Schimpfen, Vorpreschen, Dementieren So reagieren die Autobauer auf die Kartellvorwürfe

Man beteilige sich nicht an Spekulationen – so reagierten VW, Daimler und BMW auf die Kartellvorwürfe. Doch nun zeichnen sich verschiedene Methoden ab, mit den Vorwürfen umzugehen. Bei einem Autobauer regiert das Chaos.

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Düsseldorf Zumindest in einem Punkt sind sich die großen Autobauer derzeit einig: Die Kartellvorwürfe sind Thema in den Aufsichtsräten des VW-Konzerns und von Daimler – also jenen Gremien, die sicherstellen sollen, dass sich die Manager im Vorstand an Recht und Gesetz halten. Der Aufsichtsrat von Daimler tagt am Mittwoch. Die Sitzung steht seit langem fest, doch die Agenda wurde nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters um die Kartellvorwürfe ergänzt.

VW-Aufsichtsratschef Dieter Pötsch trommelt seine Aufseherkollegen zu einer eigens anberaumten Dringlichkeitssitzung zusammen, ebenfalls am Mittwoch. Wie der Aufsichtsrat von BMW reagiert, ist noch nicht bekannt. Doch auch dort können die Aufseher wohl kaum über das Thema hinweggehen.

Als erste Reaktion auf die Kartellvorwürfe, über die der „Spiegel“ zuerst berichtete, ließen alle drei deutschen Autobauer verlauten, zu Spekulationen äußere man sich nicht. So weit, so einig: Doch abgesehen von der  Themensetzung des Aufsichtsrats und der ersten Pressemitteilung nach den Vorwürfen könnten die Reaktionen der mutmaßlichen Kartellbrüder kaum unterschiedlicher ausfallen. Während der eine schimpft, prescht der andere vor – und der dritte weiß von nichts. Die nun kursierenden öffentlichen Reaktionen in der Krise geben einen seltenen Einblick in das Innenleben der Konzerne.

Bei dem ohnehin gebeutelten VW-Konzern mit seinen zwölf Marken liegen die Nerven ganz offenbar blank: Über Zeitungsinterviews beschuldigen sich die Verantwortlichen gegenseitig. „Ich war weder über die Arbeitskreise noch über die Selbstanzeige des VW-Konzerns informiert“, sagte ein Aufsichtsrat dem Handelsblatt. „Die Vorwürfe machen mich fassungslos. Sollten sie sich bewahrheiten, muss es personelle Konsequenzen geben.“

Als einer der Ersten wagte sich Porsche-Betriebsrat Uwe Hück aus der Deckung der Anonymität und eröffnete den Reigen der öffentlichen Schuldzuweisungen: „Ich werde es nicht zulassen, dass Porsche durch Tricksereien von Audi in Gefahr gerät“, sagte der oberste Belegschaftsvertreter des Stuttgarter Sport- und Geländewagenbauers der „Bild am Sonntag“. „Eigentlich muss der Audi-Aufsichtsrat die Vorstände freistellen.“ Der Grund für Hübners Frust: Audi lieferte die 3,0-Liter-Dieselantriebe, deren Betrieb zumindest in den USA nicht vorschriftsgemäß war, auch an Porsche und VW. Dies seien „kranke Motoren“ gewesen, sagte Hück: „Wir fühlen uns von Audi betrogen.“ Er könne nun „diese ganzen Lügen nicht mehr ertragen“.

VW-Chef Matthias Müller konnte die Verbalattacken nicht unkommentiert stehen lassen – und teilte via „Heilbronner Stimme“ ebenfalls aus: „Der Aufsichtsrat muss ganz sicher nicht belehrt werden, wie er seine Arbeit zu tun hat", sagte er. Hücks Äußerungen seien „alles andere als hilfreich“. Für Christian Scherg, Experte für Krisenkommunikation bei der Düsseldorfer Agentur Revolvermänner, ist dieser öffentliche Schlagabtausch Ausdruck eines Kontrollverlusts innerhalb des VW-Konzerns. „Dass interne Kommunikation nach draußen dringt oder sich Vorstand und Betriebsrat öffentlich angreifen, ist so natürlich in keinster Weise gewünscht“, sagt er. Eigentlich müssten alle Beteiligten Geschlossenheit demonstrieren, um den Reputationsschaden nicht noch zu verstärken. „Im Krisenfall haben wir es aber oft auch mit irrationalem Handeln zu tun. Schließlich haben manche Mitarbeiter auch Angst um ihren Job“, so Scherg.

