Scheinfirmen, Strohmänner, Aktiendeals Der lange Weg von Geely-Chef Li Shufu zum Daimler-Coup

Automobil-Manger und Politiker fragen sich: Wie konnte sich ein Milliardär aus China zehn Prozent an Daimler sichern? Eine Spurensuche.

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Der Geely-Manager hat mit seinem Einstieg als Großaktionär bei Daimler einen Coup gelandet. Quelle: Reuters

Peking Seinen Überraschungscoup bei Daimler hat Li Shufu von langer Hand geplant. Als der Chef des chinesischen Autobauers Geely am 23. Februar ankündigte, bei dem Stuttgarter Konzern mit knapp zehn Prozent einzusteigen, hat er Märkte und Politik kalt erwischt.

Nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel, auch die Finanzaufsicht Bafin und Abgeordnete in zwei Bundestagsausschüssen fragen sich seither: Wie konnte sich Li trotz der aktienrechtlichen Meldeschwellen bei drei und fünf Prozent Anteilsbesitz unbemerkt ein so großes Aktienpaket des Autokonzerns zusammenkaufen?

Was aussah wie ein plötzlicher Schritt, hatte der 54-jährige Milliardär indes über Monate hinweg hinter den Kulissen mit Banken vorbereitet, wie mehrere mit der Sache vertraute Personen berichten und Dokumente belegen, die Reuters einsehen konnte. Zwei Insider bei Geely und einer im Umfeld des Konzerns sagten, ein hochrangiger Manager namens Li Yifan, auch bekannt als Frank Li, habe mehr als ein Jahr lang ein kleines Team geführt, das Daimler-Aktien kaufen sollte.

Doch Li hielt seine 7,5 Milliarden Euro schwere Investition mit Hilfe von Mantelgesellschaften in Hongkong, Derivaten rund um Daimler-Aktien und sorgfältig strukturierten Optionsgeschäften unter der Decke - bis er auf einen Schlag größter Einzelaktionär in Stuttgart werden konnte, mit einem höheren Anteil als der Staatsfonds von Kuwait (knapp sieben Prozent).

Nichts deutet bisher darauf hin, dass Geely gegen geltendes Recht verstoßen hätte. „Die Tatsache, dass Li einsteigt, war keine Überraschung“, sagt ein hochrangiger Daimler-Manager, der nicht mit Namen genannt werden will. „Aber wie er das bewerkstelligt hat, war sicher eine.“

Mantelfirma in Hongkong

Wie Reuters im November von Insidern erfahren hatte, klopfte der Geely-Chef schon im vergangenen Jahr an Daimlers Tür. Eine Technologiepartnerschaft zum autonomen Fahren und Elektroautos schwebte ihm vor, da nach seiner Auffassung auf längere Sicht nur einige wenige große Autobauer bestehen blieben und die Marke mit dem Stern gute Überlebenschancen hätte. Li hätte gerne frische Aktien über eine Kapitalerhöhung gekauft, doch Daimler lehnte ab.

Eine mit dem Deal vertraute Person sagt, Morgan Stanley habe die Struktur der Investition ausgearbeitet und Li geholfen, seine Positionen auf dem Sekundärmarkt aufzubauen. Außerdem habe die US-Großbank Kapital bereitgestellt, um den Einstieg zu finanzieren.

Auch die Bank of America Merrill Lynch wirkte mit. Die Mantelfirma Tenaciou3 Prospect Investment Ltd, die in der Stimmrechtsmitteilung zu Daimler als neuer Eigner genannt wird, wurde am 27. Oktober ins Firmenregister in Hongkong eingetragen - mit einer Aktie im Wert von einem Hongkong-Dollar. Als Chef wird Li Yifan aufgeführt.

Im Dezember beauftragte Tenaciou3 die beiden Investmentbanken mit dem indirekten Aufbau des Daimler-Pakets. Geely engagierte den Insidern zufolge außerdem zwei ehemalige Spitzenbanker von Morgan Stanley: Dirk Notheis in Deutschland und Bao Yi in China.

Notheis war 2010 an der umstrittenen Milliardenübernahme des Energieversorgers EnBW durch das Land Baden-Württemberg beteiligt. Morgan Stanley, Bank of America und Daimler lehnten eine Stellungnahme ab. Li Yifan ließ Anfragen unbeantwortet, Li Shifu war zunächst nicht zu erreichen.

