Schweinefleisch Warum die Deutschen weniger Schweinefleisch essen

Was darfs noch sein? Eine Frau hält ein Brett in der Hand mit gekochtem Schweinefleisch, Rinderzungenrolle und hausgemachter Wurst. Quelle: imago images

Bratwurst und Braten verlieren ihren Status als Nationalspeisen – die Deutschen essen weniger Fleisch, vor allem vom Schwein. Bei Rind ist der Trend nicht so groß, Geflügel landet sogar häufiger auf dem Teller. Was ist da los?

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Wer noch ein Rezept für Ostern sucht, hat auf der Kochseite der Handelskette Lidl die Auswahl zwischen 354 Gerichten. Da gäbe es etwa „Cremige Bärlauch-Nudeln“, eine Spargelcremesuppe, gefüllte Eier oder eine vegetarische Bärlauchquiche. Auch Kartoffelsalat mit Lachs findet sich auf der ersten Seite, aber Fleisch? War Ostern 2023 wohl nicht im Trend. Auf den ersten Seiten finden sich erstaunlich wenige Rezepte.

Die Ernährung wandelt sich – und das zeigt sich nirgendwo so deutlich wie beim Fleisch. International mag die deutsche Küche bekannt sein für Bratwurst und Braten. Doch innerhalb der Landesgrenzen verlieren die einstigen Nationalspeisen an Bedeutung. Die Deutschen essen immer weniger Fleisch. Nur noch 52 Kilogramm verzehrt jeder Einwohner im Durchschnitt im Jahr, das sind schon 4,2 Kilogramm weniger als im Vorjahr. Seit 1989 berechnen deutschen Behörden den Fleischverzehr. Nie war der Wert so niedrig.

Das liegt nicht allein daran, dass sich mehr Menschen in Deutschland vegan oder vegetarisch ernähren. Zwar belegen Umfragen, dass die Deutschen weniger Fleisch essen wollen. Im Januar etwa erklärten 49 Prozent der Befragten im ARD-Deutschlandtrend, sie hätten ihren Fleischkonsum in den vergangenen fünf Jahren reduziert. 41 Prozent gaben an, dass sich ihr Konsum nicht geändert habe, nur zwei Prozent wollen mehr Fleisch verzehren. Bei den Jüngeren ist der Trend stärker: Von den 18- bis 34-Jährigen etwa geben schon 17 Prozent an, dass sie gar kein Fleisch konsumieren wollen.



Doch ein Blick auf den Fleischverzehr zeigt: Nur der Trend zu pflanzenbasierter Nahrung erklärt die Entwicklung nicht. Denn Geflügelfleisch landete sogar häufiger auf dem Teller, als noch vor zehn Jahren. 12,7 Kilogramm Fleisch verzehrten die Deutschen im Schnitt, fast anderthalb Kilo mehr als vor einem Jahrzehnt. Auch bei Rindfleisch ist der Rückgang mit 400 Gramm in zehn Jahren noch verkraftbar.

Anders sieht das bei Schweinefleisch aus: Zwar ist das Schweinefleisch mit 29 Kilogramm pro Kopf noch immer die wichtigste Fleischsorte in Deutschland. Allerdings landeten 2022 damit bereits 2,8 Kilogramm weniger auf den Tellern als im Vorjahr. Innerhalb eines Jahrzehnts ging der Konsum von Schweinefleisch um zehn Kilogramm zurück – ein gewaltiger Einbruch. Und bisher sieht es nicht so aus, als würde sich dieser Trend abschwächen. Was ist da los?



Anruf bei Heike Harstick, Hauptgeschäftsführerin des Verbands der Fleischwirtschaft. Sie verweist auf die Einschränkungen durch die Coronapandemie: „Auf Schützenfesten oder Fußballspielen wird viel Bratwurst und Schweinefleisch verzehrt“, sagt sie. Gibt es weniger Veranstaltungen, landet auch weniger Kotelett auf den Tellern. Allerdings sind die Beschränkungen durch die Coronapandemie nun aufgehoben. Heißt das, dass der Konsum an Schweinefleisch sich bald erholen könnte?

Klaus Martin Fischer, Experte für die Fleischwirtschaft bei der Unternehmensberatung Ebner und Stolz, glaubt nicht daran. „Schweinefleisch hat ein Image- und deshalb ein Konsumproblem“, sagt er. „Selbst bei dem angeblichen Klimakiller Kuh hält sich die Nachfrage besser.“

Das liegt durchaus an den veränderten Essgewohnheiten, erklärt er. Denn es gibt nicht nur einen Trend zum Vegetarismus, die Menschen wollen sich gesünder ernähren, essen mehr unterwegs. Doch in Salat und Wraps ist Schweinefleisch selten. „Vor allem Hähnchenfleisch hat eine gute Snackability“, sagt Ebner. Fettarmes Fleisch ist gefragt, genauso wie ein hoher Proteinanteil. Sportler erhoffen sich davon einen schnelleren Muskelaufbau, Diätwillige ein länger anhaltendes Sättigungsgefühl. „Fisch und Geflügel sind die Gewinner, sie gelten als gesund“, sagt Ebner. Rotes Fleisch hingegen kommt in Diätratgebern seltener vor.

