Siemens und Alstom Europas neuer Zugriese ist auf der Schiene

Gemeinsam wollen Siemens und Alstom der chinesischen Konkurrenz die Stirn bieten. Darum soll ein neuer europäischer Zugkonzern entstehen. Die letzten Details für den Megadeal sollen nun verhandelt werden.

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Siemens-Alstom-Fusion: ICE und TGV unter einem Dach Quelle: dpa

München Viele Jahre ist um einen europäischen Zug-Champion gerungen worden. Nun ist er auf den Weg gebracht. Und so wollen Siemens-Chef Joe Kaeser und sein Alstom-Kollege Henri Poupart-Lafarge heute Mittag die Pläne für den neuen Bahntechnikkonzern mit den Schnellzügen ICE und TGV in einem Pariser Hotel persönlich vorstellen.

Am Dienstagabend hatten die Aufsichtsräte von Siemens und Alstom grünes Licht für die Fusion gegeben. Die beiden Konzerne wollen ihre Bahntechniksparten zu einer neuen weltweiten Nummer zwei mit gut 15 Milliarden Euro Umsatz und 62 000 Mitarbeitern zusammenlegen. Siemens soll an dem Gemeinschaftsunternehmen knapp über 50 Prozent halten. Der neue Konzern unter dem Dach von Alstom soll den Namen Siemens Alstom tragen.

Die Arbeitnehmer unterstützen das Projekt und bekommen für vier Jahre Job- und Standortgarantien. Bis zu einem Vollzug gibt es nach der Absichtserklärung vom Dienstagabend aber noch einige Hürden zu nehmen.

Kaeser und Poupart-Lafarge gerieten nach der Unterzeichnung der Absichtserklärung ins Schwärmen. „Wir setzen die europäische Idee in die Tat um und schaffen gemeinsam mit unseren Freunden bei Alstom auf lange Sicht einen neuen europäischen Champion der Eisenbahnindustrie“, sagte Kaeser. Sein Kollege Poupart-Lafarge ergänzte: „Ich bin stolz darauf, die Schaffung eines solchen Konzerns zu leiten, der zweifellos die Zukunft der Mobilität prägen wird.“ Denn der Alstom-Chef soll auch den mit der Bahntechnik von Siemens fusionierten Konzern führen. Das Unternehmen bleibt auch in Frankreich börsennotiert.

Vor knapp drei Jahren hatte es schon einmal einen Anlauf für ein Bündnis gegeben. Im Poker um die Energiesparte von Alstom bot Kaeser im Tausch die Züge von Siemens an. Dafür gab es scharfe Kritik der Arbeitnehmer, sie forderten, dass Siemens die Mehrheit und die Kontrolle behalten müsse.

Dies ist nun für die nächsten Jahre gesichert, und so zeigten sich auch die Arbeitnehmer offen. Angesichts des schärferen Wettbewerbs und des Umbruchs in der Branche müsse sich die europäische und deutsche Bahnindustrie neu aufstellen, sagte IG-Metall-Vorstandsmitglied und Siemens-Aufsichtsrat Jürgen Kerner am Dienstag. „Der Zusammenschluss von Siemens und Alstom kann ein Schritt in diese Richtung werden. Im Rahmen der Verhandlungen seien unter anderem Standortgarantien und ein Verzicht auf Kündigungen für mindestens vier Jahre zugesagt worden. Man erwarte vom Mehrheitseigentümer Siemens ein „zukunftsweisendes Konzept für die Standorte in Europa, das diese langfristig ausrichtet und durch neue Produkte und Investitionen in eine sichere Zukunft führt.“

Die Fusion ist vor allem eine Reaktion auf den fusionierten chinesischen Weltmarktführer CRRC, der etwa doppelt so groß ist wie Alstom und die Siemens-Bahntechnik zusammen. „Ein marktbeherrschender Akteur in Asien hat die globale Marktdynamik verändert“, drückte es Kaeser aus. Ohne Partner steht nun die kanadische Alstom da, mit der Siemens ebenfalls verhandelt hatte.


