Siemens und der „Zukunftspakt“ Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt

Siemens-Werk in Görlitz scheint gerettet Quelle: Getty Images

Die Siemens-Spitze einigt sich mit den Arbeitnehmern auf einen Kompromiss zum Stellenabbau im kriselnden Kraftwerksbau. Das Werk in Görlitz scheint gerettet. Die Zukunft der Sparte ist dennoch düsterer als viele hoffen.

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Janina Kugel versucht die Einigung mit den Betriebsräten und der IG Metall aus der vergangenen Nacht als Durchbruch zu verkaufen. „Alle Seiten teilen und verstehen unsere Einschätzung“, sagt die Siemens-Personalchefin mit Blick auf das „dramatische und nachhaltige“ Wegbrechen der Märkte für große Gasturbinen. „Zukunftspakt“ heißt der Kompromiss aus der Nachtsitzung denn auch in der offiziellen Siemens-Mitteilung. Mit dem Pakt werde man den Strukturwandel in der Krisensparte gestalten, verspricht Kugel.

Tatsächlich haben sich die Betriebsräte und die Konzernspitze gerade Mal auf einige Eckwerte zum Personalabbau im Kraftwerksgeschäft verständigt.

Ob es bei den im vergangenen Herbst angekündigten 6900 Arbeitsplätzen bleibt, die weltweit gestrichen werden sollen, ist unklar. Wie viele Jobs an welchen Standorten wegfallen – ebenfalls unklar. Wird Siemens auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten? Unklar. Bei ihren schwierigen Gesprächen über eine angemessene Antwort auf die Dauerkrise im Geschäft mit Turbinen sind beide Seiten allenfalls einen Schritt vorangekommen. Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt.

Kugel ist zuversichtlich, dass ein Sozialplan und der Interessenausgleich bis Ende September verabschiedet sind. Einen hohen dreistelligen Millionenbetrag will Siemens durch das Zusammenschrumpfen der Kraftwerkssparte einsparen. Klar ist bislang nur: Das Werk für Industriedampfturbinen im sächsischen Görlitz wird der Konzern nicht schließen. Vielmehr wollen die Münchner die Fabrik an der polnischen Grenze, die in den vergangenen Monaten zum Symbol für den Kahlschlag geworden war, zur weltweiten Zentrale für das Geschäft mit Industriedampfturbinen ausbauen. Klingt nach Erweiterung und Neueinstellungen. Tatsächlich aber müssten in Görlitz erstmal Jobs gestrichen werden, sagt Kugel. In den Werken in Duisburg, Mülheim, Berlin und Erfurt wird Siemens ebenfalls Arbeitsplätze abbauen. Die Fabrik in Offenbach soll geschlossen werden.

Auch wenn es am Ende bei den 6900 Jobs bleibt, die wegfallen sollen, ist die langfristige Zukunft des Geschäfts kaum gesichert – zu dramatisch sind derzeit die Umwälzungen in der Energieerzeugung, und das weltweit. In Europa verkaufen Siemens, US-Konkurrent General Electric (GE), Ansaldo aus Italien und Mitsubishi keine einzige große Gasturbine mehr. In Afrika, Asien, den USA und im Nahen Osten läuft das Geschäft noch leidlich gut. Doch auch in diesen Regionen stellen immer mehr Länder auf erneuerbare Energien um. In China und Indien sind die Umweltprobleme so gravierend, dass den Regierungen keine Wahl bleibt, wollen sie nicht Massenproteste der Bevölkerung riskieren.

Dass das Kraftwerksgeschäft eines Tages wieder anziehen wird, kann als nahezu ausgeschlossen gelten. Schon in wenigen Jahren könnten weitere Anpassungen nötig werden. Wie schwierig das Geschäft inzwischen ist, zeigte sich gerade Anfang der Woche wieder. Völlig überraschend kündigte Siemens an, voraussichtlich nach Pfingsten rund 30.000 Mitarbeiter in der Kraftwerkssparte in den Zwangsurlaub schicken zu wollen. Etwa 170 Werke in der ganzen Welt sind betroffen, in Deutschland werden rund 12.000 Angestellte zuhause bleiben müssen. Siemens-Personalvorständin Kugel sagt, der Konzern beobachte und prüfe zudem permanent das Instrument Kurzarbeit.

Auch in der Bilanz, die Siemens-Chef Kaeser am Mittwoch für die Monate Januar bis März vorlegte, zeigten die Indikatoren in der Division Power and Gas weiter nach unten. Im industriellen Geschäft ging das Ergebnis insgesamt um acht Prozent auf 2,25 Milliarden Euro zurück. Grund für das Minus war vor allem die Kraftwerks-Sparte, deren Ergebnis um drei Viertel einbrach.

Die Frage ist, ob Kaeser nicht längst an weiteren, langfristig angelegten Lösungen für das kriselnde Kraftwerksgeschäft tüftelt. Anfang des Jahres hatte der Siemens-Chef verkündet, er werde noch in diesem Jahr – nämlich dann, wenn der aktuelle Stellenabbau ausverhandelt ist – seine Vision 2020+ vorstellen. Das soll eine Art Langfrist-Plan für den Konzern sein, der die Weichen für die Zeit nach Kaeser stellt. Der Siemens-Chef wird voraussichtlich Anfang 2021 abtreten.
Gut möglich, dass Kaeser eine weitgehende Verselbständigung des Kraftwerksgeschäfts prüft, vielleicht auch überlegt, zumindest Teile mit den entsprechenden Geschäften von Konkurrenten zusammenzulegen, ganz so wie er es mit der Windkraftsparte und dem Zuggeschäft getan hat. Aus einer solchen Bündelung von Aktivitäten könnte immerhin ein kleinerer, schlagkräftigerer Anbieter entstehen, der die schrumpfende Zahl an Ländern bedient, die noch große Kraftwerke bauen. In der Beraterbranche wird zumindest schon kräftig mit den Hufen gescharrt. Es gibt nicht wenige, die damit rechnen, dass Kaeser auch für die Kraftwerkssparte an einer großen Lösung bastelt.

Personalchefin Kugel arbeitet indes daran, die Mitarbeiter, die künftig nicht mehr in der Kraftwerkssparte werden arbeiten können, fit für die digitale Zukunft zu machen. Schon jetzt gibt Siemens jedes Jahr eine halbe Milliarde Euro für Aus- und Weiterbildung aus. Zusätzlich will der Konzern über die kommenden vier Jahre 100 Millionen Euro für einen Zukunftsfonds bereitstellen. „Es kommt darauf an, dass wir denjenigen eine Perspektive geben, deren Arbeitsplatz es möglicherweise in der Zukunft nicht mehr geben wird“, sagt Kugel und mahnt: „Wichtig ist aber gleichzeitig, dass jeder selbst die Verantwortung dafür übernehmen muss, sich stetig weiterzuentwickeln und Neues zu lernen.“

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