Schiffbauer in der Krise Werftenkrise? Nicht bei Tamsen in Rostock

Volle Fertigungshalle bei Tamsen in Rostock Quelle: PR

Die Insolvenz der MV Werften illustriert den Abstieg der deutschen Schiffbauer. Dabei haben sich einige Werften längst in lukrative Nischen geflüchtet - und die beste Zeit könnte erst noch kommen.

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Die Zeiten, als die Tamsen Werft Yachten verkauft hatte, ist schon eine Weile vorbei. Aber wehmütig blickt Christian Schmoll nicht auf die Jahre zurück, als der Rostocker Schiffbauer die vermögende Klientel umgarnte. Im Gegenteil: Schmoll hält sich bewusst aus dem Geschäft heraus. „Beim Verkauf teurer Yachten geht es vor allem um eine etablierte Marke, die ohne Wenn und Aber für Luxusschiffe steht“, sagt der Geschäftsführer des Unternehmens. Tamsen stehe für etwas anderes, für „Spezialschiffbau und Qualitäts-Reparaturwerkstatt“, sagt Schmoll. Auch als Werkzeugmacher für die Windkraftindustrie hat sich die Werft inzwischen empfohlen. Daher habe sich das Unternehmen aus dem Luxussegment zurückgezogen. „Mit unserer diversifizierten Kompetenz sind wir nahezu einzigartig an der Ostsee.“

Tatsächlich gilt die Rostocker Tamsen Werft unter Branchenexperten als Nischenplayer mit besonderem Fokus. Der Hamburger Heiner Tamsen, der zuvor ein Vermögen mit dem Handel von Luxusautos machte, kaufte die Werft 2009 - und verabschiedete sich sukzessive aus dem Yachtbau. Seitdem geht es bergauf. Zwar hat die Coronapandemie der Werft zugesetzt, teilweise musste das Unternehmen Kurzarbeit beantragen. Doch für 2022 ist die Auftragspipeline gut gefüllt. „Wir erwarten die höchsten Umsätze der Unternehmensgeschichte“, sagt Schmoll.

Werftenkrise? Nicht bei Tamsen in Rostock. Dabei wirft die Insolvenz der MV Werften gerade ein negatives Schlaglicht die einst stolze Branche: Der Bau von Kreuzfahrtschiffen ist unter Druck geraten. Schon vor Jahren ist die Fertigung von Containerschiffen nach Asien abgewandert. 2020 setzten deutsche Werften 5,1 Milliarden Euro um - ein Drittel weniger als im Spitzenjahr 2010.

Doch es gibt Nischen, in denen sich einige deutsche Werften außerordentlich wohl fühlen und Rückschläge auffangen können. Sie haben sich ausreichend diversifiziert, um schwierige Zeiten zu überstehen. In Deutschland ist gar ein enormes Ingenieurwissen im Schiffbau vorhanden - mit hoher Fertigungskompetenz und überraschender Flexibilität.. Experten sehen den Standort daher gut gerüstet für die Zukunft, vorausgesetzt, die Bundesregierung lässt die Werften nicht ganz im Stich.

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Die Tamsen Werft aus Rostock ist so ein Beispiel für ein Unternehmen mit Spezialkenntnissen. Für Firmenchef Schmoll ist es die einzige Lösung, um die Billigkonkurrenz im Ausland auf Abstand zu halten. „Die Wettbewerber in Asien produzieren Schiffe zu Werftstundensätzen, die bei einem Zehntel im Vergleich zu Deutschland liegen.“ Selbst innerhalb Europas würden einige Konkurrenten etwa aus Italien oder dem Baltikum für die Hälfte der Löhne arbeiten. Die Tamsen Werft müsse daher mit Qualität überzeugen - und ausschließlich Spezialschiffe als Nischenprodukt bauen. Dezeit erstellt Tamsen etwa wattfähige Schnellboote für den deutschen Zoll. Die Schiffe will der Firmenchef im Anschluss dann auch ins Ausland verkaufen. Schmoll fordert mehr Bestellungen von deutschen Behörden für deutsche Werften. „Das kann Export ankurbeln.“

Geht es Florian Sprenger vom Lehrstuhl Schiffbau an der Universität Rostock, bringen deutsche Anbieter grundsätzlich gute Voraussetzungen mit, auf dem Weltmarkt zu bestehen. „Deutsche Werften sind hochspezialisiert“, sagt der Ingenieur und Inhaber des Lehrstuhls für Schiffbau. „Die Unternehmen verfügen über einen Vorsprung beim Know-how der Mitarbeiter, bei der Produktionstechnologie und den Fertigungsabläufen“, sagt der Experte. Die Werften würden Schiffe mit „sehr hoher Qualität“ abliefern. Gerade bei der teilautomatisierten Fertigung sieht Sprenger Vorteile. „Die Werften an Nord- und Ostsee verfügen über modernste Anlagen, die teils robotisch gesteuert werden und sich für die effiziente und qualitativ hochwertige Fertigung komplexer Schiffskonstruktionen eignen.“

