Auf seine alten Tage kommt SB23EHS noch einmal groß heraus. Eigentlich ist das Teil mit der siebenstelligen Nummer der Rohling für ein ganz gewöhnliches Hydraulikventil, wie es Traktoren benötigen, um ein angeschlossenes landwirtschaftliches Gerät vom Führerhaus aus zu bedienen.
Doch in der neuen Fertigungslinie von Bosch Rexroth in Homburg/Saar hat SB23EHS eine besondere Bedeutung. Es ist Ende November, als der dunkelgraue Gusseisenblock, aus dem am Ende ein Traktorventil wird, eine Art Stimme erhält. Dazu verpasst ein Arbeiter dem mehrere Kilo schweren Werkstück einen Chip, der aus dem toten ein „sprechendes“ Metallstück macht.
Wo immer das Teil, eingeklemmt in einem Transportschlitten, fortan hinfährt, weitere Schrauben bekommt oder auf Dichtheit geprüft wird – überall wird es von elektromagnetischen Wellen bestrahlt, die dem Chip die Werkstücknummer entlocken und diese automatisch der Stelle melden, an der es weiterbearbeitet wird.
Mit Linien solchen Typs schlägt die Bosch-Tochter (Umsatz 2013: 5,7 Mrd. Euro, 36.700 Beschäftigte) ein neues Kapitel auf – für sich selbst, die Konzernmutter in Stuttgart, aber auch den Produktionsstandort Deutschland. Denn seit Juli produziert das Unternehmen im Dreischichtbetrieb nach Methoden, über die bisher vielfach nur diskutiert wird – Industrie 4.0. Wo Werkstücke mit den Werkzeugen kommunizieren, lassen sich Rüstzeiten verringern und lässt sich Stillstand minimieren.
Die Industriesparte des größten Automobilzulieferers der Welt steht vor einem „weiteren Produktivitätssprung“, sagt Rexroth-Produktionsexperte Möller, „10 bis 15 Prozent innerhalb der nächsten fünf Jahre sind realistisch“. Nun wird möglich, dass deutsche Firmen „Wertschöpfung nicht mehr kurzsichtig in andere Länder verlagern müssen“, sondern „Wertschöpfung zurück ins eigene Land holen können“, sagt Thomas Bauernhansl, Chef des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart.
Nach der Übernahme der Lenksysteme vom Getriebehersteller ZF im baden-württembergischen Friedrichshafen und der anderen Hälfte des Gemeinschaftsunternehmens Bosch Siemens Hausgeräte kommt Bosch Rexroth eine Vorreiterrolle für die rund 260 produzierenden Werke im Mutterkonzern zu.
Was das für die Mitarbeiter bedeutet, lässt sich an der u-förmigen Fertigungslinie in Homburg studieren. Bildschirme liefern Arbeitsanweisungen in der erforderlichen Sprache. Sensoren lassen rote Lämpchen aufleuchten, wenn ein Arbeiter in das Fach mit den falschen Metallfedern greift.
Bosch-Rexroth-Manager Möller ist sicher, dass die Anlage in Homburg erst der Anfang der Vernetzung ist. „Wir werden es noch erleben“, sagt er, „ dass das Ventil dem Landwirt per E-Mail mitteilt, dass es höchste Zeit für einen Ölwechsel ist.“
Concept Laser, Lichtenfels: Visionär
Seine Zukünftige fand Frank Herzog nicht beim Candle-Light-Dinner, sondern bei technischen Versuchen im Laserfeuer. Schon als Student fachsimpelte er am liebsten mit einer bestimmten Kommilitonin über die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Laser, um mit ihnen aus Metallpulver Werkstücke zu bauen.
Irgendwann funkte es so gewaltig, dass Frank und Kerstin Herzog nicht nur ein Paar wurden. Beide sind auch auf bestem Weg, eine neue Ära in der Metallverarbeitung einzuläuten. Mit ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeit und ihrer Firma Concept Laser in Lichtenfels bei Bamberg ist es dem Duo gelungen, Deutschland beim 3D-Druck von Metallwerkstücken an die Spitze zu katapultieren. Concept Laser gehört zur Hofmann Innovation Group, einer Tochter des Spritzguss- und Formenbaubetriebs der Familie von Kerstin Herzog.
Beim 3-D-Druck dieser Art schmilzt ein Laser aus pulverförmigem Metall Schicht für Schicht feste Körper. Das Verfahren hat den Vorzug, Drehen, Fräsen und Bohren in vielen Fällen überflüssig zu machen. Es gilt als eine Zukunftstechnologie, die nach Meinung des US-Starökonomen Jeremy Rifkin eine neue industrielle Revolution einleitet und die globalen Wertschöpfungsketten neu knüpfen wird. Zudem ist der 3D-Druck eine wichtige Komponente von Industrie 4.0, der digitalisierten Fertigung. Mit einem 3-D-Drucker und den passenden Daten lassen sich etwa Ersatzteile an jedem beliebigen Ort der Welt produzieren. Produktions- und Logistikketten werden überflüssig.
Die Unternehmensberatung Roland Berger sagt dem metallischen 3D-Druck mit Lasern beste Chancen voraus. 2012 lag das weltweite Marktvolumen des 3D-Drucks für metallische Strukturen noch bei 1,7 Milliarden Euro. Binnen zehn Jahren soll es sich vervierfachen. Am meisten profitieren dürften neben Concept Laser weitere deutsche Firmen wie SLM Solutions in Lübeck und EOS in Krailling bei München.
Die Einsatzmöglichkeiten erscheinen grenzenlos. Die Franken fertigen Brenner für Raketen der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa, aber auch individuelle Implantate für Schädeldecken und Wirbelsäulen. Luftfahrtunternehmen, Maschinenbauer und die Automobilindustrie erforschen, wie sich die Produktion komplexer Metallteile mit 3D-Druckern schneller und kostengünstiger gestalten lässt.
Für den Autobauer Daimler hat Concept Laser gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Lasertechnik in Aachen den weltweit größten 3D-Drucker geschaffen. Der ist so groß, dass er Prototypen von Getriebeteilen aus Aluminium formen kann. Das ist preiswerter als das übliche Druckgussverfahren. „Die Serienfertigung von Bauteilen für die Automobilindustrie ist greifbar nahe“, sagt Visionär Herzog.
Dessen Firma Concept Laser wächst jetzt schon beachtlich. Im ersten Halbjahr hat das Unternehmen 45 Maschinen im Wert von 130.000 bis 1,5 Millionen Euro verkauft – ein Plus von 45 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Das dichte Forschungsnetzwerk, der hoch entwickelte Maschinenbau und die Ingenieur- und Tüftlerkultur tragen dazu bei, dass der metallische 3D-Druck in Deutschland zur Spitzentechnologie heranreift. „Den Wissensvorsprung der etablierten Unternehmen holen Neueinsteiger am Markt sicherlich nicht so schnell auf“, glaubt Herzog. Allerdings beobachtet er auch, dass „die amerikanischen Unternehmen die Technologie schneller anwenden. In Europa ist man zögerlicher. Etwas mehr Mut würde nicht schaden.“