Stahlkocher in der Ostukraine "Wer arbeitet, ist kein Separatist"

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"Wir brauchen keine Unabhängigkeit"

"Wir haben in der Ukraine nichts zu suchen"
"Viele finden Putin toll"Auf den letzten Metern des Europawahlkampfs lassen die Grünen mit dem ehemaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer eine ihrer Ikonen über die Ukraine-Krise zu Wort kommen. Auf einer Diskussionsveranstaltung mit Grünen-Chef Cem Özdemir und Spitzenkandidatin Rebecca Harms zum Thema "Friedensmacht Europa - Herausforderung Ukraine" attackierte der ehemalige deutsche Außenminister Wladimir Putin und verteidigte die Maidan-Revolution. Von der Europäischen Union fordert er eine Politik der Stärkegegenüber Russland – sie müsse klarer zeigen. wo sie steht. Für die deutschen „Putin-Versteher“ hat Fischer indes nicht besonders viel übrig und zeigt sich schockiert: "Viele finden Putin auch toll, weil er es den Amerikanern mal richtig zeigt. Das finde ich erschütternd." Für Fischer ist diese Haltung schlicht anti-westlich und anti-europäisch. Quelle: dpa
"Das ist Größenwahn"Auch Altkanzler Helmut Schmidt übt in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung scharfe Kritik an der Russlandpolitik des Westens und wirft ihr vor, die Spannungen in der Ukraine-Krise mitverursacht zu haben. Die EU-Kommission hält er aufgrund ihrer Ukraine-Politik für unfähig und straft ihren Versuch, die Ukraine anzugliedern, als "Größenwahn" ab. Quelle: REUTERS
"Der grundlegende Fehler lag in der EU-Assoziierungspolitik"Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD), der ohnehin als guter Freund von Kremlchef Putin gilt, plädierte kürzlich für mehr Verständnis für den russischen Präsidenten und macht die Europäische Union für die Zuspitzung der Ukraine-Krise verantwortlich. Zwar sieht er im Vorgehen Russlands grundsätzlich "ein[en] Verstoß gegen das Völkerrecht", dennoch wolle er Wladimir Putin, dessen Vorgehen er in den Sanktionsdrohungen der EU und der USA gegen Russland in der Ukraine-Krise begründet sieht, nicht verurteilen. Quelle: dpa
"Solche Methoden hat schon der Hitler im Sudetenland übernommen"Besonders brisant war der Vergleich von Russlands Vorgehen auf der Krim mit der Politik Hitlers. Auf einer Schüler-Veranstaltung des EU-Projekttags 2014 der Bundesregierung hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble öffentlich Parallelen zwischen der Annexion der Krim durch Wladimir Putin und dem Anschluss des Sudetenlandes durch Adolf Hitler gezogen. Gemeint hatte der die Argumente, die die russische Regierung als Rechtfertigung für die Annexion der Krim anführt. Quelle: dpa
"Zusagen hat es nicht gegeben"Hans-Dietrich Genscher, ehemaliger Bundesaußenminister (FDP), bringt eine neue Definition Europas in die Diskussion ein. Für ihn ist Europa keinesfalls mit der Europäischen Union gleichzusetzen - Europa geht über die Strukturen der EU hinaus. Alle europäischen Völker sollen frei entscheiden können, ob sie der EU oder Russland angehören, oder ob sie unabhängig bleiben wollen. Es müssen Strukturen und Ordnungen geschaffen werden, die ein solches Leben in Freiheit sicherstellen. Quelle: dpa

Aber die Fabrik ist in Betrieb – allein das ist schon verblüffend. „Der vorherige Besitzer hat den Arbeitern vier Monate keinen Lohn gezahlt“, sagt Kostenko, damit sei jetzt Schluss. Dass die Übernahme vor sechs Wochen fast zeitgleich mit der Proklamation der „Volksrepublik Donezk“ erfolgt sei, sei Zufall: Den Einstieg und dessen Finanzierung hätten die Stahlhändler seit anderthalb Jahren vorbereitet. Die Krisenzeit wollen die Neueigentümer nutzen, um die Produktpalette zu diversifizieren. Künftig soll die Produktion von Baumaterial für Cash-Flow sorgen, der schrittweise in neue Anlagen investiert wird – bis es das Kombinat mit billigen und einfachen Metallwaren auf den EU-Markt schafft.

Zur Krise hat das Quartett nur eine Meinung: „Wir brauchen keine Unabhängigkeit, sonst steht hier alles still“, sagt Kostenko. Potenzielle Kunden holten sich ihre Informationen aus der Zeitung, und jeder meide das vermeintliche Risiko im Donbass. Die Separatisten würden dies noch schlimmer machen. „In Wahrheit ist bei uns alles ruhig“, sagt der Jungunternehmer, „nicht jeder Arbeiter steht auf den Barrikaden.“ Bei ihm gebe es keine Separatisten, solange er pünktlich gute Löhne zahle.

Stahlarbeiter in Werkskluft patrouillieren

Darauf vertraut auch Oligarch Achmetow. Mitte Mai ruft er seine Leute dazu auf, gegen die Separatisten in Mariupol auf die Straßen zu gehen, um für Ordnung zu sorgen. In Vierertrupps patrouillieren Stahlarbeiter in Werkskluft gemeinsam mit der Polizei. Im Zentrum beaufsichtigen sie junge Separatisten beim Entrümpeln der Stadtverwaltung, die diese zuvor angezündet hatten. Zudem ruft Achmetow in einer Videobotschaft zum Widerstand gegen die Separatisten auf: „In den Städten herrschen Banditen und Marodeure. Die Menschen sind es leid, in Angst zu leben.“

Seine Arbeiter stehen auch deshalb zu Achmetow, weil sein Stahlgeschäft floriert. Paradoxerweise profitiert der laut „Forbes“-Liste 9,4 Milliarden Euro schwere Geschäftsmann kurzfristig von der Krise: Die Landeswährung Griwna ist in einem Jahr um etwa ein Drittel gesunken, was seine Exporte beflügelt.

ThyssenKrupp um ein Vielfaches produktiver

Das gilt in erster Linie für das Iljitsch-Werk in Mariupol, das mit 30.000 Mitarbeitern neben dem schwächelnden Binnenmarkt nach Europa und Südostasien liefert. Dabei ist die 20 Kilometer lange Megafabrik ineffizient: ThyssenKrupp kocht mit der gleichen Manpower im Jahr 15 Millionen Tonnen Rohstahl, die Ukrainer vier.

Achmetow investiert nun eifrig in die Modernisierung: Mit moderneren Produktionsverfahren konnte das Iljitsch-Stahlwerk die Herstellungskosten im ersten Quartal um 54 Millionen Dollar senken. 2015 sollen moderne Gasreiniger in die Hochöfen eingebaut werden, wohl aus deutscher Produktion. Endlich geht Achmetow gegen die Luftverschmutzung vor.

Wobei der braune Qualm über Mariupol ja für die Menschen dort ein gutes Zeichen ist: Solange die Schlote rauchen, muss sich niemand um den Job sorgen. Hoffentlich.

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