Schleichende Auszehrung Deutsche Vorzeigebranchen akut bedroht

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Umsätze fließen mehr und mehr ins Netz ab

Die Lufthansa hat eine Reihe von Asienflügen von München nach Frankfurt verlegt. Quelle: dpa

Für den deutschen Privat-TV-Marktführer RTL wird es enger. Noch liefert der Sender fette Gewinne an Mehrheitseigner Bertelsmann: 5,9 Milliarden Euro setzte RTL 2013 um und erzielte einen Rekordgewinn von 870 Millionen Euro. Doch die Zeichen für den Wandel mehren sich: Allein im Februar wurden YouTube-Filmchen in Deutschland 414 Millionen Mal aufgerufen. Alarmierend für die Privatsender: Junge Zuschauer brechen mit den Sehgewohnheiten ihrer Eltern. Laut ARD/ZDF-Online-Studie schauen fast 90 Prozent der 14- bis 19-Jährigen mindestens einmal wöchentlich Videos im Internet. Zugleich sank die tägliche TV-Zeit der 14- bis 29-Jährigen um 13 auf 128 Minuten.

Die Werbung folgt den Nutzern: Martin Sorrell, Chef des Werberiesen WPP, kündigte an: „2014 zielen wir bei Google auf Ausgaben in Höhe von annähernd drei Milliarden Dollar.“ 2013 waren es erst 2,5 Milliarden. Tendenz: steigend.

Das Internet verändert nicht nur die Strukturen der Unterhaltungsindustrie. Noch mehr unter Druck steht der stationäre Handel. Tausende Passanten schieben sich Tag für Tag durch die Kaufinger Straße in München, Deutschlands teuerste Einkaufsmeile: Bis zu 360 Euro pro Quadratmeter und Monat müssen Einzelhändler hier berappen. Hamburgs Spitalerstraße und Frankfurts Zeil folgen mit Spitzenmieten von jeweils 295 Euro pro Quadratmeter.

Paradiesische Zeiten für die Vermieter von Handelsimmobilien? Internationale Investoren scheinen davon überzeugt. Allein in den ersten drei Monaten 2014 wurden dem Immobilienberatungsunternehmen CBRE zufolge mehr als 2,5 Milliarden Euro in deutsche Einzelhandelsimmobilien investiert – 33 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Doch Experten sehen die Sause skeptisch: Der Online-Boom könnte allzu optimistische Mietkalkulationen über den Haufen werfen. Binnen weniger Jahre stiegen die E-Commerce-Umsätze in Deutschland auf 39,1 Milliarden Euro, allein 2013 um 42 Prozent. Für die Gesamtbranche meldete der Handelsverband gerade mal ein Plus von 1,1 Prozent. Das Minimalwachstum wird demnach fast nur aus den Online-Zuwächsen gespeist.

Doch wenn immer mehr Umsatz ins Netz abfließt, stellt sich für viele stationäre Geschäfte die Existenzfrage. „Der Online-Boom kann auf Dauer nicht ohne Auswirkungen auf die Ladenmieten bleiben“, sagt CBRE-Experte Karsten Burbach. In Gefahr sind weniger die prominenten Shoppingmeilen der großen Citys. Joachim Stumpf von der auf Handelsthemen spezialisierten Münchner Beratung BBE sieht vor allem jene Städte unter Druck, die über keine „Solitärlage“ verfügten: „Wer beim Wochenendeinkauf etwas erleben will, fährt in die nächstgelegene Großstadt. Und wer genau weiß, was er braucht, shoppt online.“

Kommen dann ein Bevölkerungsrückgang, ein Mangel an touristischen Highlights und eine ohnehin schwache Innenstadt hinzu, wird es eng für die örtlichen Einzelhändler – und für ihre Vermieter.

Auch Größe und gute Ergebnisse sind keine Garanten für den Erfolg von morgen. Das spürt gerade VW. Fast 1300 Gäste waren vor wenigen Wochen beim VW Group Event in Genf dabei, als die Wolfsburger neue Modelle zeigten. Nur Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch mochte nicht jubeln: „Wir sind nicht wirklich gut unterwegs – nur besser als andere“, mäkelte er in kleiner Runde. Piëch geht es auf dem Weg in die Zukunft nicht schnell genug.

Die Absatzzahlen stiegen zwar im ersten Quartal um knapp sechs Prozent auf rund 2,4 Millionen Fahrzeuge. Aber der Marsch an die Weltspitze kostet mehr Kraft als gedacht. In Asien laufen die Geschäfte ordentlich, in Westeuropa aber nur aufgrund massiver Verkaufsfördermaßnahmen. In Südamerika sank der Absatz um fast 25 Prozent, in den USA – trotz vieler Incentives – um fast sieben Prozent. In Russland sorgt die Abwertung des Rubel um fast 20 Prozent für tiefrote Zahlen. Zudem schwebt über dem VW-Werk in Kaluga wegen der Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland das Damoklesschwert der Verstaatlichung.

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