Siemens-Umbau Herr Kaeser regelt sein Erbe

Joe Kaeser Quelle: REUTERS

In fünf Jahren hat Siemens-Chef Joe Kaeser Europas führenden Technologiekonzern so radikal umgebaut wie kein anderer Vorstandschef vor ihm. Kann das gut gehen?

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Eines muss Joe Kaeser gleich am Anfang klarstellen: „Dies ist keine Fake News“, versichert der Siemens-Chef vor Analysten und Journalisten in München, bevor er seine knapp 377.000 Mitarbeiter lobt: „They made Siemens great again.“

Sicher, Kaeser hat die Lacher auf seiner Seite. Doch die Anleihe, die er bei US-Präsident Donald Trump nimmt, hat auch einen ernsten Hintergrund und ist darum kein Zufall. Dramatische politische Veränderungen wie die Wahl des umstrittenen Populisten zum Staatsoberhaupt der größten Volkswirtschaft der Welt und die damit einhergehenden globalen Unsicherheiten treiben Kaeser um. Sie treiben ihn aber auch an, darüber nachzudenken, wie Siemens auf solche Veränderungen reagieren muss.

Außerdem: Neue Arbeitswelten, die Digitalisierung, steigende Lebenserwartung, weltweite Migration – Kaeser spannt gerne den großen Bogen und leitet daraus seine Strategie für den Konzern ab. Und die lautet jetzt: Siemens muss zerlegt werden, und zwar in sechs Einzelunternehmen, drei operative und drei strategische Einheiten. Siemens muss schneller, muss dynamischer werden – Schnellboot statt Tanker, das ist Kaesers Mantra. Nach fünf Jahren seiner Regentschaft ist der mehr als 170 Jahre alte Traditionskonzern nicht mehr wiederzuerkennen.

Das ist der Plan des Siemens-Chefs

In der Konzernzentrale am Münchner Wittelsbacher Platz wird sich künftig wohl nur noch eine Handvoll Mitarbeiter um ein paar zentrale Funktionen kümmern. Schon stellen sich manche in München die Frage, wie viele Arbeitsplätzte dem neuerlichen Konzernumbau zum Opfer fallen. Die hochprofitable Medizintechnik hat Kaeser im März an die Börse gebracht, das Geschäft mit erneuerbaren Energien in ein Joint Venture mit der spanischen Gamesa überführt. Die Zugsparte will der Siemens-Chef mit den entsprechenden Aktivitäten des französischen Konkurrenten Alstom verschmelzen. Die übrigen Divisionen werden zu den drei operativen Unternehmen Gas and Power, Smart Infrastructure und Digital Industries verschmolzen, jeweils angesiedelt in Houston, Zug und Nürnberg.

Es ist ein Kurs, der viele Fragen aufwirft, was auch die Investoren so sehen. Nach der Verkündung der neuen Konzernstruktur am Donnerstag verlor die Siemens-Aktie jedenfalls zunächst fast fünf Prozent. Kaeser verspricht seinen Investoren nun, der Umbau werde mittelfristig die Wachstumsrate bei Umsatz und Gewinnmarge des industriellen Geschäfts um jeweils zwei Prozentpunkte heben. Das Ergebnis pro Aktie werde mittelfristig stärker wachsen als der Umsatz.

Das steckt hinter Cevian

Eines der obersten Ziele Kaesers war es stets, aktivistische Investoren von sich fernzuhalten. Ein Cevian etwa, der das Thyssenkrupp-Management vor sich hertreibt, ist Kaeser ein Gräuel. Er überlege ständig, hat Kaeser einmal gesagt, was ein aktivistischer Investor bei Siemens fordern könnte und nehme dies dann vorweg. Jetzt aber stellt sich die Frage, ob der Siemens-Chef solche unbequemen Investoren nicht regelrecht einlädt, indem er aus dem Technologiekonzern sechs weitgehend unabhängige Firmen formt.
Völlig unklar ist bislang, wie unabhängig und selbständig die drei operativen Einheiten am Ende sein werden. Dürfen sie eigenständig zukaufen und Geschäftsbereiche abstoßen? Dürfen die Einzelunternehmen über eigene Sparprogramme, einen Stellenabbau oder einen Börsengang entscheiden? Kaeser spricht bislang lediglich nebulös über „Optionalitäten“, die sich nun ergäben. Wie häufig bei ihm, wird die Öffentlichkeit die Einzelheiten vermutlich scheibchenweise serviert bekommen.