Dadurch seien die Unternehmen an der Küste gut gerüstet für die Zukunft, da sie „flexibel auf neue Anforderungen reagieren könnten“, sagt Experte Sprenger. So könnten Bauer von Kreuzfahrtschiffen etwa vergleichsweise schnell umschwenken auf den Bau von Yachten oder andere technisch anspruchsvolle Spezialschiffe. „Die deutschen Werften müssen die Vielseitigkeit zu ihrer Stärke machen.“

In den vergangenen Jahren habe einige Werfte gezeigt, dass sie sich geschmeidig an Veränderungen anpassen können. Die Meyer Werft in Papenburg etwa baut seit Jahren erfolgreich Kreuzfahrtschiffe, zuletzt etwa für Aida Cruises und Disney Cruises. Während der Coronapandemie ist das Familienunternehmen auf den Yachtbau umgeschwenkt. Die Heinrich Rönner Gruppe ist eine familiengeführte Unternehmensgruppe aus Bremerhaven, die sich neben dem Schiffbau auch im Stahlbau und als Dienstleister positioniert hat. Die Bremer Lürssen-Boote stehen für Luxus und Marine. Die Fassmer Gruppe an der Weser hat sich ebenfalls stark diversifiziert - unter anderem in Yachten, Fähren und Offshore-Boote.

Die Expertise und Wendigkeit der deutschen Werften dürfte in den nächsten Jahren noch mehr gefragt sein. Ab 2023 führen die Länder weltweit neue Effizienzklassen ein, die die Schiffe nach dem Ausstoß ihrer CO2-Emissionen einordnen. Grundlage dafür sind neue Standards der Internationalen Seefahrtsorganisation (IMO), die die globalen CO2-Emissionen der Seeschifffahrt gemessen an der Transportleistung bis 2030 um mindestens 40 Prozent unter das Niveau von 2008 senken sollen. Mit anderen Worten: „Viele Reeder müssen ihre Schiffe nachbessern oder sogar neue Schiffe bauen“, sagt Sprenger. „Es wird viel Geld in die Branche fließen.“

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Für die deutschen Unternehmen ist das eine riesige Chance - und nicht die einzige. Die globale Energiewende wird eine neue Nachfrage nach Schiffen auslösen. Die Länder weltweit bauen zahlreiche Windparks auf hoher See. „Die Anforderungen an die Schiffe verändern sich“, sagt Schiffbauingenieur Sprenger. So sei etwa die Nachfrage nach Arbeitsschiffen für die Errichtung und Wartung von Windparks auf hoher See nach wie vor nicht gestillt. Mit Spannung beobachtet Sprenger erste Pilotprojekte von schwimmenden Windrädern in Gewässern mit großer Wassertiefe. „Ich sehe hier großes Potenzial für deutsche Werften, nicht nur im Schiffbau, sondern auch in der Fertigung von Tragstrukturen für Windenergieanlagen“, sagt Sprenger.

Für die insolventen MV Werften wird die Luft dagegen immer dünner. Der Mutterkonzern Genting ließ in Stralsund den Kreuzfahrtriesen „Global Dream“ bauen. Es sollte das größte Kreuzfahrtschiff der Welt werden, eine Wasserherberge für 9500 Passagiere und 2500 Besatzungsmitglieder. Doch der Casinobetreiber Genting geriet wegen der Pandemie in die Krise, hat inzwischen selbst Insolvenz angemeldet. Nun fehlen 600 Millionen Euro, um das Kreuzfahrtschiff zu Ende zu bauen. Jochen Tholen vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen bezweifelt, dass das gelingen kann. Die „Global Dream“ sei nichts anderes als „ein schwimmendes Glücksspielcasino“ - Investoren stehen nicht gerade Schlange.

Zwar werde der Kreuzfahrtmarkt „mit Wucht“ zurückkommen, sagt Tholen. Aber auf Sicht von drei bis fünf Jahren gebe es wohl „keine Neubauaufträge“. Der Experte sieht kaum eine Chance, Wismar als Werftstandort zu erhalten. Für Stralsund sei ohnehin geplant, den Standort als „maritimen Gewerbepark“ umzuwidmen. Auch Tholen sieht die Offshore-Windenergie als ein wichtiges Überlebensthema. Im Zuge der Klimaneutralität werde der Umbau zu klimaneutralen Motoren forciert werden. „Das wird eine gewaltige Auftragsflut nach sich ziehen, nur das dauert. Das wird eher langfristig sein.“

Diese Zeit müssen die Werften überstehen. Denn, so Tholen: Sobald ein Standort geschlossen werde, werde es sehr schwierig, den Standort als Werftstandort wiederzubeleben.

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