Auch die Kochgewohnheiten ändern sich. „Wir sind die Generation des Kurzbratens“, sagt Stephan Kruse, der beim Schlachtkonzern Vion Trends beobachtet und die Beziehungen zu den Landwirten pflegt. „Wir kaufen Minutenschnitzel, Hack, das, was schnell geht. Den Schweinebraten, den Oma über Stunden im Ofen hatte, macht heute sonntags kaum noch jemand“, sagt Kruse.
Auch die veränderte Bevölkerungsstruktur könnte eine Rolle spielen. Viele Menschen essen aus religiösen Gründen kein Schweinefleisch, Muslime und Muslima etwa. In heißen, wasserarmen Regionen wäre es auch schwierig, Schweine zu halten. In vielen Kulturen hat Schweinefleisch daher keine große Tradition.

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Skandale in den Schlachthöfen und bei den Mastbetrieben haben die Verbraucher zusätzlich aufgerüttelt. Nun drängt die Politik auf bessere Haltungsbedingungen und mehr Platz für die Tiere im Stall. Doch bei den Landwirten herrsche Unsicherheit, sagt Torsten Staack von der Interessensgemeinschaft der Schweinehalter. „Alle wollen mehr Tierwohl – nur keiner will es bezahlen! Wie sollen die Landwirte da ihre Ställe umbauen? Sie bleiben auf ihren Kosten sitzen, zudem bekommen sie nicht mal die nötigen Umbaugenehmigungen.“



Statt umzurüsten, geben die Landwirte die Schweinezucht und Schweinemast lieber auf. Zehn Prozent der Betriebe haben im vergangenen Jahr aufgehört. Auch die Zahl der geschlachteten Tiere sinkt – allein im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 9,8 Prozent weniger Schweine geschlachtet, meldet die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Das wirkt sich auch auf die Schlachtbetriebe aus. „Die Schlachtunternehmen reduzieren ihre Kapazitäten spürbar. Angesichts der massiven Bestandsrückgänge bei den gehaltenen Schweinen machen auch sie sich Sorgen, dass sie zukünftig überhaupt genügend Schweine bekommen“, sagt Staack. „Wir sind erst am Anfang der Konsolidierung. Wo die endet, kann derzeit niemand sagen.“

Das liegt nicht allein an den veränderten Gewohnheiten der deutschen Konsumenten. Auch die internationale Nachfrage nach deutschem Schweinefleisch ist eingebrochen. Bis 2020 schickten die deutschen Schlachter große Teile der Schweine Richtung China, vor allem Öhrchen, Pfötchen, oder Schwänzchen, die in Deutschland selten verzehrt werden. Doch als im Herbst 2020 die ersten Fälle der afrikanischen Schweinepest in Deutschland gemeldet wurden, machte China seine Grenzen dicht.

Die Schlachtkonzerne und Verarbeiter leiden darunter. „Einen Ersatz für China – einen Markt in der Größenordnung mit einer Vorliebe für die Produkte, die wir in Deutschland nicht so mögen – gibt es auf der Welt nicht“, sagt Steffen Reiter, Geschäftsführer der Exportorganisation German Meat.

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Die Ironie ist: Bei anderen Teilen des Schweins ist die Nachfrage auch in Deutschland noch so groß, dass das Fleisch aus dem Ausland importiert wird. „Bei den Lieblingsartikeln der Verbraucher, wie Filets und Minutensteaks, haben wir einen Selbstversorgungsgrad von deutlich unter hundert Prozent, gerade weil in den Angebotswochen der Lebensmittelhändler riesige Mengen nachgefragt werden“, sagt Torsten Staack. „Das kann der deutsche Markt heute schon nicht mehr abbilden.“

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Dass sich das in der nächsten Zeit ändert, ist unwahrscheinlich. Auch eine Suche auf der Kochseite von Lidl verrät: Schweineohren sind dieses Ostern nicht im Trend. Stattdessen bietet der Discounter in seinem Prospekt „Grillmeister Schweinebauchscheiben“ an, zu nur 5,78 Euro, ein Minus von 27 Prozent auf den Kilogrammpreis. Zukünftig dürften auch solche Angebote abnehmen. Erst vor einigen Wochen verkündete Lidl, dass man „den Anteil pflanzenbasierter Proteinquellen im Sortiment bis 2025 deutlich erhöhen“ wolle.

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