem Lokomotiv- und Maschinenbau. Ein Grund ist, dass die Sowjetunion einen Großteil der Rüstungsproduktion in ihrer Teilrepublik Ukraine angesiedelt hatte. Eine Westorientierung und die Übernahme von EU-Rechtsnormen könnte das Land zunehmend zum Produktionsstandort für westliche Firmen machen.
Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner der Ukraine. Gemessen an der Größe des Landes ist das deutsche Handelsvolumen aber unterdurchschnittlich. Zu den wichtigsten deutschen Exportgütern zählen Maschinen, Fahrzeuge, Pharmaprodukte und elektrotechnische Erzeugnisse. Wichtigste ukrainische Ausfuhrgüter sind Textilien, Metalle und Chemieprodukte. Nach Angaben des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft sind knapp 400 deutsche Unternehmen in der Ukraine vertreten. Bei den Direktinvestitionen liegt Deutschland auf Platz zwei hinter Zypern.
Chancen ergeben sich für die deutsche Wirtschaft vor allem im ukrainischen Maschinen- und Anlagenbau. Zudem ist die frühere Sowjetrepublik mit ihren rund 45 Millionen Einwohnern ein potenziell wichtiger Absatzmarkt für Fahrzeuge. Korruption und hohe Verwaltungshürden stehen Investitionen indes im Wege.
Rund ein Drittel der ukrainischen Exporte fließt in die EU. Eine engere wirtschaftliche Verknüpfung durch ein Handels- und Assoziierungsabkommen liegt auf Eis, nachdem Präsident Viktor Janukowitsch auf russischen Druck seine Unterschrift verweigerte. Für die EU ist die Ukraine für die Versorgung mit Erdgas von Bedeutung. Rund ein Viertel ihres Gases bezieht die EU aus Russland, die Hälfte davon fließt durch die Ukraine.
Mit Abstand wichtigster Handelspartner der Ukraine ist Russland. Ein Drittel der Importe stammt aus dem Nachbarland, ein Viertel der Exporte gehen dorthin. Der Regierung in Moskau ist eine Orientierung der Ukraine nach Westen ein Dorn im Auge. Stattdessen drängt sie das Land zum Beitritt zur Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland.
Streit flammt zwischen beiden Ländern immer wieder über Gaslieferungen auf. Die Ukraine importiert fast ihr gesamtes Gas aus Russland, muss dafür aber einen für die Region beispiellos hohen Preis zahlen. Der Konflikt über Preise und Transitgebühren hat in der Vergangenheit zu Lieferunterbrechungen geführt, die auch die Gasversorgung Europas infrage stellten.
Die Maschinenbauer trifft die Krise im Russland-Geschäft besonders hart. Zwar war der Rückgang mit 17 Prozent im Gesamtjahr 2014 geringer als befürchtet, nominal hat die Branche aber Geschäfte im Volumen von 1,3 Milliarden Euro verloren. Immerhin: Laut Treier konnten einige Maschinenbauer die Verluste in Russland und den ebenfalls schwierigen Märkten Brasilien und Türkei durch Wachstum in den USA, Großbritannien und China ausgleichen.
Russland fünftgrößter Markt für deutsche Maschinenbauer
Dabei sind nicht alle Maschinenbau-Bereiche gleich stark betroffen. Der Rückgang bei Bau- und Baustoffmaschinen, Bergbaumaschinen oder der Landtechnik ist deutlich größer als etwa bei Lebensmittel- und Verpackungsmaschinen. „Das Minus bei den Bau- und Baustoffmaschinen hängt sicher mit dem konjunkturbedingten Rückgang der Bautätigkeit in Russland zusammen“, sagt Hollacher. „Andere Branchen wie Nahrungs- und Verpackungsmaschinen könnten die Bestrebungen der russischen Regierung nach mehr „local content“ zu Hilfe kommen. Wer einen Industriezweig aufbaut, muss in Maschinen investieren.“
Trotz der Rückgänge bei den Maschinenexporten ist Russland aber nach wie vor einer der Top-Märkte für den deutschen Maschinenbau. Lange Zeit war es der viertwichtigste Markt für die deutschen Maschinenexporteure und 2014 lag Russland immer noch auf Platz fünf. Wichtiger waren nur China, die USA, Frankreich und Großbritannien.
