Schwieriger Umstieg von Gas auf Öl „Die stellen irgendwann das Gas ab, prophezeite mein Vater. Ich habe darüber immer gelacht.“

Der Umstieg von Gas auf Öl ist für die Gießereien eine große Herausforderung. Quelle: Andrea Jüttner-Lohmann

Vor dem Putin-Winter wollen mehr als 200 deutsche Aluminium-Gießereien ihre gasbefeuerten Schmelzöfen auf Öl umstellen. Klingt simpel. Ist aber schwierig und kann scheitern, berichtet Unternehmer Gerd Röders.

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Ende Juni sah Gerd Röders die Umstellung seiner Aluminium-Gießereien in Soltau und in Tschechien von Gas- auf Ölbetrieb noch als zu bewältigende Aufgabe an: „Die Tiegelschmelzöfen können wir wie bis vor 30 Jahren wieder mit Öl befeuern. Die Tanks sind noch intakt, die Vorbereitungen laufen“, schätzte der Chef des 208 Jahre alten Guss-Unternehmens G.A. Röders die Lage damals zuversichtlich ein.

Sieben Wochen später und nur noch drei Monate vor dem voraussichtlich gas-armen Winter klingt das allerdings anders. Um zwei Schmelzöfen geht es in Soltau und um elf in Tschechien. Da erwirtschaftet G.A. Röders die Hälfte des Jahresumsatzes in Höhe von 50 Millionen Euro. Auch die dortigen Öfen, sagt der 59-Jährige, der den Familienbetrieb in sechster Generation zusammen mit seinem Cousin führt, ließen sich zwar grundsätzlich mit Öl betreiben: „Aber wir haben dort keine Öltanks.“ Gebraucht würden drei Stück davon mit je 30.000 Litern Volumen. Aber genau da hapert es, berichtet Röders: „Geliefert werden können neue Öltanks dieser Größe frühestens in einem Jahr.“ Für Tschechien hat Röders das Thema Umstellung deshalb abgehakt: „Wenn das Gas ausbleiben sollte, müssen wir die Produktion dort solange dichtmachen.“

In Soltau gibt es zwar noch den alten Öltank – dafür aber andere Hindernisse. Ein Problem wäre vermutlich zügig zu lösen. Rund 300 Meter Leitung vom alten, noch funktionsfähigen Öltank bis zu den beiden Schmelzöfen „ließen sich schnell legen“, meint Röders, zumal eigene Schlosser an der Betriebs-Pipeline mitarbeiten könnten. Worum sich der Niedersachse aber seit Mai vergebens bemüht, ist eine zuverlässige Antwort auf die Frage, ob bei den zwei Tiegelschmelzöfen mit Öl auch wirklich das optimale Schmelzergebnis zu erzielen ist.

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„Auf die Flammführung kommt es an“, fachsimpelt er. Wenn die nicht stimmt, kommt das Leichtmetall nicht auf die richtige Temperatur. Drei verschiedene Ausrüster und Maschinenbauer bleiben Röders die Antwort bisher schuldig. Sollte die am Ende negativ ausfallen, gilt auch für das deutsche Werk: Produktionsstopp bei Gasflaute. Gleich nach dem Gespräch mit der WirtschaftsWoche will Röders wieder zum Telefon greifen und weiter recherchieren.

Wie die Hängepartie ausgeht, das interessiert nicht nur seine 500 Mitarbeiter – 180 in Soltau, 320 in Tschechien –, sondern auch Topkonzerne der Autoindustrie, der Medizintechnik und des Flugzeugbaus. G.A. Röders ist Alleinlieferant von Aluminiumteilen, ohne die bei einigen Abnehmern die Bänder still stehen. Darunter Top-Adressen der jeweiligen Branchen.

Während die Schmelzöfen der rund 400 Eisengießereien in Deutschland ihr Material mit Strom erhitzen, sind die gut 200 Aluminium-Gießereien in Deutschland in der Produktion auf Gas angewiesen. Was einfach zu sein schien – Öl statt Gas zu verfeuern – wird bei näherer Betrachtung doch zum Problem. Es hängt eben an technischen Details, an Lieferzeiten, am Einzelfall. Und an Geld.

In Soltau etwa hat sich der Gaspreis für die Gießerei je Kilowattstunde von 3,36 Cent im Jahr 2021 auf 7,82 Cent in 2022 verdoppelt. „Aktuell liegen uns Angebote für 14 Cent in 2023 vor“, sagt Röders. Also nochmal eine Verdopplung. Noch krasser stellt sich das im tschechischen Werk in Uherske dar, insbesondere wenn man ausrechnet, wieviel Gas und Strom für jedes verkaufte Kilogramm der Aluminium-Teile kosten. 2021 waren es 52 Cent, 2022 sind es 1,80 Euro. Dreieinhalb mal so viel. Lag der Energieanteil an den Produktionskosten in Normalzeiten bei sechs bis sieben Prozent, sind es nun 12 bis 13 Prozent, und das ist im Branchenschnitt noch ein niedriger Wert.

