Schleichende Auszehrung Deutsche Vorzeigebranchen akut bedroht

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Überkommene Vorschriften

VW Quelle: dpa

Und dann nervt den Autoriesen auch noch Newcomer Tesla, der ein alltagstaugliches Elektroauto auf die Räder stellte und nun mit dem Bau einer Giga-Fabrik für preiswerte Lithium-Ionen-Batterien das Erfolgsmodell des VW-Konzerns bedroht, das noch stark auf dem Verkauf von Pkws mit Verbrennungsmotoren basiert.

„Manchmal hilft nur eine radikale Änderung des Geschäftsmodells, um aus der Defensive herauszukommen“, sagt Berger-Berater Zollenkop. VW muss sich sputen, um den technologischen Wandel zu meistern und auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. Vorstandschef Martin Winterkorn hat das erkannt: „Denken und Handeln im Konzern müssen neu justiert werden“, fordert er. Die Modellzyklen sollen kürzer werden, die konsequente Modularisierung von Fahrzeugen und Fabriken durch die Baukastenstrategie dabei helfen, das Paradies zu verteidigen.

Wie Regionen auf-, aber auch wieder absteigen können, zeigt das Ruhrgebiet. Für die einstige Herzkammer der deutschen Wirtschaft begann der Abstieg mit dem Einsetzen der Globalisierung. Billige Kohle und Stahl aus Südamerika und Asien untergruben die Wettbewerbsfähigkeit. Staatliche Milliardenhilfen konnten den Trend nicht aufhalten. München und Umland könnte es irgendwann ähnlich ergehen. Noch gilt die Region als Paradies Deutschlands. Eine geschickte Politik, auch mutige Entscheidungen haben die Region vorangebracht. Bei Lebensqualität und Wirtschaftskraft landet Bayerns Landeshauptstadt in Rankings stets vorne. Doch wer oben steht, muss besonders aufpassen.

Die Wohnungsnot ist nur eines von vielen Problemen, mit denen München kämpft. In vielen Stadtteilen fehlen Kindergarten- und Krippenplätze, Gymnasien und Realschulen platzen aus allen Nähten, der öffentliche Nahverkehr ist überlastet.

Der Bau einer zusätzlichen S-Bahn-Linie wird seit Jahren diskutiert, droht aber am Finanzierungs-Hickhack zwischen München und Berlin zu scheitern. Die wohlhabenden Familien im schicken Stadtteil Haidhausen freut’s: Sie wehren sich in Bürgerinitiativen gegen den Bau.

Die satte Bräsigkeit der heimlichen Hauptstädter im Süden verhindert auch andere Infrastrukturerweiterungen. Den Bau einer dritten Startbahn am Flughafen haben die Münchner vor zwei Jahren bei einer Volksbefragung abgelehnt. Die Lufthansa zog schon erste Konsequenzen: Eine Reihe von Asienflügen wurde von München nach Frankfurt verlegt. Bislang war der Airport einer der Jobmotoren der Stadt.

Kaum weniger groß war der Jubel, als 2013 die Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2022 abgelehnt wurde. Die Schickeria in den Bars und Bistros an der Maximilianstraße hat keine Lust auf Baulärm und Belästigungen. Dabei hätten die Spiele für einen Modernisierungsschub der Infrastruktur sorgen können. Die Erfolge der Vergangenheit, so klagen manche, hätten bei vielen Münchnern zu Selbstgefälligkeit und Bequemlichkeit geführt.

Noch geht es ihnen besser als dem Rest der Republik. Die Metropole gilt als sicher, mit LMU und TU haben zwei der besten Hochschulen Deutschlands ihren Sitz in München, mit dem FC Bayern sogar der weltbeste Fußballclub. Sechs der 30 Dax-Konzerne haben hier ihre Zentralen, es herrscht praktisch Vollbeschäftigung.

Doch will die Isar-Metropole langfristig erfolgreich bleiben, müssten sich Stadt und bayrische Landesregierung von einigen überkommenen Vorschriften trennen und Reformen anstoßen. So hat Bayern als einziges Bundesland kein eigenes Ladenschlussgesetz. Wer in München nach 20 Uhr einen Liter Milch kaufen will, muss wie vor 20 Jahren in Köln oder Berlin zur nächsten Tanke oder zum Bahnhof fahren. Und bezahlbarer Wohnraum ist auch deshalb knapp, weil nirgendwo in der Stadt höher als die 1488 errichtete Frauenkirche gebaut werden darf: genau 98,57 Meter.

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