Schiedsgerichte Justitia verzieht sich ins Hinterzimmer

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Fehlende öffentliche Einsicht

Formel-1-Chef Ecclestone angeklagt
Die Staatsanwaltschaft München hat Anklage gegen den Geschäftsführer der Formel-1-Holding SLEC Bernhard "Bernie" Ecclestone, erhoben. Der Prozess könnte im Herbst beginnen. Ecclestone soll den ehemaligen BayernLB Gerhard Gribkowsky mit mehr als 33 Millionen Euro geschmiert haben. Eine Verurteilung könnte das Ende seiner Karriere bedeuten. Ecclestone selbst ist der Ansicht, dass er nur eine Haftstrafe das Aus für ihn bedeuten würde. Dann müsse er wohl zwangsläufig abdanken. Gegen Gribkowsky... Quelle: dapd
.... ist bereits ein Urteil ergangen. Der ehemalige BayernLB-Manager wurde zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hatte 44 Millionen Dollar Bestechungsgeld von Formel-1-Inhaber Bernie Ecclestone kassiert und nicht versteuert. Gribkowsky wollte zunächst nichts sagen, doch dann legte er nach acht Monaten Schweigen ein umfassendes Geständnis vor dem Landgericht München ab. Mittlerweile hat er aus dem Gefängnis heraus sein Vermögen freigegeben. Die BayernLB sammelt die Millionen ein und wird somit für den von Gribkowsky verursachten Schaden entschädigt. Es geht um 30 Millionen Euro: Immobilien, Uhren und 900 Flaschen Wein miteingerechnet. Gribkowsky erhofft sich dadurch eine kürzere Haftdauer. Quelle: dapd
Staatsanwaltschaft gegen Holger Härter (Porsche)Urteil: Härter muss einen Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 3500 Euro bezahlen. Richter Roderich sagte, Härter habe bei Kreditverhandlungen mit der französischen Bank BNP Paribas 2009 unvollständige und unrichtige Angaben gemacht. Bei den Verhandlungen ging es um einen 500-Millionen-Euro-Kredit. Zu der Zeit versuchte der Sportwagenbauer den ungleich größeren Volkswagen-Konzern zu schlucken. Mit der Strafe blieb das Gericht hinter dem von den Strafverfolgern geforderten Strafmaß zurück. Die Staatsanwälte hatte ein Haftstrafe von mindestens einem Jahr gefordert,, die bei einer Bewährungsauflage von einer Million Euro zu einer dreijährigen Bewährungsstrafe hätte ausgesetzt werden können. Kreditbetrug kann mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden. Quelle: dpa
Piech und Porsche im VisierDie juristischen Nachwehen des Machtkampfes zwischen Porsche und VW treffen nun auch die Spitzen des bekanntesten deutschen Autoclans: Die Staatsanwälte in Stuttgart haben neuerdings Ferdinand Piëch und Wolfgang Porsche (beide Foto) im Visier. Die Ermittlungen erfassen den kompletten früheren Aufsichtsrat der Porsche-Dachgesellschaft PSE. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen alle Mitglieder des Gremiums, die zur heißen Phase des Machtkampfes 2008/2009 als Kontrolleure der PSE beteiligt waren. Grund sei der Verdacht auf Beihilfe zur Marktmanipulation, mit der Anleger womöglich getäuscht worden seien. Laut Geschäftsbericht mit Stand Ende Juli 2008 gehörten damals außerdem Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück dazu sowie Hans Baur, Ulrich Lehner, Wolfgang Leimgruber, Hans Michel Piëch, Ferdinand Oliver Porsche, Hans-Peter Porsche, Hansjörg Schmierer, Walter Uhl und Werner Weresch. Zudem nimmt die Behörde einen weiteren damaligen Porsche-Manager ins Visier: Auch gegen den Ex-Unternehmenssprecher Anton Hunger wird wegen desselben Verdachts ermittelt. Hintergrund ist der spektakulär gescheiterte Versuch von Porsche, die Macht beim wesentlich größeren VW-Konzern zu übernehmen. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass damals Anleger und Finanzwelt gezielt hinters Licht geführt wurden, als 2008/2009 die heiße Phase der Übernahmeschlacht tobte. In diesem Zusammenhang läuft auch eine Klage gegen den früheren Porsche-Chef Wendelin Wiedeking... Quelle: dapd
Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Wendelin Wiedeking, PorscheVorwurf: Verdacht auf Manipulation des AktienmarktesFast drei Jahre ermittelte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen den einstigen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und den früheren Finanzvorstand des Autobauers, Holger Härter. Im Dezember 2012 erhoben die Staatsanwälte schließlich Klage gegen Wiedeking. Der Vorwurf: Informationsgestützte Markmanipulation. Er habe die Börse im Verlauf der Übernahmeschlacht nicht korrekt über seine Pläne und den aktuellen Stand der Ding informiert. Der Vorwurf der Veruntreuung wurde allerdings fallen gelassen. Wiedeking und Härter hatten sich mit gewagten Aktienoptionsmodellen verspekuliert, was den Sportwagenbauer Milliarden gekostet hat. Allerdings soll die Situation nicht existenzgefährdend gewesen sein, daher wurde von der Anklage in diesem Punkt abgesehen. Das Landgericht Stuttgart muss nun in den nächsten Monaten entscheiden, ob es die Klage zulässt. Quelle: dpa
Staatsanwaltschaft gegen Michael Rook (Media Markt)Instanz: Landgericht AugsburgAnklage: Bestechung und Bestechlichkeit - Annahme von Schmiergeld. Ein anderer Angeklagter hat Ende Juni den Empfang von Schmiergeld gestanden und den Ex-Deutschland-Geschäftsführer der Elektronikmarktkette Media Markt, Michael Rook, wegen der Annahme von Schmiergeld mitbeschuldigt. Er und weitere Ex-Top-Manager von Media Markt hatten Schmiergelder für die Vergabe von DSL-Anschlüssen erhalten. Dadurch seien der Wettbewerb ausgehebelt und die Konkurrenten beschädigt worden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sind mehr als vier Millionen Euro geflossen. Der Ex-Deutschland-Chef von Media Markt soll in 182 Fällen bestochen worden sein.Aktueller Stand: Die Staatsanwaltschaft glaubt den Beteuerungen Rooks nicht und beantragt eine Haftstrafe von fünf Jahren und neun Monaten. Für den Ex-Regionalmanager beantragte der Staatsanwalt vier Jahre und sechs Monate Gefängnis. (November 2012) Quelle: dpa
Leo Kirch gegen die Deutsche BankVorwurf: Kirch und seine Familie werfen der Deutschen Bank vor, dass der ehemalige Deutsche Bank-Chef Rolf Breuer mit einem Interview am 4. Februar 2002 im Nachrichtensender Bloomberg den Zusammenbruch der Kirch-Gruppe mitverursacht hat.Dauer/Instanz: Kirch reichte 2002 die erste Klage ein. Im Dezember 2012 fällt das Oberlandesgericht München das Urteil.Urteil: Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht München Guido Kotschy verurteilte die Deutsche Bank auf Schadenersatz. Die Höhe ließ er offen. Die Summe solle von zwei Gutachtern bestimmt werden. Die Kirch-Seite hatte die Bank in diesem Verfahren auf mehr als zwei Milliarden Euro verklagt. Eine Revision gegen das Urteil ist nicht zugelassen. Die Aussagen Breuers in dem umstrittenen Interview seien kein Unfall gewesen, so Kotschy. Quelle: dpa

