Stahlkocher in der Ostukraine "Wer arbeitet, ist kein Separatist"

In der Schwerindustrie im Osten des Landes gibt es Leidtragende und Profiteure der Krise – aber gegen Autonomie oder Annexion wehrt sich die Wirtschaft im Donbass nahezu geschlossen.

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Stahlwerk Quelle: Getty Images/John Moore

Keineswegs schadstoffarm wirkt jener dunkelbraune Rauch, der an diesem Freitagmorgen im Mai über dem Stahlwerk von Mariupol steht. Der Dunst stammt aus Hochöfen, die Altmetall zu flüssigem Stahl kochen. Schichtleiter Igor Gafina freut sich allen Ernstes, dass es qualmt und stinkt: „Bei uns laufen die Öfen auf vollen Touren“, rapportiert der Chef von einer der fünf Brigaden, die rund um die Uhr Stahl kochen, bis er bei 1700 Grad funkenschlagend in Feuerbächen abfließt. „Gott sei Dank hat uns die Krise da draußen nicht erwischt“, sagt der Ingenieur. Er ist stolz auf seinen Job im größten Stahlwerk der Ostukraine, das dem Oligarchen Rinat Achmetow gehört.

Die „Krise da draußen“ schüttelt den hoch industrialisierten Osten so heftig durch wie kein Ereignis seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Vor wenigen Wochen lagen in Mariupol am Asowschen Meer Tote auf den Straßen. Sicherheitskräfte aus Kiew hatten mit Separatisten um die Kontrolle der Stadt gekämpft. Vergangene Woche gab es Gefechte um den Flughafen in Donezk. Radikale, die Unabhängigkeit von Kiew fordern und vom Anschluss an Russland träumen, erschwerten am Sonntag die Präsidentschaftswahlen in der Region: Dort konnte nur etwa ein Fünftel der Wahllokale öffnen.

Flurschaden ist enorm

Als Gegner der Separatisten stehen die Werktätigen zusammen: „Wer arbeitet, ist kein Separatist“, behauptet Stahlkocher Gafina. Arbeiter im Industrierevier Donbass verstünden, dass ihre Jobs an der Zukunft der Betriebe hingen. Und die hätten Probleme, wenn der Osten nicht mehr zur Ukraine gehören würde. Mit einer „Volksrepublik Donezk“ würde kaum jemand in Europa Geschäfte machen: In einer nicht anerkannten Separatistenregion wäre das Risiko zu hoch, das versichert niemand. Und als Teil Russlands würden sie gegenüber den moderneren Unternehmen dort an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Bereits jetzt ist der Flurschaden enorm. Infolge der Instabilität liegen in der Region alle Investitionen brach. Viele Unternehmen haben Probleme mit der Materialbeschaffung, da die Transportdienstleister aus Furcht vor Plünderungen an Kontrollpunkten der Separatisten Fahrten möglichst vermeiden.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine

Von Subventionen aus Kiew abgeschnitten

Seit März, als Radikale die Gebietsverwaltung unter ihre Kontrolle brachten, ist die Industrieregion um Donezk ebenso wie das benachbarte Gebiet Lugansk von Subventionen aus Kiew abgeschnitten, etwa für Kohle. Große Kunden wie die Staatsbahnen Russlands und der Ukraine stornieren ihre Aufträge, andere zahlen nicht pünktlich. Dass die Separatisten mit der Konfiszierung von Unternehmen drohen, um die eigene Kassenlage aufzubessern, verbessert den Auftragseingang nicht.

Am härtesten trifft das kleine Unternehmen. Nikolai Kapturenko, der in Donezk die Überregionale Union mittelständischer Unternehmen vertritt, kennt den Kreislauf: Wegen der Krise zahlen viele Kunden ihre Rechnungen nicht, die Betriebe können ihr Material nicht zukaufen – entweder fehlt das Geld, oder die Logistikkette ist gestört. „Irgendwann zahlen sie keine Löhne mehr, und die Produktion steht still“, klagt Kapturenko. Russland solle gefälligst versuchen, den „Geist des Separatismus wieder in die Flasche zu kriegen“, damit Ruhe und Stabilität in den Donbass zurückkehre.

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