Unternehmer Gerd Rörders. Quelle: JHB Fotografie

„Diesen Sprung konnten wir bei unseren Kunden nicht vollständig in höheren Preisen wieder einfangen“, sagt Röders. Und fragt sich zumindest theoretisch, was für die Firma, die er in ein paar Jahren an die siebte Generation weiter geben möchte, schlimmer ist: Nicht mehr zu produzieren und für die Mannschaften Kurzarbeitergeld zu beziehen oder mit einem früher undenkbaren Defizit die Ware auszuliefern.

„Mein Vater“, erinnert sich Röders, „hatte immer einen Kohleofen im Keller – zur Sicherheit.“ Denn der damalige Firmenchef Eckhart Röders, vor zehn Jahren verstorben, traute „den Russen“ nicht, berichtet sein Sohn: „Die stellen irgendwann das Gas ab, prophezeite mein Vater. Ich habe darüber immer gelacht.“

Nun wird die Prophezeiung ziemlich real.  Doch Fatalismus und Alarmgeschrei liegen dem ausgeglichen wirkenden Unternehmer, der sich in die Video-Morgenkonferenzen vom Waldspaziergang aus zuschaltet, fern: „Über Dinge, die ich nicht ändern kann, rege ich mich nicht auf. Mich bringt auf die Palme, was ich selbst beeinflussen kann und was trotzdem schief läuft.“ Also sucht er mit seiner Mann- und Frauschaft pragmatische Lösungen, um zumindest den Energieverbrauch zu verringern.

Eine Idee, die schon realisiert wurde: Bisher fuhren die Mitarbeiter die Öfen im Zweischicht-Betrieb jeden Morgen hoch- und abends wieder herunter. Im Juli wurde auf drei Schichten umgestellt. Mit der Folge, dass  G.A. Röders in Soltau nun zwei Wochen rund um die Uhr produziert und in der dritten Woche die beiden Schmelzöfen stillliegen. Dass sie auskühlen, richtet - anders als etwa in einer Glashütte – keinen Schaden an. Es spart aber unterm Strich 15 Prozent Gas. Der Betriebsrat trägt die Maßnahme mit. Und dass weniger produziert wird, ist durch die spürbar reduzierte Auftragslage kein Nachteil.

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50 energiesparende Maßnahmen für jeden Betrieb wurden zudem gefunden. So brennen nun wirklich bald überall LED statt Glühbirnen. Und bevor in den Büros das Licht ausgeht, werden nun auch die Computer ausgeschaltet und laufen nicht weiter bis zum nächsten Morgen.

Einen Innovationsschub haben bei G.A. Röders schon die Energie verteuernden Folgen des Klimawandels ausgelöst. So halten seit sieben Jahren selbst entwickelte Warmhalteöfen das flüssige Aluminium vor der Verarbeitung auf Temperatur und verbrauchen 90 Prozent weniger Energie als die Vorgänger-Geräte.

Schneller schlau: Wasserstoff

Mit der Zukunfts-Energie Wasserstoff experimentieren Röders´ Entwickler bereits ganz konkret. Bei heutigen Schmelzöfen können technisch bereits rund 20 Prozent des Gases durch Wasserstoff ersetzt werden. Zusammen mit der nahen Universität Braunschweig entwickeln die Soltauer nun ein Gerät, das den Wasserstoffanteil zunächst auf 40 Prozent verdoppelt. Drei Millionen Euro kostet das Projekt insgesamt. Die 300.000 Euro Investitionskosten bei G.A. Röders kommen zur Hälfte vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Seit Krise angesagt ist, soll das Forschungsprojekt schneller voran gehen. „Noch in diesem Jahr wollen wir den Prototypen zum Laufen bringen“, legt Unternehmer Röders sich und seine Spezialisten fest.

Damit ist der Mittelständler aus dem Heide-Landkreis Teil der Wasserstoff-Avantgarde der deutschen Wirtschaft. Nachdem die WirtschaftsWoche Ende Juni darüber schrieb, entdeckten „Spiegel“ und „stern“ das Unternehmen.

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Mit der Frage, wie Wasserstoff in künftig benötigten Mengen nach Soltau und anderswo aufs Land kommt, beschäftigt sich inzwischen eine Forschungsarbeit an der Uni Berlin.

Wissenschaftliche Unterstützung und öffentliches Interesse freuen Unternehmer Röders. Worauf er aber wert legt: „Es ist nicht dieser Mist-Krieg, der uns antreibt. Das entscheidende Thema ist die Klimaneutralität.“

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