Dass so wenig über die Verfahren bekannt wird, hat System. Die Sitzungen laufen sämtlich jenseits der Öffentlichkeit, die streitenden Parteien vergattern sich fast immer auf absolute Verschwiegenheit, selbst über den Ausgang des Streits. Lediglich Aktiengesellschaften, die zur Ad-hoc-Mitteilung wichtiger Ereignisse verpflichtet sind, müssen das Ergebnis des Verfahrens veröffentlichen.

Nicht nur dieser Vorteil macht Schiedsverfahren für Unternehmen so attraktiv, auch das Verfahren selbst hat für sie großen Reiz. Die Vollstreckbarkeit des Schiedsurteils ist gewährt, notfalls mithilfe eines Oberlandesgerichts. Die Parteien dürfen die Schiedsrichter, in der Regel drei, selbst bestimmen. Die Verfahren dauern in der Regel nur ein Jahr und sind viel kalkulierbarer als die üblichen Prozesse. Bereits nach der ersten Instanz fällt die endgültige Entscheidung, die nicht mehr angefochten werden kann. Vor öffentlichen Gerichten landet ein Schiedsgerichtsurteil nur bei Verfahrensfehlern. Doch das passiert nur in rund zehn Prozent der Fälle, von denen am Ende 90 Prozent abgewiesen werden.

