Ryanair kauft 75 Boeing 737 Max Der Deal seines Lebens

Ryanair-Chef Michael O'Leary Quelle: REUTERS

Für Ryanair-Chef Michael O'Leary ist der Großauftrag für Boeings Pannenflieger 737 Max eine riskante Wette. Doch wenn sie aufgeht, könnte er nach der Coronakrise als großer Gewinner durchstarten.

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Wenn eine Fluglinie in der Coronakrise eines besser sein lassen sollte, dann wohl neue Flugzeuge zu kaufen. Praktisch alle Airlines haben angesichts der vielen Reisebeschränkungen zwei Drittel ihrer Flotte beschäftigungslos auf dem Hof stehen - oder gar noch mehr. Außerdem schreiben alle Linien große Verluste und verbrennen massiv Geld. Sie brauchen also jeden Cent, um nicht gefährlich nahe an die Insolvenz zu rücken. Wie passen da neue Flugzeuge ins Konzept? Erst recht eine Boeing 737 Max? Das Unglücksmodell des US-Luftfahrtriesen steht nach zwei Abstürzen seit 20 Monaten am Boden und hat sowohl bei Kunden als auch bei Flugzeugfinanzierern keinen guten Ruf.

Doch wie immer in der Branche gibt es eine Ausnahme. Und wie - fast - immer heißt sie Ryanair. Der irische Billigflugprimus hat heute einen Auftrag über 75 neue Max-Maschinen mit einem offiziellen Wert von 9,5 Milliarden Dollar abgeschlossen. Und das obwohl der Preisbrecher bereits 135 Exemplare des gleichen Typs in den Auftragsbüchern von Boeing stehen hat. Und als ob das nicht genug wäre, kündigte er gleich einen weiteren Abschluss an. „Wir reden nur noch über ein paar Kleinigkeiten“ avisierte O’Leary den Kauf eines größeren Max-Modells vom Typ 737-10.

Wer die Iren und besonders ihren krawalligen Chef Michael O’Leary näher kennt, der hat den Milliarden-Deal erwartet. Nicht nur, dass der für seine karierten Hemden und derbe Worte bekannte 59-Jährige immer wieder Andeutungen machte. „Die Form passt so gut zu Ryanair wie die Flüche zu Michael“, so ein Branchenkenner. Denn hinter dem Abschluss steckt eine kühle Kalkulation, die aus gleich drei Gründen so typisch Ryanair ist, dass sie wohl kein Wettbewerber so eingehen würde.

1. Aufmerksamkeit ist alles

Mit dem Deal sichert sich Ryanair eine breite und vor allem positive Öffentlichkeit. Die Linie zeigt Kunden und Konkurrenten: Wir sind der gesunde Anbieter in einer angeschlagenen Branche. Wir können mal eben einen Betrag in Höhe unseres Jahresumsatzes auf den Kopf hauen wo die von Übervorsichtigen geführten Konkurrenten jeden Cent zusammenhalten müssen.

Das wirkt anziehender als die jüngsten Nachrichten von Easyjet, die nun auch das Handgepäck beschränkt. Oder von Lufthansa, die sich heute freute, sie habe über Weihnachten auf manchen Strecken wie zu den finnischen Wintersportparadiesen Italo, Kuusamo sowie Kittilä vier Mal so viele Buchungen wie im Advent. Obwohl jeder ahnt, dass es ab Neujahr wieder abwärts geht.

Und - so der zweite Teil der unterschwelligen Botschaft - wir haben das Geschäft im Griff, wir fliegen und wachsen. „Wir werden die Erholung der Branche anführen“, sagte O’Leary heute auf einer Pressekonferenz zum Kauf in der US-Hauptstadt Washington. „Wir wollen die neuen Jets ab dem Frühjahr und so schnell es geht, damit wir in fünf Jahren 600 Flugzeuge und 200 Millionen Passagiere haben.“ Das wären dann ein Drittel mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019.

