Stahlkonzern übernimmt Werft in Wismar Thyssenkrupp vollzieht eine drastische Kehrtwende

Korvette K130: Marinegeschäft Thyssenkrupp Quelle: imago images

Der Stahlkonzern Thyssenkrupp übernimmt Teile der insolventen MV Werften – und bestätigt damit seinen neuen Kurs. Eigentlich wollten die Essener das Marinegeschäft mal verkaufen. Nun lockt die Kriegsdividende.

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Die Korvette K 130 der deutschen Marine kann aufklären, schießen und versenken – und übernimmt bei der Bundeswehr eine wichtige Rolle zur Überwachung der Küstengebiete. Die K130 kann Ziele an Land oder auf See ins Visier nehmen und im Notfall Wasserminen legen. Fünf Schiffe wurden bereits gebaut, fünf weitere sind bestellt. Sie sollen im Auftrag der Bundeswehr bis 2026 vom Stapel laufen – unter anderem mithilfe von Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS).

Das Kieler Unternehmen ist eine hundertprozentige Tochter der Muttergesellschaft Thyssenkrupp in Essen. Früher hatte Konzernchefin Martina Merz mal einen Käufer für den Schiff- und U-Bootbauer gesucht. Anfang des Jahres wurden den Aktionären zumindest Partnerschaften und Kooperationen in Aussicht gestellt. Doch aus dem einstigen Sorgenkind ist ein vielversprechender Hoffnungsträger geworden. TKSM setzt nun auf Kriegsdividenden aus eigener Kraft und übernimmt aus der Insolvenzmasse der MV Werften den Standort Wismar.

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich die geopolitische Weltlage verändert. Und mit ihr die Einschätzung deutscher Rüstungsunternehmen, was ihre Zukunft angeht. Die „Zeitenwende“-Rhetorik von Bundeskanzler Olaf Scholz verspricht neue Schiffe für die Marine und Aufträge an deutsche Werften – und setzt nun auch Thyssenkrupp auf neuen Kurs. TKMS wird fester Bestandteil der Zukunftsstrategie von Thyssenkrupp. Personalvorstand Oliver Burkhard hat die Leitung übernommen.

Zuletzt wartete in den gewaltigen Hallen der Werft in Wismar das größte Kreuzfahrtschiff der Welt – die Global Dream – auf seine Vollendung. Das Schiff mit Platz für 9500 Passagiere ist bereits zu etwa 75 Prozent fertiggestellt. Doch dass die restlichen Arbeiten in Wismar stattfinden, ist unwahrscheinlich. Schon im Laufe des Jahres 2024 will TKMS hier schließlich U-Boote bauen. Entscheidend dafür seien aber neue Bestellungen durch den Bund, sowie Investitionen in den Umbau der Werft, erklärten Insolvenzverwalter Christoph Morgen und TKMS-Chef Burkhard bei der Vorstellung der Pläne in Wismar.

Je mehr Aufträge, desto mehr Arbeitsplätze

Wie stark sich Thyssenkrupp Marine Systems in Wismar engagieren will, richte sich nach dem Bestellvolumen: Je mehr Aufträge, desto mehr Arbeitsplätze. Bei einem Hochlauf der Produktion im Laufe des Jahres 2024 sollen rund 800 Mitarbeitende eingestellt werden. Kämen zusätzliche Aufträge im Überwasserbereich hinzu, könnte die Zahl auf über 1500 Mitarbeiter am Standort Wismar steigen. Für Berlin ist die Botschaft damit klar: Rüstungsaufträge gegen Jobs. Als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Mitte Februar in Wismar war, drängte er zwar auf andere Lösungen: Die Modernisierung der weltweiten Flotten auf dem Weg hin zur Klimaneutralität böte große Möglichkeiten, wie auch der Bau von Offshore-Plattformen, sagte Habeck damals.

„Es gibt einen enormen Bedarf für Konverterstationen, und wir sollten ein gemeinsames Interesse haben, hier über einen deutschen Anbieter zu verfügen“. Doch wenige Tage später begann der Krieg in der Ukraine – und damit die „Zeitenwende“ bei der Käufersuche. Schon in den vergangenen Monaten zeichnete sich daher ab, dass TKMS die größten Chancen für den Kauf hat. Und das größte Eigeninteresse. „Wir kommen nach Wismar, um Marine Systems, aber auch dem Standort und den Menschen hier eine echte Perspektive zu geben“, sagt TKMS-Chef Burkhard nun.