Siemens ist seit vielen Jahren eine Baustelle

Bei zwei der drei strategischen Unternehmen läuft es – milde formuliert – holprig. Der Zusammenschluss des Windkraftgeschäfts mit Gamesa erfolgte übereilt, außerdem brachen einige wichtige Märkte weg. Zurzeit baut das Joint Venture Tausende Arbeitsplätze ab. Die geplante Fusion der Zuggeschäfte von Siemens und Alstom stößt auf Widerstand der Brüsseler Kartellbehörden.

Ausgerechnet Kaesers stärkstes Argument, man müsse der Übermacht des chinesischen Anbieters CRRC etwas entgegensetzen, lässt die EU nicht gelten. In Europa, heißt es dort, sei CRRC noch kein echter Wettbewerber.

Siemens ist seit vielen Jahren eine Baustelle. Strukturen wurden geschaffen, nach einigen Jahren wieder eingerissen und schließlich neu zusammengesetzt. Mit den drei neuen operativen Einheiten Gas and Power, Smart Infrastructure und Digital Industries kehrt Kaeser nun zu einer Struktur zurück, die der seines glücklosen Vorgängers Peter Löscher nicht unähnlich ist. Der Österreicher hatte Siemens über vier so genannte Sektoren geführt, einer hieß Energy, ein anderer Infrastructure and Cities. Kaeser machte aus den vier Sektoren vor vier Jahren dann acht Divisionen – die er jetzt wieder einstampft.

Kein Zweifel, der 60-jährige Niederbayer ist dabei, sein Erbe zu regeln, es macht sich bei ihm eine gewisse Gelassenheit breit. Und das nicht zu Unrecht, denn die Zahlen stimmen. In gut zwei Jahren, zur Hauptversammlung im Januar 2021, wird Kaeser die Konzernführung an seinen Nachfolger übergeben.
Beinahe auf den Tag genau vor fünf Jahren, es war ähnlich heiß wie jetzt, stand der ehemalige Finanzvorstand Kaeser im Innenhof der Konzernzentrale in München. Siemens war unter Löscher in schwere Turbulenzen geraten. Der Konzern hatte die Märkte mit einer Gewinnwarnung geschockt, musste Abschreibungen in Milliardenhöhe vornehmen und war bei zahlreichen Großprojekten in Verzug geraten. „Siemens hat seine innere Ordnung verloren“, diagnostizierte Kaeser damals.

Die hat das Unternehmen wiedergefunden. Die Profitabilität ist um 40 Prozent gestiegen, in fast allen Geschäften sind die Margen heute höher. „Dazu haben wir unsere Investitionen in Forschung und Entwicklung um 20 Prozent gesteigert“, so Kaeser. Auch bei der Vorlage der Bilanz für die Monate April bis Juni heute in München konnte Kaeser fast ausnahmslos gute Zahlen verkünden.

Der Auftragseingang stieg währungsbereinigt im Vergleich zum Vorjahresquartal um 21 Prozent auf 22,8 Milliarden Euro. Die Ergebnismarge im industriellen Geschäft kletterte von 10,1 auf 10,7 Prozent. Vor allem mit seinen Geschäften rund um die Digitale Fabrik verdient Siemens richtig Geld. Der Umsatz der Division stieg zwischen April und Juni um 13 Prozent auf fast 3,3 Milliarden Euro. Die Marge verbesserte sich von 15 auf 21 Prozent. Insgesamt wuchs das Digitalgeschäft bei Siemens in den vergangenen drei Jahren um 80 Prozent. Auch durch geschickte Zukäufe hat Kaeser in dem Bereich die Weichen richtig gestellt.
Ob Kaesers neue Konzernstruktur die richtige ist, ob seine Strategie nachhaltig ist, um die Zukunft des Konzerns in Zeiten dramatischer Umbrüche zu sichern, wird sich wohl erst beantworten lassen, wenn mehr Einzelheiten bekannt sind und sich das neue Organisation eingespielt hat. Kaeser wird dann wohl nicht mehr an der Spitze stehen.

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