Schöller-Eisfabrik Eiskalter Ausverkauf in Nürnberg

Was passiert mit den Resten, wenn ein Unternehmen verschwindet? Auf Sterbebegleitung in der Nürnberger Eisfabrik von Schöller.

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Die drei Männer in der Lounge haben es auf die Kühltanks abgesehen. Beste Ware sei das, sagt der eine. Und einen Abnehmer habe er quasi schon. In der Nähe von Bremen, da kenne er einen Großhändler für solche Sachen, das Warenlager hätten sie doch alle schon mal von der Autobahn gesehen. Der kauft so was! Die beiden anderen nicken, klar, die Tanks seien schon toll. Aber gleich über 60 Stück mit einem Fassungsvermögen von bis zu 20 000 Litern? Ja logo, der hat da Hunderte stehen! Und überhaupt, sonst gehe man halt weiter Richtung Osten. So super Ware, wann bekomme man die schon mal in der Menge?

Die Ankunft der Geier kündet am zuverlässigsten davon, dass einem Unternehmen die letzte Stunde geschlagen hat. Im Fall der Schöller-Eiscremefabrik in Nürnberg kommen sie daher als Fernfahrer in Managerverkleidung. Sie nennen sich freie Handelsvertreter oder gleich Geschäftsführer. Ende 2017 hat die Fabrik zugemacht, genau einen Sommer und 80 Jahre, nachdem Theo Schöller hier im Garten seiner Eltern die ersten „Steckerlas-Eis“, also Eis am Stiel, herstellte.

Über die Jahrzehnte ist daraus ein verschachteltes Ensemble von Fabrikhallen, Lagern, Büros, Anbauten, Einfahrten, Ausfahrten und Verbindungsbrücken geworden. Als die Geschichte jetzt endet, verlieren gut 200 Mitarbeiter ihren Job.

Trotzdem scheint ein paar Wochen später noch alles da: Das Logo über dem Portal sitzt, im Foyer grüßen überlebensgroße Bilder fröhlich konsumierender Familien, auch an der Pforte tut noch einer Dienst. Es kommt bloß kein Lieferant mehr, um sich bei ihm anzumelden. Wie es jetzt weitergeht, das fragt der Mann an der Pforte sich ganz persönlich, aber die Frage kann man auch allgemeiner stellen. So ein Unternehmen, das verschwindet ja nicht einfach. Das weiß Oliver Steffens, und das sogar genauer, als ihm in manchem Moment lieb sein mag. Steffens ist Deutschlandchef beim niederländischen Unternehmen Troostwijk. Das ist Marktführer im Segment der industriellen Auktionen. Fast immer, wenn irgendwo in Westeuropa ein produzierender Betrieb vor die Wand fährt und kein Konkurrent das Inventar auf einen Schlag kauft, ist kurz danach Troostwijk da.

Die Auktionen selbst finden digital statt, deshalb muss alles dokumentiert werden. Ein irrer Datenberg entsteht da jedes Mal, in Nürnberg sind es mehr als 1000 Gegenstände, mindestens drei Fotos machen Troostwijks Leute pro Stück. Das liegt heute schon hinter ihnen. Jetzt ist Besichtigung, erst sind die Maschinen dran, eine Woche später der restliche Krempel, und dann kann die Auktion beginnen. Also führen die Troostwijk-Leute Interessenten in die Hallen, zu den schweigenden Maschinen.

Eiscremefabrik, das klingt nach Kälte, nach großen Töpfen, Rührlöffeln und ein bisschen auch nach Schlaraffenland à la Willy Wonka: zuckersüß, verlockend und klebrig. Die Räume, die es dann zu sehen gibt, sind dagegen vor allem: alt. Dunkle Ecken, Rohre von oben und unten, die Wände sind bis unter die Decken mit kleinen Quadraten gekachelt, ockerfarben wie in einer Vereinsumkleide. In den Gängen zur Kantine hängen verblichene Bilder von Naturwundern, wilden Tieren und dynamischen Sportlern, die jeweils ein Wort aus den Handbüchern zur Personalführung illustrieren sollen: Erfolg, Kommunikation, Teamwork, Motivation. Was Manager eben so tun, wenn kein Geld mehr da ist für echte Erneuerung.

Die Bilder verbleichen

Investiert wurde hier lange nicht mehr, vielleicht schon seit Gründer Theo Schöller sein Unternehmen 2002 an Nestlé verkauft hat. Der Nahrungsmittelkonzern hat das Werk aufgeteilt, in einem Teil fertigt er weiter Eis der Marke Mövenpick. Den anderen reichten die Schweizer bald an das Unternehmen Rosen weiter, von dort ging es an das Deutsche Milchkontor (DMK), Deutschlands größten Molkereikonzern, der hier Handelsmarken produzierte und jetzt schließt.