Unter dem Behördenradar

Die Banken und die Berater tüftelten für Geely einen Schleichweg aus, wie der chinesische Autobauer einen signifikanten Daimler-Anteil aufbauen konnte - und wandten dabei Taktiken an, mit der sie unter dem Radar der Kapitalmarktregeln zur Offenlegung blieben. Eine Vorgehensweise dabei war der Kauf von Derivaten, die indirekt den Besitz garantierten, wie zwei mit dem Deal vertraute Personen Reuters sagten.

Tenaciou3 kaufte Aktien direkt. Die Banken beschafften weitere Anteile, verhüllt durch einen Strauß von Optionen und Swaps - das Instrumentarium nannten sie in Stimmrechtsmitteilungen am 1. März, knapp eine Woche nach der Enthüllung des Geely-Anteils.


Von Scheinfirmen und Strohmännern

Der Geely-Chef hatte dabei zunächst keinen Zugriff auf die Papiere und musste deshalb nichts anmelden, wie zwei mit dem Vorgehen vertraute Personen erklären. Für Derivate gilt zwar eine Meldepflicht bei Berühren bestimmter Schwellen - sie müssen Anwälten zufolge aber erst nach der Unterzeichnung einschlägiger Verträge binnen vier Handelstagen gemeldet werden.

Ein Banker, der nicht namentlich genannt werden will, erläutert, der Anteil von Tenaciou3 habe knapp unter drei Prozent der Aktien gelegen und bei bis zu zwei Prozent über Derivate. Der Rest seien die Aktien gewesen, die über einen „Equity Collar“ geschützt gewesen seien und erst zum Verkauf an Tenaciou3 offengelegt werden mussten.

Wie es auf der Finanzwebsite „investment&finance“ heißt, werden bei einem „Equity Collar“ dabei Optionen so eingesetzt, dass eine Position ohne Kosten aufgebaut werden kann und ein Ertrag gesichert wird. Dabei werden gleichzeitig Put-Optionen, also das Verkaufsrecht auf das Basispapier, zu einem niedrigeren als dem aktuellen Kurs gekauft und Call-Optionen, das Kaufrecht, zu einem höheren als dem aktuellen Kurs verkauft. Dabei entsteht ein Preisband, daher der Begriff „Kragen“.

Bundeskanzlerin Merkel sah „auf den ersten Blick“ keine Verstöße von Seiten Geely. „Die Frage, die hier sicherlich nochmal zu klären ist: Gibt es Lücken in der Transparenz der Meldepflichten?“ Dieses Thema werde jetzt auf die Tagesordnung kommen.

Die Finanzaufsicht Bafin durchleuchtet den Vorgang. Im Bundestag diskutierten sowohl der Wirtschafs- als auch der Finanzausschuss nach Angaben von Teilnehmern wegen des Falls Daimler darüber, ob die geltenden Transparenzregeln noch ausreichen. Auch das Bundeswirtschaftsministerium will prüfen, ob die Vorschriften geändert werden müssen.

Die Struktur des Deals macht es schwierig herauszufinden, woher das Geld dafür stammt. Auf dem Papier gehört Tenaciou3 einer anderen in Hongkong registrierten Firma, Fujikiro Ltd., die wiederum eine dritte Firma, Miroku Ltd, unter den Angaben zur Führungsspitze aufzählt.

Die anderen Direktoren der beiden Firmen sind laut offiziellen Einträgen alle Senior Partner bei der internationalen Wirtschaftskanzlei King & Wood Mallesons, die sich dazu nicht äußern wollte. Geely-Chef Li Shufu wird in den Dokumenten, die Reuters eingesehen hat, nicht namentlich genannt. Aber der Unternehmer hat selbst gesagt, dass er der Besitzer des Daimler-Anteils ist, den Tenaciou3 hält.

Der Einsatz von Mantel- oder Briefkastenfirmen als Investmentvehikel und von Anwälten als Strohmänner reicher Investoren ist ein verbreitetes Vorgehen. Geely-Vertreter sagten, dieser Weg sei gewählt worden, um die scharfen Kapitalausfuhrkontrollen der Regierung in Peking zu umgehen.

Das Unternehmen erklärte, die Milliarden für das Daimler-Aktienpaket seien allesamt im Ausland aufgenommen worden. Eine Schwesterfirma von Tenaciou3 nahm so zum Beispiel 1,67 Milliarden Euro von der chinesischen Industrial Bank Co Ltd in Hongkong auf, einer Provinzbank.

Die Nutzung einer kleineren Bank weist darauf hin, dass zumindest nicht Peking daran beteiligt war. Der Anteil der der Schwesterfirma von Tenaciou3 Prospect, der Firma mit der einen Aktie, setzte sie als Sicherheit für den Milliardenkredit ein.

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