Während sich der VW-Konzern intern zerfleischt, prescht Daimler vor: Über anonyme Quellen wurde lanciert, dass Daimler bei seiner Selbstanzeige VW möglicherweise zuvor gekommen ist. Offiziell bestätigt haben das die Wettbewerbsbehörden nicht. Doch solche Meldungen dürften Daimler nicht ungelegen kommen. Schließlich erscheinen die Stuttgarter damit als Whistleblower im womöglich größten Kartell der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Bestätigen sich die Kartellvorwürfe, könnte Daimler auf Straffreiheit hoffen. Als zweiter Sieger im Rennen um die schnellste Selbstanzeige bei den Wettbewerbshütern der EU-Kommission könnte VW nur noch die Hälfte der Kartellbuße erlassen bekommen.


Der Image-Schaden für die Autobauer ist immens

Die Aussicht hilft Daimler dabei, interne Kritik nicht allzu laut werden zu lassen: „Wir brauchen eine vollständige Aufarbeitung der Kartellvorwürfe“, sagte zwar Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht. „Es ist eindeutig, dass danach Konsequenzen gezogen werden müssen.“ Doch explizite Schuldzuweisungen verkneift sich Daimlers oberster Arbeitnehmervertreter. „Bei der Krisenkommunikation ist es wichtig, die Deutungshoheit zu behalten“, sagt Kommunikationsexperte Scherg. Unternehmen müssten im Krisenfall zeigen, dass sie Transparenz schaffen, und nicht nur auf öffentlichen Druck reagieren. „Das sieht bei Daimler momentan besonders zielgerichtet aus“, so Scherg.

Durch die frühe Selbstanzeige habe Daimler möglicherweise auch einen Vorteil in der Krisenkommunikation: „Wenn ich so einen Schritt vorbereite, wird alles generalstabsmäßig am Reißbrett durchexerziert“, sagt Scherg. Die Reaktionen von Politikern und der Öffentlichkeit würden bis ins kleinste Detail simuliert, um auf alles vorbereitet zu sein. Der Vorteil einer guten Planung laut Scherg: „So hat man den ersten Aufschlag und kann das Spiel bestimmen.“

Für BMW ist dagegen kein Antrag auf Kronzeugenregelung bei den EU-Wettbewerbshütern verbürgt. Das bedeutet: Sollten sich die Vorwürfe gegen die Autobauer bestätigen, läuft BMW Gefahr, ein Milliarden-Bußgeld zahlen zu müssen. Wer sich erst gegen Ende der Ermittlungen auf einen Deal mit den Kartellbehörden einlässt, kann sein Bußgeld um maximal zehn Prozent reduzieren.

Kein Wunder also, dass BMW in den Verteidigungsmodus schaltet: „Wir wissen nichts von Ermittlungen gegen uns“, sagte ein Konzernsprecher. Ein paar mehr Details geben die Münchener zur Abgasreinigung Adblue preis, bei der es ebenfalls illegale Absprachen gegeben haben soll. „Diskussionen mit anderen Herstellern über Adblue-Behälter zielten aus Sicht der BMW Group auf den notwendigen Aufbau einer Betankungsinfrastruktur in Europa ab“, so die Sprachregelung der Münchener. „Wir suchen auch in der Abgasreinigung den Wettbewerb. Die von BMW eingesetzte Technologie unterscheide sich deutlich von anderen im Markt.“

Es sei gut möglich, dass BMW von den Kartellvorwürfen überrascht wurde, sagt Scherg. „Aber vorstellen kann ich mir das eigentlich nicht.“ Trotzdem habe es BMW schwerer als Daimler beim Kampf um die öffentliche Meinung: „Wenn ich mich erklären muss, habe ich immer die schlechteren Karten“, sagt Scherg.

Am Ende wird die Entscheidung der EU-Wettbewerbsbehörden zeigen, welche der drei Verteidigungsstrategien erfolgreich ist. Fest steht allerdings: Der Imageschaden ist schon jetzt immens: „Das ist ein Erdrutsch für die deutsche Autoindustrie“, so Scherg. Die Attribute deutscher Wertarbeit wie Innovation, Verlässlichkeit und Genauigkeit seien nun in Gefahr. „Der Reputationsschaden erstreckt sich auf die gesamte deutsche Wirtschaft und darüber hinaus.“

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