„Mit Wismar setzen wir ein Zeichen“

Die Thyssenkrupp-Tochter blickt tatsächlich auf eine über 180-jährige Geschichte zurück und ist heute mit rund 6500 Mitarbeitern eines der weltweit führenden Marineunternehmen. „Mit Wismar setzen wir ein Zeichen“, sagt Burkhard. TKMS wachse und „will die Zukunft dieser Industrie gestalten“. Heute sei ein „guter Tag für Wismar und Thyssenkrupp Marine Systems“, so Burkhard.

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von Florian Güßgen

Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Neben den notwendigen Investitionen in die Infrastruktur ist auch eine Qualifizierung der Mitarbeiter notwendig. Deren Einstellung soll vorrangig aus einer Transfergesellschaft stattfinden, die für die ehemaligen Beschäftigten der MV Werften eingerichtet wurde. Ihm sei bewusst, dass die Strecke bis zum Neustart lang ist, sagt Insolvenzverwalter Morgen. Deshalb werde er „alles daransetzen, den Übergang zu gestalten und für möglichst viele Mitarbeitende Beschäftigung zu sichern.“

Für Thyssenkrupp-Chefin Merz ist das Marinegeschäft damit zu einem Pfeiler ihrer Sanierungsstrategie für den Konzern gesetzt. Inzwischen läuft selbst das Stahlgeschäft dank steigender Preise wieder einigermaßen passabel. Die Stahlsparte konnte ihr operatives Ergebnis im zweiten Quartal des Geschäftsjahres (Januar bis März) auf 479 Millionen Euro von 47 Millionen Euro verzehnfachen.

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Ein Spin-off von Steel Europe, wie einst geplant, ist nun gar nicht mehr so sicher. Möglicherweise bleibt nun sogar auch die Stahlsparte ein fester Teil des Konzerns – das wäre eine erstaunliche Stehauf-Geschichte in Essen.

Marinegeschäft plötzlich doch zukunftsfähig?

Das Marinegeschäft galt lange Zeit als nicht zukunftsfähig innerhalb der Konzerngruppe. Vor einigen Jahren verhandelte Thyssenkrupp über einen Verkauf an Rheinmetall – am Ende scheiterte der Deal an unterschiedlichen Preisvorstellungen. TKMS ist zwar ein Technologieführer beim U-Boot-Bau, gilt aber als nicht ausreichend diversifiziert. Zeitweise war auch ein Verbund mit den staatlichen Werften in Frankreich im Gespräch. Bei der bisherigen Konsolidierung der Branche hat TKMS keine größere Rolle gespielt. Der Kauf der Werft in Wismar zeigt nun, dass das Unternehmen offenbar auch da eine neue Sichtweise entwickelt hat. Auf der Hauptversammlung Anfang Februar erklärte Konzernchefin Merz noch: "Bei Marine Systems prüfen wir neben dem Stand-alone-Szenario auch mögliche
Partnerschaften und Konsolidierungsoptionen." Nun scheint es, als wolle TKMS mit
Zukäufen aus eigener Kraft Marktanteile gewinnen. 

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Beim Bau der Korvette K130 war TKMS Teil der „Arbeitsgemeinschaft K130“ unter Federführung der NVL Group der Bremer Lürssen Familie. Zur ARGE K130 gehört auch German Naval Yards, eine hundertprozentige Tochter der europäischen Werftenholding Privinvest, die sich wiederum im Besitz der französischen Unternehmerfamilie Safa befindet. Alle Beteiligten rechnen nun mit weiteren Aufträgen.

So schrieb das „Bundeswehr-Journal“ mit Bezug auf die Fachzeitschrift „MarineForum“ in einem aktuellen Beitrag über die fünf existierenden und fünf im Bau befindlichen Korvetten K130: „Eine Richtungsentscheidung zur Ergänzungsbeschaffung“ der ersten fünf Korvetten „von weiteren fünf Korvetten [Baunummern 11 bis 15] wurde bisher als nicht finanzierbar verworfen.“ Nun sei eine Ersatzbeschaffung wieder ein Thema. „Im Lichte der [...] Entscheidung zum Finanzplan 2022 bis 2026 sowie im Rahmen des von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigten ,Sondervermögens Bundeswehr‘ könnten diese Überlegungen neuen Schub erhalten.“

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