WirtschaftsWoche: Der Börsengang von Siemens Energy findet mitten in der weltweiten Pandemie und damit in einem sehr schwierigen Marktumfeld statt. Wie riskant ist der Börsengang?
Diehl: Der Spin-off von Siemens Energy ist wichtiger Teil von Herrn Kaesers strategischer Agenda. Er hat daher wohl auch selbst ein Interesse daran, die Abspaltung noch in seiner Amtszeit durchzuziehen. Aber der Zeitpunkt dafür ist alles andere als ideal. Wenn man sich mit einer Runde Manager zusammensetzt und in aller Ruhe entscheidet, ob man in Zeiten von Covid 19 einen Börsengang machen will, wäre die Antwort wohl ein klares Nein. Es gibt durch die Pandemie weder einen Ausblick für das nächste Quartal, noch für das Gesamtjahr und auch nicht für das kommende Jahr. Wie soll man in so einem Nebel eine glaubhafte Börsenstory erzählen?
Joe Kaeser lagert Siemens Energy aus, weil die Margen der Energiesparte deutlich hinter jenen des Digitalgeschäfts zurückbleiben. Ist Siemens Energy mehr als eine Bad Bank?
Natürlich drängt sich der Vergleich zu Uniper auf, das wegen seines fossilen Geschäfts zunächst als Bad Bank von E.ON betrachtet wurde. An der Börse entwickelte sich Uniper dann aber trotz anfänglicher Skepsis hervorragend. Pauschal kann man also nicht sagen, dass die Abspaltung von teilweise rückwärtsgewandten Technologien zur fossilen Energieerzeugung per se schiefgehen muss. Aber Siemens Energy wird an der Börse keine Vorschusslorbeeren bekommen. Wir werden das Unternehmen danach bewerten, ob es liefert und konstante Margen erwirtschaftet. Bisher hat der Energiebereich von Siemens nicht konstant geliefert.

Die Energiesparte ist seit mehr als 150 Jahren der Kern von Siemens. Wie sinnvoll ist die Abspaltung prinzipiell?
Die schlanke Struktur und den Fokus auf die Zukunftsgeschäfte bei Siemens finde ich gut. Daher wird Union Investment der Abspaltung auch zustimmen. Was mich allerdings stört, ist, wie stark Siemens Energy immer noch an Siemens gebunden bleibt. So zahlt Siemens Energy für den Markennamen Lizenzgebühren und muss auch noch für in Anspruch genommene Services bezahlen. Die Vorgabe nach Eigenständigkeit ist damit kaum umzusetzen: Einerseits soll Siemens Energy frei sein und höhere Margen erwirtschaften. Andererseits soll es eng an Siemens gebunden bleiben und möglicherweise teure Services einkaufen.
Siemens-Chef Joe Kaeser wird Aufsichtsratschef von Siemens Energy. Welchen Gefallen erweist er dem neuen Unternehmen damit?
Zuerst einmal tut sich Herr Kaeser damit auch selbst einen Gefallen. Es wurden am Kapitalmarkt verschiedene Optionen diskutiert, von der Verlängerung als CEO bei Siemens bis zum Posten als Aufsichtsratschef von Siemens. Aber diese Möglichkeiten haben sich offenbar zerschlagen. Und jetzt bekommt er eben den Posten bei Siemens Energy. Das ist vielleicht eine Dimension kleiner, als Herr Kaeser das gewohnt ist. Doch Herr Kaeser hat den Vorteil, dass er natürlich jeden und alles in diesem neuen Unternehmen kennt. In einer gewissen Weise ist ein Aufsichtsratschef Kaeser auch eine gute Nachricht für die Aktionäre: Niemand hat ein größeres Interesse daran, dass Siemens Energy eine Erfolgsstory wird, als er selbst. Es geht schließlich um Herrn Kaesers Lebenswerk.