Stellenabbau ist nicht ganz vom Tisch

Die beiden Konzerne wollen jährliche Synergien von 470 Millionen Euro spätestens im vierten Jahr nach Vollzug der Fusion bergen. Aktuell kommt der geplante Konzern auf Proforma-Basis ein bereinigtes Ergebnis vor Zinsen und Steuern von 1,2 Milliarden Euro. Dies entspricht einer operativen Umsatzrendite von acht Prozent.

Berlin soll Sitz der Sparte Mobilitätslösungen sein, die Züge werden aus Frankreich geführt. Siemens entsendet inklusive des Vorsitzenden sechs Mitglieder in den elfköpfigen Verwaltungsrat. Siemens soll seine Bahnaktivitäten als Sacheinlage bei Alstom einbringen, für die Alstom-Aktionäre gibt es noch zwei Sonderdividenden.

Damit aber ist die Fusion noch lange nicht durch. Die Alstom-Aktionäre müssen der Fusion auf einer Hauptversammlung zustimmen. Zudem sind da die Kartellfragen. Zwar ist auch Bombardier in Europa stark, doch wollen sich zwei zentrale Spieler zusammenschließen. „Gerade im Bereich der Hochgeschwindigkeitszüge können die Beteiligten auf Probleme treffen, wenn die Kartellbehörden eine räumlich enge Marktdefinition wählen“, sagte Kartell-Experte Martin Gramsch von der Kanzlei Simmons&Simmons dem Handelsblatt. Im Umfeld von Siemens und Alstom wird darauf verwiesen, dass der Zugmarkt heutzutage ein globaler sei. Daher könne man nicht allein den europäischen Markt zum Maßstab nehmen, wenn gleichzeitig der neue chinesische Branchenriese CRRC auf die Märkte dränge.

Auch für die EU-Komission sei die Marktdefinition nicht auf Europa beschränkt, betonte Kartellexperte Gramsch. Entscheidend sei die Sicht der Kunden -  und die könnten Produkte auch von anderswo beziehen. „Insofern könnte der Bewertung auch ein weltweiter Markt zugrunde gelegt werden.“

Branchenkenner gehen aber davon aus, dass das Projekt, womöglich mit Auflagen, realisierbar ist. „Die europäische Fusion ist eine adäquate Antwort auf die Herausforderungen“, sagte ein Brancheninsider. Da sei zum einen der neuen chinesische Weltmarktführer. Zudem habe die ganze Branche ein „Kosten- und Kapazitätsproblem“. Im Umkehrschluss heißt dies aber auch: Bei allen Zusagen, die es an die Arbeitnehmervertreter gibt, könnte es am Ende im neuen Konzern an der einen oder anderen Stelle auch Stellenabbau geben. So gibt es viele Doppelfunktionen und freie Produktionskapazitäten. Zudem wird es auf Dauer wohl nicht sinnvoll sein, zum Beispiel mit dem TGV und dem ICE zwei verschiedene Hochgeschwindigkeitszüge weiterzuentwickeln.

Die Zugfusion ist der nächste große Schritt beim Umbau des Konzerns durch Siemens-Chef Joe Kaeser. Nach seinem Amtsantritt hatte er vor allem Siemens als integrierten Technologiekonzern herausgestellt. Er wollte mit der Nutzung von Synergien zwischen den Geschäften zeigen, dass das Konglomerat seinen Sinn ergibt.

Doch hat Kaeser einen Strategieschwenk vollzogen: Siemens bekommt stärker den Charakter einer Holding. Das Windgeschäft wurde mit dem Konkurrenten Gamesa zusammengelegt und firmiert nun als Siemens Gamesa mit Sitz in Spanien an der Börse. Auch die Medizintechnik soll als Healthineers im kommenden Jahr an die Börse. Die Motoren für Elektro-Autos brachte Siemens in ein 50:50-Gemeinschaftsunternehmen mit Valeo ein. Nach Informationen des Handelsblatts wurde eine Option vereinbart, dass die Franzosen in ein paar Jahren die Führung übernehmen und Siemens herauskaufen können.

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