Stahlrohrkonzern Vallourec will deutsche Werke schließen – 2400 Betroffene

Die Produktion nahtloser Stahlrohre in Deutschland sei für Vallourec aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr darstellbar. Quelle: dpa

Die Produktion soll Ende 2023 eingestellt werden. Die beiden Standorte in Düsseldorf und Mühlheim gehörten früher zur Mannesmannröhren-Werke AG.

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Der französische Stahlrohrkonzern Vallourec will seine beiden traditionsreichen Werke in Düsseldorf und Mülheim an der Ruhr schließen. Betroffen seien insgesamt rund 2400 Beschäftigte, teilte das Unternehmen am Mittwoch in Düsseldorf mit. Die Produktion soll Ende 2023 eingestellt werden. Die beiden Standorte gehörten früher zur Mannesmannröhren-Werke AG.

Vallourec hatte seit November versucht, die beiden Werke zu verkaufen. Keines der vorgelegten Angebote habe jedoch eine nachhaltige Zukunftssicherung der Produktionsstandorte erkennen lassen, so das Unternehmen. Vallourec Deutschland stellt vor allem nahtlose Stahlrohre für den Öl- und Gasmarkt sowie industrielle Anwendungen im Maschinen- und Stahlbau her.

Die Produktion nahtloser Stahlrohre in Deutschland sei für Vallourec aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr darstellbar, erklärte Vorstandschef Philippe Guillemot. Vallourec Deutschland habe seit sieben Jahren signifikante Verluste geschrieben. Ursache dafür seien Überkapazitäten in der Branche, sinkende Margen, aber auch externe Schocks wie diverse Ölkrisen, Strafzölle aus China, die Corona-Krise sowie der von Russland begonnene Krieg in der Ukraine mit dramatischen Auswirkungen auf Vormaterial- und Energiepreise.

Was wurde eigentlich aus Mannesmann?
Die Brüder Reinhard jun. und Max Mannesmann, Söhne eines Feilenfabrikanten aus Remscheid in Nordrhein-Westfalen, erfinden eine Methode, um nahtlose Rohre herzustellen – das sogenannte Schrägwalzverfahren. Mit ersten Unternehmungen gehen sie pleite. 1890 ist die Idee mit der Erfindung des Pilgerschrittverfahrens so ausgereift, dass sie mit der Deutsch-Österreichischen Mannesmannröhren-Werke AG den unternehmerischen Neuanfang wagen können.Auf dem Foto zu sehen: Die Alleestraße in Remscheid im Jahr 1907. Quelle: imago images
1893 scheiden Max und Reinhard aus dem Vorstand aus. Die Zentrale zieht von Berlin nach Düsseldorf. Ab 1908 heißt das Unternehmen Mannesmannröhren-Werke AG (die Österreichische Mannesmannröhren-Werke GesmbH in Wien ist eine Tochtergesellschaft).Auf dem Foto zu sehen: Der Rathausplatz in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, im Jahr 1880 (digitale Reproduktion einer Originalvorlage aus dem 19. Jahrhundert). Quelle: imago images
Während des Nationalsozialismus ist der Konzern in die Kriegswirtschaft eingebunden. Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter müssen in Düsseldorf arbeiten. Nach dem Krieg werden die Mannesmannröhren-Werke von den Alliierten in drei selbstständige Unternehmen aufgeteilt. Bis 1955 erfolgt der Wiederzusammenschluss unter Führung der Mannesmann AG.Auf dem Foto zu sehen: Ein Werk von Mannesmann im Jahr 1982 in Müllheim an der Ruhr, in dem Rohre für Öl- und Gasleitungen für die Sowjetunion hergestellt wurden. Quelle: imago images
In den 1990er-Jahren wandelt sich der Konzern und setzt voll auf den Telekommunikations-Hype: Mit D2 baut Mannesmann das erste private Mobilfunktnetz in Deutschland auf. Ende 1993 telefonieren bereits eine halbe Million Menschen darüber. 1997 entsteht Arcor für den Festnetzbereich aus einem Joint Venture mit der Deutschen Bank, das mit dem abgespaltenem Technologiezweig der Deutschen Bahn (DBKom) fusioniert. Auf dem Foto zu sehen: Ein Mannesmann-D2-Mobilfunkgeschäft in Berlin. Quelle: imago images
Der Erfolg bleibt nicht unbeobachtet: Chris Gent, Chef des Konkurrenz-Konzerns Vodafone, macht den Mannesmann-Aktionären im November 1999 ein Übernahmeangebot in Höhe von umgerechnet 100 Milliarden Euro. Mannesmann-Chef Klaus Esser hält das für „völlig unangemessen“. Er hat die Rückendeckung des Aufsichtsrats unter Vorsitz des damaligen Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann.Auf dem Foto zu sehen: Vodafone-Chef Chris Gent. Quelle: imago images
Der Wettstreit wird öffentlich ausgetragen, mit Äußerungen von Gerhard Schröder und Tony Blair, mit PR-Kampagnen und in den Medien. Als Vodafone rund 180 Milliarden bietet, drängen wichtige internationale Aktionäre Esser zum Einlenken, darunter Hutchison Whampoa, ein Mischkonzern aus Hongkong mit einem beträchtlichen Anteil an Mannesmann. Der Deal wird vollzogen. Bis heute handelt es sich um die teuerste Übernahme der Welt. Vodafone übernimmt allerdings nur die Mobilfunksparte und zerschlägt den Rest. Die Marke Mannesmann und die Röhrenproduktion kauft die Salzgitter AG. Auf dem Foto zu sehen: Tony Blair und Gerhard Schröder Quelle: imago images
Der Mannesmann-Aufsichtsrat beschließt im Februar 2000 „Anerkennungsprämien“ in Höhe von 57 Millionen Euro für Manager und Ex-Vorstände. Allein Ex-Mannesmann-Chef Klaus Esser erhält rund 30 Millionen Euro (16 Millionen Euro Anerkennungsprämie plus Abfindung). Drei Jahre später erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Esser und die Mitglieder des Aufsichtsrats Joachim Funk, Josef Ackermann, Klaus Zwickel, Jürgen Ladberg sowie Protokollführer Dietmar Droste. Der Vorwurf: Die Prämien und Abfindungen in Millionenhöhe seien rechtswidrig gewesen. Zunächst werden die Angeklagten freigesprochen. 2005 wird das Verfahren neu aufgerollt, 2006 gegen Geldauflagen in Höhe von 5,8 Millionen Euro wieder eingestellt. Auf dem Foto zu sehen: Die Victory-Geste von Josef Ackermann im ersten Gerichtsverfahren (links: Ex-Mannesmann-CEO Klaus Esser). Quelle: Getty Images

Vallourec will jetzt Gespräche mit den Betriebsräten und der IG Metall über einen Interessenausgleich und Sozialplan beginnen. „Wir sind daran interessiert, dass für die Menschen, mit denen wir so lange zusammengearbeitet haben, eine faire und anständige Lösung gefunden wird“, sagte Guillemot. „Wir bemühen uns, die Auswirkungen so stark abzumildern wie angesichts der Gesamtsituation möglich.“

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