Sie sagten bei der letzten Hauptversammlung von Siemens, dass die Lieferung der Siemens-Signalanlage an die Adani-Kohlemine, die für Protest von Umweltschützern sorgte, eine Hypothek für Siemens Energy sei. Wie sollte Siemens Energy auf die Kritik der Umweltschützer an seiner Kohletechnologie reagieren?
Mit dem Kohlegeschäft von Siemens Energy ist es so sicher wie das Amen im Gebet, dass die Umweltschützer dieses neue Unternehmen mit Argusaugen beobachten werden. Herr Kaeser wird auch daran gemessen werden, dass er dieses Kohlegeschäft nach und nach zurückfährt. Siemens Energy darf beim Marketing nicht den Bogen überspannen. Es wird als grünes Unternehmen vermarktet, obwohl noch sehr viel fossile Energietechnik darin steckt. Wie man mit diesen fossilen Altlasten umgeht, daran wird sich das Management messen lassen müssen. Und wir brauchen eine klare Vision mit Meilensteinen, wohin sich Siemens Energy in welchem Zeithorizont entwickeln will.
Bei Siemens Energy läuft ein Sparprogramm bis 2023. Gleichzeitig bestehen noch immer Überkapazitäten, gerade im Öl- und Gasgeschäft. Muss Siemens Energy weiter restrukturieren?
Um das zu beantworten, bräuchte ich konkrete Zahlen. Doch die hat Siemens Energy noch nicht vorgelegt. Was ich allerdings sehe, sind mehrere offene Positionen in diesem neuen Unternehmen. Nehmen Sie nur die US-Firma Dresser-Rand, die Herr Kaeser überteuert am Peak des Ölpreises gekauft hat und die in der Bilanz immer noch nicht wertberichtigt ist. Dresser-Rand ist eine zusätzliche Hypothek für dieses neue Unternehmen und noch hat Siemens Energy nicht erklärt, wie man damit umgehen will.
Der Wechsel vom designierten Siemens-Energy-CEO Michael Sen zum neuen CEO Christian Bruch Ende März kam vollkommen überraschend. Kann Herr Bruch sich in so kurzer Zeit überhaupt einarbeiten, den Spin-off durchziehen sowie Mitarbeiter und die Börse überzeugen?
Mein erster Eindruck von Herrn Bruch war sehr positiv. Ich habe gespürt, dass er mit viel Herzblut dabei ist. Dass er bei Siemens neu ist und keinerlei Hausmacht hat, könnte sogar ein Vorteil sein: So muss er keine Rücksichten nehmen und ist nicht an alte Denkmuster gebunden. Die Frage ist nur, wie eigenständig Herr Bruch unter einem so mächtigen Aufsichtsratschef wie Herrn Kaeser überhaupt agieren kann.
Aktionäre bekommen für zwei Siemens Aktien eine Siemens Energy Aktie ins Depot gebucht. Sind Aktionäre gut beraten, die Energy Aktien zu behalten?
Dazu kann und darf ich keinen klaren Rat geben. Wer eine Aktie hält, sollte generell darauf achten, wie solide und wie transparent ein Geschäft ist. Vor allem die Bilanz und das Portfolio müssen stimmen und eine Marktführerschaft muss zu erkennen sein. Noch fehlen mir sehr viele Details, um dieses neue Unternehmen zu verstehen. Deshalb kann ich nur empfehlen, quartalweise die Ergebnisse wachsam zu verfolgen und dabei ein besonderes Augenmerk auf die Margenentwicklung und den Cashflow zu legen. Das Management erzählt zwar gerne vom Bevölkerungswachstum und dem weltweiten Energiehunger. Aber wann genau und wie sich dieses Wachstum in Zahlen umsetzen wird, muss man erst sehen. Funktionieren kann das Geschäftsmodell von Siemens Energy eigentlich nur, wenn die energiehungrigen Länder auch ein BIP-Wachstum haben. Gerade in Zeiten der Pandemie muss man daher ganz genau die harten Zahlen beobachten.
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