Insgesamt erwartet der VDMA, dass die Exporte nach Russland 2015 aufgrund schwacher Auftragseingänge in 2014 weiter zurückgehen werden. „Auch die Erwartungen für die Auftragseingänge im laufenden Jahr sind gering, so dass mit einem Aufschwung 2016 noch nicht zu rechnen ist“, so die Russland-Referentin. Im Mai will der Verband eine Umfrage unter den Mitgliedsfirmen zu ihrer aktuellen Situation, ihren mittelfristigen Zukunftsplänen und Aussichten auf dem russischen Markt veröffentlichen.
Aus Sicht von Cordes sollten die Zukunftspläne nicht allzu pessimistisch ausfallen. „Niemand geht aus dem Land raus, weil im Grunde alle glauben, dass sich mittel- und langfristig die Situation stabilisiert. Allerdings treten die deutschen Investoren auf die Investitionsbremse“, sagt der Ost-Ausschuss-Vorsitzende. „Alle in Russland aktiven deutschen Unternehmen sagen mir, sie verfolgen jetzt eine Art Überwinterungsstrategie.“
China steht als Ersatz parat
Doch aus diesem Winterschlaf müssen die europäisch-russischen Geschäftsbeziehungen irgendwann aufgeweckt werden, bevor das ganz böse Erwachen kommt: Wo die Europäer wegen der Sanktionen oder den politischen Spannungen nicht liefern können, stehen die Konkurrenten aus Asien parat. „Wir spüren das bei den Ausschreibungsrunden, wo früher deutsche Firmen klar gewünscht waren. Jetzt wird die Auftragsvergabe entweder stark verzögert, oder chinesische Unternehmen werden bevorzugt. Selbst wenn sie das technologische Niveau deutscher Unternehmen nicht erreichen“, berichtet zum Beispiel Wintershall-Chef Seele.
Auch der DIHK warnt vor der Konkurrenz aus Fernost. „Je länger die Sanktionen dauern, desto mehr Marktanteile verliert Deutschland in Russland“, warnt DIHK-Präsident Eric Schweitzer im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. „Es besteht die Gefahr, dass Geschäftsbeziehungen in Richtung China verloren gehen.“
Putins Folterwerkzeuge im Sanktionskrieg
Der Kreml droht damit, den Import westlicher Pkw nach Russland einzuschränken. Der russische Markt ist aber schon länger in der Krise. 2013 exportierten deutsche Hersteller 132 000 Fahrzeuge nach Russland - im Jahr davor waren es noch knapp 157 000. Bei Volkswagen liegt der Konzernabsatz in Russland nach zwei Dritteln des Jahres 12 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Unabhängig von den Sanktionen sagt ein VW-Insider: „Der Markt fliegt uns ganz schön um die Ohren.“ Die Sanktionen könnten jene Hersteller teils schonen, die in Russland in eigenen Fabriken produzieren. Der Duisburger Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer hält Importverbote deshalb für verkraftbar: „Nahezu alle wichtigen deutschen Autobauer wie VW, Opel-Chevrolet, Ford, BMW, Daimler Nutzfahrzeuge sind mit Werken in Russland vertreten.“ Der Präsident des Branchenverbands VDA, Matthias Wissmann, aber rät zum Blick über den Tellerrand: Das Thema drücke auf die Psychologie der internationalen Märkte.
Macht Moskau ernst und den Luftraum für westliche Airlines über Sibirien dicht, wäre das ein harter Schlag. Genau das hat Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew im Sinn: „Wenn westliche Gesellschaften unseren Luftraum meiden müssen, kann das zum Bankrott vieler Fluggesellschaften führen, die schon jetzt ums Überleben kämpfen.“ Beispielsweise müssten die großen europäischen Airlines Air France-KLM, British Airways oder Lufthansa, die über Sibirien nach Asien fliegen, auf längere Routen ausweichen. Das kostet Treibstoff, Besatzungen müssen länger arbeiten. Experten gehen von etwa 10 000 Euro Mehrkosten pro Flug aus. Dies dürfte nicht ohne Folgen auf die Ticketpreise bleiben, von längeren Flugzeiten für die Kunden ganz zu schweigen. Aber: Bisher päppelte Moskau mit den Einnahmen von über 200 Millionen Euro pro Jahr aus den Überflugrechten die Staatsairline Aeroflot auf. Lachender Dritter wären wohl die Chinesen. Sie könnten dank des Sibirien-Kostenvorteils die Europäer im lukrativen Asiengeschäft noch mehr ärgern.