Wer in den vergangenen Jahren in diesen so offensichtlich in die Jahre gekommenen Räumen gearbeitet hat, muss gespürt haben, dass es bald zu Ende geht. Trotzdem war da offenbar so etwas wie Verbundenheit mit dem eigenen Arbeitsplatz, fast eine Art Zuneigung zu den Maschinen. Gleich am Eingang steht eine, mit der war die Mannschaft wohl besonders innig. Eine Eisabfüllanlage der Firma Hoyer ist das laut Katalog, Baujahr 1996, Leistung: 19 440 Stiele pro Stunde. Groß wie ein Zuchtbulle, Dutzende von ihnen passiert man noch auf dem Rundgang. Aber nur auf dieser steht: „17.12.17, Ruhe in Frieden.“ Ob sie hier noch mal richtig Abschied gefeiert haben, mitten im Advent, mit Glühwein und Tränen?

Die Leute, die an diesem Tag nach Nürnberg kommen, haben für solche Gedanken keinen Sinn. Ihnen geht es um Ankauf, Verkauf und Profit, die Gesetze der Marktwirtschaft in ihrer reinsten Form. Wer gewinnen will, muss schnell sein, darf sein Wissen nicht teilen – und muss immer so schauen, als interessiere ihn das alles nur ganz am Rande. So halten es die drei Geschäftsleute aus Rumänien, die Vierergruppe aus dem Schwäbischen. Nur über den Belgier hört man mehr. Er betreibe selbst eine Eisfabrik, kauft er vielleicht eine ganze Produktionsstraße?

Solche Fragen entscheiden am Ende über den Erfolg der Auktion. Über die sentimentale Seite der Firmenbeerdigung verraten sie nichts. Die zeigt sich in den kleinen Posten, die zum Schluss verkauft werden und das Gespräch unter Kühltankhändlern nicht lohnen. Es gibt Spinde, verschlossen und mit unbekanntem Inhalt. Eine Werkbank ist zu haben, auf die in Großbuchstaben „Meyer“, offenbar der Name des letzten Benutzers, gedruckt ist. Und dann sind da Schränke voller Schrauben, Kabel und Ersatzteile, die regalmeterweise zu erwerben sind, Einstiegspreis 10 Euro. Den Inhalt wird wohl irgendein Schrotthändler einschmelzen.

Alle Spuren verschwinden

Verloren geht auch, was hier eigentlich schlummert: das Vermächtnis ganzer Berufsleben, festgehalten mit der Etikettiermaschine auf farbigen Plastikboxen. „Tele Mop-Clip“ steht auf der einen, „Sicherungsgehäuse 137882“ auf der anderen, es sind die rätselhaften Codes einer Sprache, in der Menschen und Maschinen bei Schöller jahrzehntelang miteinander agiert haben. Die Schrottpresse setzt dem bald ein Ende.

Spuren der Arbeiter, die sich in den Werkstätten erhalten haben, werden bald verschwunden sein. Da, die Weltkarte über dem eisernen Schreibtisch in der fensterlosen Nische. Saß dort der Hüter der Codes und träumte vom Lebensabend unter Palmen? Dort, in einer Kühltruhe liegen zwei Stieleis mit dem Aufdruck einer Handelsmarke. Proben, die der Meister nach dem Anlassen der Produktion genommen hat? Diskretes Lager der Belegschaft für den kleinen Snack?

An der Schachtel-Verschließmaschine der Firma Bedo, 380 Volt, klebt gar noch ein Leitspruch, von dem hier tätigen Team offenbar eigenhändig ausgedruckt und eingeschweißt in Folie: „Qualität ist, wenn die Kunden zurückkommen, nicht die Produkte.“ Einstiegspreis für die Bedo: 500 Euro.

Die Auktion selbst läuft gut. Auf die Kühltanks gibt es mehrere Dutzend Gebote, am Ende wechseln noch die kleinsten Modelle für mehrere Hundert Euro den Besitzer. Für den „Hobart Turbomixer“ finden sich gar 76 Interessenten, bis der Mixer letztlich für 3400 Euro gekauft wird. Auch die „Lagerregale mit Inhalt“ bringen noch deutlich über 1000 Euro.

Für die Schachtel-Verschließmaschine mit der Widmung aber findet sich kein Interessent. Gefühle verkaufen sich eben nicht mehr so gut, wenn alles vorbei ist.

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