Sicher, Kaeser hat die Lacher auf seiner Seite. Doch die Anleihe, die er bei US-Präsident Donald Trump nimmt, hat auch einen ernsten Hintergrund und ist darum kein Zufall. Dramatische politische Veränderungen wie die Wahl des umstrittenen Populisten zum Staatsoberhaupt der größten Volkswirtschaft der Welt und die damit einhergehenden globalen Unsicherheiten treiben Kaeser um. Sie treiben ihn aber auch an, darüber nachzudenken, wie Siemens auf solche Veränderungen reagieren muss.
Außerdem: Neue Arbeitswelten, die Digitalisierung, steigende Lebenserwartung, weltweite Migration – Kaeser spannt gerne den großen Bogen und leitet daraus seine Strategie für den Konzern ab. Und die lautet jetzt: Siemens muss zerlegt werden, und zwar in sechs Einzelunternehmen, drei operative und drei strategische Einheiten. Siemens muss schneller, muss dynamischer werden – Schnellboot statt Tanker, das ist Kaesers Mantra. Nach fünf Jahren seiner Regentschaft ist der mehr als 170 Jahre alte Traditionskonzern nicht mehr wiederzuerkennen.
Das ist der Plan des Siemens-Chefs
In der Konzernzentrale am Münchner Wittelsbacher Platz wird sich künftig wohl nur noch eine Handvoll Mitarbeiter um ein paar zentrale Funktionen kümmern. Schon stellen sich manche in München die Frage, wie viele Arbeitsplätzte dem neuerlichen Konzernumbau zum Opfer fallen. Die hochprofitable Medizintechnik hat Kaeser im März an die Börse gebracht, das Geschäft mit erneuerbaren Energien in ein Joint Venture mit der spanischen Gamesa überführt. Die Zugsparte will der Siemens-Chef mit den entsprechenden Aktivitäten des französischen Konkurrenten Alstom verschmelzen. Die übrigen Divisionen werden zu den drei operativen Unternehmen Gas and Power, Smart Infrastructure und Digital Industries verschmolzen, jeweils angesiedelt in Houston, Zug und Nürnberg.
Es ist ein Kurs, der viele Fragen aufwirft, was auch die Investoren so sehen. Nach der Verkündung der neuen Konzernstruktur am Donnerstag verlor die Siemens-Aktie jedenfalls zunächst fast fünf Prozent. Kaeser verspricht seinen Investoren nun, der Umbau werde mittelfristig die Wachstumsrate bei Umsatz und Gewinnmarge des industriellen Geschäfts um jeweils zwei Prozentpunkte heben. Das Ergebnis pro Aktie werde mittelfristig stärker wachsen als der Umsatz.
Das steckt hinter Cevian
Der schwedische Finanzinvestor Cevian verwaltet für internationale Anleger derzeit ein Vermögen von rund 13 Milliarden Euro. Die Beteiligungsgesellschaft hat sich vor allem auf europäische Industrieunternehmen spezialisiert, die sie an der Börse für unterbewertet hält. „Gesunde Unternehmen, die übersehen, missverstanden oder bei den Investoren in Ungnade gefallen sind“ - so beschreibt Cevian seinen Schwerpunkt selbst.
Für Cevian gehört es zur Firmenpolitik, sich aktiv in die Geschäfte einzumischen und wichtige strategische Weichenstellungen zu beeinflussen. Finanzexperten sprechen in solchen Fällen auch von „aktivistischen Investoren“.
Cevian wurde 2002 von Christer Gardell und Lars Förberg gegründet. Die Firma hat neben dem Sitz in Stockholm Büros in Zürich und London. Der Anlagefokus ist auf fünf bis sieben Jahre ausgerichtet, in denen der Aktienkurs der Beteiligungen möglichst stark steigen soll.
Bei Thyssenkrupp kaufte sich Cevian Ende 2013 ein. Inzwischen hält der Investor gut 15 Prozent der Anteile und ist damit hinter der Krupp-Stiftung zweitgrößter Aktionär. Vom Dienstleistungs- und Baukonzern Bilfinger gehören Cevian fast 30 Prozent. Seine Milliardenbeteiligung am Lkw-Bauer Volvo verkaufte Cevian Ende 2017.
Eines der obersten Ziele Kaesers war es stets, aktivistische Investoren von sich fernzuhalten. Ein Cevian etwa, der das Thyssenkrupp-Management vor sich hertreibt, ist Kaeser ein Gräuel. Er überlege ständig, hat Kaeser einmal gesagt, was ein aktivistischer Investor bei Siemens fordern könnte und nehme dies dann vorweg. Jetzt aber stellt sich die Frage, ob der Siemens-Chef solche unbequemen Investoren nicht regelrecht einlädt, indem er aus dem Technologiekonzern sechs weitgehend unabhängige Firmen formt.
Völlig unklar ist bislang, wie unabhängig und selbständig die drei operativen Einheiten am Ende sein werden. Dürfen sie eigenständig zukaufen und Geschäftsbereiche abstoßen? Dürfen die Einzelunternehmen über eigene Sparprogramme, einen Stellenabbau oder einen Börsengang entscheiden? Kaeser spricht bislang lediglich nebulös über „Optionalitäten“, die sich nun ergäben. Wie häufig bei ihm, wird die Öffentlichkeit die Einzelheiten vermutlich scheibchenweise serviert bekommen.