Zum Vergleich: Der Luftfahrtverband Iata erwartet, dass die Branche 2025 insgesamt auf bestenfalls 90 Prozent des Vorkrisenniveaus kommt.

2. Der beste Deal der Branche auf Kosten anderer

In der Flugbranche gibt es einen alten Kalauer. „Es gibt Lügen, verdammte Lügen - und Listenpreise.“ Das galt wahrscheinlich niemals zuvor mehr als bei dem heutigen Deal. So können Ryanair und Boeing einen Kaufpreis von 9,1 Milliarden rausschreien, der tatsächlich gezahlte Betrag ist wohl nicht mal die Hälfte, sondern unterm Strich noch deutlich weniger.

Schon in guten Zeiten, als die Hersteller weniger Jets bauen konnten als die Airlines kaufen wollten, gab es für Großbesteller bis zu 50 Prozent Rabatt. In Krisenzeiten ist es noch mehr. Besonders Ryanair nützt dann die Schwäche seiner Partner, egal ob es um Gehaltssenkungen für Beschäftigte, Gebührenrabatte an Flughäfen oder eben einen Nachlass beim weltgrößten Luftfahrtkonzern Boeing geht. In der Krise nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 überwies Ryanair dem Vernehmen nach nur gut 40 Prozent des offiziellen Listenpreises. „Und jetzt haben die wahrscheinlich bestenfalls nur ein Drittel der 9,5 Milliarden gezahlt, weil Boeing froh war, dass nach den mehreren hundert Stornos endlich eine namhafte Airline eine nennenswerte Menge an Max-Jets kauft“, so ein Flugzeugfinanzierer.


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Und auch der Preis trifft es wahrscheinlich nicht ganz. Denn auf die nominell drei Milliarden hat der für harte Verhandlungen bekannte O’Leary mit Sicherheit noch die hohen Entschädigungsansprüche von wahrscheinlich gut einer Milliarde anrechnen lassen, die Ryanair wegen der verspäteten Auslieferung seiner bisher bestellten Jets zustanden. O’Leary scherzte zwar, er habe als schüchterner Ire wie immer nur einen bescheidenen Rabatt bekommen, der natürlich viel zu klein sei. Und auch Boeing-Chef Dave Calhoun wies die Unterstellung, er habe seinen Problemjet „in den Markt gepreist“, fast entrüstet zurück. Doch kein Experte dürfte das glauben. „Unterm Strich zahlte Michael wahrscheinlich den besten Preis, den es je für eine Fluglinie gab“, so der Flugzeugfinanzierer.

Und das war nicht das einzige Entgegenkommen. Ryanair darf auf den belasteten Namen 737 Max verzichten und den Problemflieger unauffällig 737-8200 nennen.

3. Gewinn statt Kosten

Und selbst wenn Ryanair jetzt Geld zahlt. Am Ende steht für die Iren ein Gewinn in Milliardenhöhe. Denn wie viele Linien verkaufte das Unternehmen schon bisher seine Maschinen unmittelbar nach der Übernahme an einen Investor für einen deutlich höheren Preis als es selbst bezahlt hat – und mietete sie anschließend zurück. Bei den bisherigen 737 kassierte Ryanair bei solchen Verträgen dem Vernehmen nach bis zu 40 Millionen Dollar pro Flieger. Und auch wenn der Marktwert der Max wegen der Probleme derzeit niedriger ist also vor 2019: „Dank des sensationellen Rabatts dürfte für Ryanair im Prinzip der gleiche Betrag rauskommen“, so ein Flugzeugfinanzierer. Damit hätte Ryanair an dem Deal unterm Strich drei Milliarden Dollar verdient, statt drei Milliarden zu bezahlen.

Mehr zum Thema: Die Coronakrise spielt Ryanair in die Hände. Der Billigflieger schreibt zwar noch geringe Verluste. Doch die Airline baut schon wieder mächtig Druck auf Flughäfen, Personal und Konkurrenz auf. 

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