„Als Richter wählen die Parteien international erfahrene Praktiker, renommiert auf dem relevanten Gebiet. Egal, ob es um notleidende Kredite nach Unternehmensverkäufen, Gesellschafterverträge im Mittelstand, Klauseln im Rückversicherungsgeschäft oder Energiepreise geht“, sagt der Düsseldorfer Anwalt und Rechtsprofessor Siegfried Elsing, der auch von der Weltbank als Schiedsrichter beauftragt wird.

Gerade die Globalisierung treibt immer mehr Unternehmen in die Hinterzimmer der Rechtsprechung. Geschäftspartner unterschiedlicher Nationalitäten können so einen Gerichtsort in einem dritten Staat vereinbaren, beispielsweise um die rigide Rechtsprechung in den USA zu umgehen. Rund 150 Staaten erkennen gemäß einem UN-Abkommen Schiedssprüche und ihre Vollstreckung an. Etwa 90 Prozent aller größeren internationalen Verträge enthalten solche Klauseln. „Bei uns laufen Fälle von 28 Euro bis zu Milliardenbeträgen auf“, sagt DIS-Geschäftsführer Jens Bredow, gut die Hälfte davon kommt von Mittelständlern.

Welche Details in einem Schiedsgerichtsverfahren auf den Tisch kommen, ist das große Geheimnis der Beteiligten. Das Prozedere wird von der Schiedsordnung bestimmt und sieht in etwa so aus:

  • Laut DIS-Geschäftsführer Bredow dauern die Verfahren im Schnitt zwölf Monate. Am Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer (ICC) in Paris – der ältesten Institution zur privatwirtschaftlichen Streitschlichtung überhaupt – kalkulieren die Unternehmen mit rund 18 Monaten. Größere Schiedsverfahren dauern allerdings wesentlich länger.
  • Zunächst gehen Schriftsätze zwischen den streitenden Parteien hin und her. Das eine Unternehmen legt seine Klageschrift vor, danach erhält das andere in der Regel drei bis sechs Monate Zeit zu erwidern.
  • Sodann folgt ein mehrmonatiges Zwischenverfahren, in dem die Parteien wechselseitig voneinander Dokumente verlangen können. „Diese sogenannte Document Production wird häufig durchgeführt, wenn das Verfahren Bezüge zum anglo-amerikanischen Recht hat“, sagt Schiedsexperte Risse. Ein Ende findet das Hin und Her in einer letzten Runde, in der die Parteien sich abschließend schriftlich zum Sachverhalt äußern und auf die Argumente der Gegenseite eingehen.
  • Zum Showdown kommt es in der mündlichen Verhandlung, die einige Tage bis mehrere Wochen dauern kann. Dazu mieten sich die Parteien und die Schiedsrichter in einem Konferenzhotel am Schlichtungsort ein. Dort werden die Zeugen in der Sache angehört und von der jeweiligen Gegenseite ins Kreuzverhör genommen.
  • Scheitert das Schiedsgericht mit dem Versuch einer gütlichen Einigung, erhalten beide Seiten eine Frist von einigen Monaten, um zum Ergebnis der Beweisaufnahme und abschließend zur Rechtslage Stellung zu nehmen. Basierend auf diesen so- genannten „Post Hearing“-Schriftsätzen trifft sich das Schiedsgericht final zu Beratungen über den Schiedsspruch.
  • Bis zum Urteil vergehen weitere Monaten. Liegt der Spruch vor, der im Extremfall mehrere Hundert Seiten umfassen kann, prüfen die Anwälte beider Seiten, ob sie dagegen vor öffentlichen Gerichten vorgehen können. „Das ist aber nur bei schweren Verfahrensfehlern oder Verstößen gegen grundlegende inländische Wertvorstellungen wie das Prinzip der groben Sittenwidrigkeit möglich“, sagt Anwalt Risse.
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