Siemens-Chef im Porträt Was Sie über Joe Kaeser noch nicht wissen

Was treibt den Finanzmann Joe Kaeser, der als neuer Vorstandschef den Siemens-Konzern wieder in ruhigeres Fahrwasser bringen will?

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Foto von Joe Kaeser Quelle: dpa

Es kommt nicht oft vor, dass ein Führungswechsel in einem Weltkonzern so turbulent vonstattengeht wie der in München. Mit gestreuten Falschmeldungen versuchten einige Spitzenmanager, ihre eigene Agenda durchzusetzen. Joe Kaeser, der neue Mann an der Spitze, muss nun für Ruhe sorgen und den angeschlagenen Tanker Siemens stabilisieren. „Wir haben uns zuletzt zu viel mit uns selbst beschäftigt“, sagte Kaeser vergangenen Mittwoch direkt nach seiner Ernennung. Investoren und Analysten sehen in ihm eine Verbesserung gegenüber Vorgänger Peter Löscher.

Von „guten Neuigkeiten“ spricht Christian Stadler von der britischen Warwick Business School, der über Siemens geforscht hat. Kaeser kennt den Konzern wie kaum ein anderer. Der Niederbayer habe ein ausgezeichnetes Gespür für Stimmungen, loben Leute, die ihn gut kennen. Als letzter verbliebener Vorstand aus der Zeit des Korruptionsskandals hat er es geschafft, jeden Verdacht einer Verwicklung in die Affäre zu zerstreuen. Genauso geschickt hat er demonstrativ an der Seite Löschers gestanden – um sich dann genau im richtigen Augenblick abzusetzen.

Vorbilder: Solide haushalten

Vor sieben Jahren wurde Kaeser nach dem Bekanntwerden der Schmiergeldaffäre Ende 2006 in den Siemens-Vorstand berufen. Er übernahm dort das Finanzressort – ein Aufgabenbereich, der für den studierten Betriebswirt ideal scheint. Eingeimpft hat ihm die Affinität zur buchhalterischen Sicht seine Mutter. „Gib nicht mehr Geld aus als du einnimmst, sonst musst du verarmen“, habe sie ihm gesagt, so Kaeser. Diesen Grundsatz, so der neue Vorstandschef, könne man auch als bayerwäldlerische Version für solides Haushalten bei Siemens betrachten.

Zuletzt gab es mit den Zahlen allerdings Probleme. Die Renditen in vielen Geschäftsbereichen schnurrten zusammen, wiederholt musste der Konzern Gewinnprognosen kassieren. Probleme, die nicht nur der scheidende Chef Löscher, sondern auch sein bisherigen Finanzvorstand zu verantworten hat. Einen konkreten Leitstern für sein Handeln nennt Kaeser nicht, aber: „Meine wirklichen Vorbilder sind Kinder. Die kann man zu nichts zwingen.“

Vorlieben: Heimatverbunden

In Arnbruck, einem Dorf in Niederbayern nahe der tschechischen Grenze, wurde Joe Kaeser vor 56 Jahren geboren – und wann immer er kann, kehrt er in die 2000-Einwohner-Gemeinde zurück. Mit seiner Frau Rosemarie, die er dort in Tanzschulzeiten kennenlernte, bewohnt er ein großes Haus in bayrischem Stil. Auch seine zwei erwachsenen Töchter Nathalie und Kathrin leben in Arnbruck. Zum Starkbierfest des Heimatvereins bringt Kaeser Politprominenz mit wie Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel oder Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. „Er nimmt an den Ortsfesten teil, setzt sich zu den Leuten und ist einer von ihnen“, sagt Bürgermeister Hermann Brandl. Kaeser ist Schirmherr über ein örtliches Raubritterfest und seit Jugendzeiten Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr.

Freunde und Gegner: Harter Konkurrent

Der Vizechef des Aufsichtsrats, IG-Metall-Chef Berthold Huber, ist Kaeser wohlgesinnt. Die Arbeitnehmervertreter schätzen seine Sachkenntnis und die langjährige Treue zum Konzern. „Mit ihm kann man reden“, lobt ein IG-Metall-Vertreter in München. Wachsam beobachten wird den neuen Siemens-Lenker dagegen Jeff Immelt, Chef des US-Mischkonzerns General Electric. Der Erzrivale hat Siemens in den vergangenen Jahren bei Umsatz und Rendite immer weiter abgehängt und erobert etwa bei der Medizintechnik in Deutschland immer größere Marktanteile. Kaeser wird jetzt mit Macht versuchen aufzuschließen.

Nicht als Kaeser-Freund gilt sein Vorgänger als Finanzvorstand, Heinz-Joachim Neubürger. Kaeser kam ins Amt, nachdem Neubürger 2006 wegen Schmiergeldvorwürfen gehen musste. Er ist aber inzwischen rehabilitiert, weil ihm nichts nachzuweisen war.

Stärken und Schwächen: Kein Visionär

Wann immer er Zeit hat, geht Kaeser joggen, und das tut ihm offenbar gut: „Ich bin 56, aber fühle mich wie 46“, sagte er kürzlich. Auch inhaltlich ist der neue Vorstandschef topfit. Er liest alle Vorlagen bis zur letzten Fußnote und kennt sich bei allen Siemens-Themen im Detail aus. Außerdem ist er ein guter Rhetoriker. Kaeser tritt locker auf, kann mit Charme und Witz formulieren und seine Zuhörer mitreißen – anders als Löscher, der oft steif und ungelenk wirkte. „Er ist sehr kontaktfreudig, und er kann auf die Mitarbeiter zugehen“, lobt ein früherer Aufsichtsrat. Bei seinen Standpunkten sei er wenig dogmatisch, sagt ein ehemaliger enger Weggefährte. „Das kann von Vorteil sein, doch manchmal geht es bis zum Opportunismus.“

Ziele und Visionen: Kurs korrigieren

Der Österreicher Peter Löscher wollte Siemens mit griffigen Zielvorgaben in die Zukunft führen. Der Umsatz bei Siemens müsse auf 100 Milliarden Euro steigen und die Rendite bis 2014 auf zwölf Prozent, so lauteten seine Vorgaben. Um Letzteres zu erreichen, wurde in den Divisionen hektisch gekürzt und gestrichen, statt eine schlüssige Langfriststrategie zu formulieren. Das ist nun Kaesers Aufgabe, denn der Frust auf den unteren Konzernebenen ist groß. Kaeser muss den Elektronik- und Industrieanlagenbauer zurück an die Spitze führen.

„Wir haben etwas die Ertragsdynamik gegenüber dem Wettbewerb verloren“, hat Kaeser nach seiner Berufung auf den Chefsessel in der vergangenen Woche eingeräumt. Jetzt warten alle Beobachter gespannt darauf, wie er das ändern will. Glaubt man allerdings einem Wegbegleiter, könnte das schwierig werden. „Er ist kein Visionär“, sagt der Ex-Kollege, „und sicherlich niemand, der Siemens in ein neues Zeitalter führen kann.“

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