Bei Lebensmitteln machte Putin bereits ernst und verhängte Anfang August einen Importstopp, weil ihm erste EU-Sanktionen nicht schmeckten. Die 28 EU-Staaten, die USA, Australien, Kanada und Norwegen dürfen für ein Jahr Fleisch, Fisch, Milch, Obst und Gemüse nicht mehr einführen. Einzelne Agrarländer wie Griechenland trifft das hart. Für die deutsche Agrarbranche sind die Folgen überschaubar, sagt Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU). Um Verwerfungen im EU-Markt wegen des Überangebots zu verhindern, rief Schmidt die Verbraucher auf, mehr heimisches Obst und Gemüse zu essen: „One apple a day keeps Putin away“ (Ein Apfel am Tag hält Putin fern). Nun kündigt Moskau an, auch Produkte der Textilindustrie auf den Index zu setzen. Details sind aber unklar.
Hier hält Putin die ultimative „Waffe“ in der Hand. Dreht er den Gashahn zu, hätte Europa ein Problem. Grund zur Panik besteht aber nicht. Die Gasspeicher sind randvoll (Deutschland: 91,5 Prozent, EU-weit: 90), die Vorräte dürften zumindest in Deutschland, das seinen Gasbedarf zu mehr als ein Drittel aus Russland deckt, bis zum Frühjahr reichen. Das Baltikum und Finnland sind aber zu 100 Prozent von russischen Gasimporten abhängig, viele südosteuropäische Länder hängen auch am Gazprom-Tropf. Die Bundesregierung geht davon aus, dass Putin liefertreu bleibt, nicht auf die Export-Milliarden verzichten kann. Die knallharte Entscheidung der EU, die russischen Energieriesen Gazprom Neft, Rosneft, Transneft sowie Rüstungsfirmen jetzt vom europäischen Kapitalmarkt abzuschneiden, dürfte Putin aber mächtig reizen. Polen meldet, Gazprom liefere weniger Gas als vereinbart - was der Monopolist von Putins Gnaden bestreitet.
Diese Tendenz kann auch Cordes aus den Erfahrungen seiner regelmäßigen Treffen mit Managern und russischen Regierungsvertretern bestätigen. „Wir müssen aufpassen, dass diese schwierige Situation nicht allzu lange anhält. Denn dann wird das gegenseitige Vertrauen erodieren“, sagt Cordes. „Die persönlichen Beziehungen zwischen russischen Auftraggebern und deutschen Unternehmen sind immer noch gut. Aber was ganz klar sichtbar ist, dass die Konkurrenz der Chinesen und Koreaner deutlich stärker geworden ist.“
Der Schlüssel liegt in der Ukraine
Die Chinesen würden insbesondere bei Infrastrukturprojekten aktiver, wo sie dann häufig mit russischen staatlichen Unternehmen verhandeln. „Ich will das in keiner Weise dramatisieren. Aber ich sage: Achtung, hier können unsere Unternehmen abgehängt werden, wenn die Krise noch lange anhält“, so Cordes.
Der zunehmende Wettbewerb aus China, Südkorea und anderen asiatischen Ländern ist ein weltweites Phänomen, das auch vor Russland in den letzten Jahren nicht Halt machte. Auf dem russischen Maschinenbaumarkt liegt China mit einem Marktanteil von knapp zehn Prozent in etwa gleichauf, da Deutschland leicht an Marktanteilen verloren hat. „Nun wird angesichts der schwindenden Kaufkraft der russischen Kunden der Preis zum wichtigsten Einkaufskriterium“, sagt VDMA-Expertin Hollacher.
„Außerdem kann sich der russische Kunde sicher sein, dass Sanktionen bei den asiatischen Lieferanten keine Rolle spielen werden.“ Das bedeute, dass sich dieser Prozess wahrscheinlich beschleunigen werde und China schneller als ursprünglich angenommen Deutschland als größten Maschinenlieferanten Russlands ablösen könne.
Dieser Prozess liegt aber nur zum Teil in der Hand der Unternehmen. Vieles ist – wie unter anderem die Gazprom-Beispiele zeigen – der politischen Eiszeit zwischen West und Ost geschuldet. Für Rainer Seele liegt der Schlüssel für die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen in der Ukraine: „Nur wenn es uns gemeinsam gelingt, das Land zu befrieden und für wirtschaftliche Stabilität zu sorgen, können wir Schritt für Schritt das Vertrauen zwischen Russland und dem Westen wiederherstellen. So, wie ich es erlebe, wird es noch lange dauern, das Verhältnis zu normalisieren.“