Mit eigenen Präparaten erzielt Merck seit mehr als zwei Jahrzehnten kaum Erfolge. Ihre wichtigsten Medikamente – Rebif gegen multiple Sklerose und Erbitux gegen Darmkrebs – mussten die Forscher in ihrer Not von außen zukaufen. Die Rechte an Erbitux lizenzierten die Darmstädter um die Jahrtausendwende vom US-Unternehmen Imclone ein. Bei Rebif übernahm Merck 2006 den Hersteller, das Schweizer Unternehmen Serono.
Wie forschungsschwache Pharmakonzerne enden können, zeigte der einstige Dax-Konzern Altana, ebenfalls ein Familienunternehmen: Nach zahlreichen Rückschlägen in der Entwicklung verkaufte Mehrheitsaktionärin Susanne Klatten, eine Tochter der Industriellendynastie Quandt, 2006 das Pharmageschäft an die dänische Nycomed. In der Folge strichen Nycomed und der heutige Eigentümer Takeda aus Japan Tausende von Arbeitsplätzen.
Vordergründig betrachtet läuft das Merck-Geschäft trotz der Schwächen noch rund. Vor allem das boomende Chemiegeschäft mit Flüssigkristallen, wie sie etwa in Smartphones und TV-Geräten enthalten sind, sorgt seit Jahren für hohe Umsätze und Erträge. Auch die angejahrten Arzneien Rebif und Erbitux tragen zum Wohlstand bei. In den ersten neun Monaten 2012 stieg der Merck-Umsatz, verglichen mit dem Vorjahres-Zeitraum, um neun Prozent auf acht Milliarden Euro. Der operative Gewinn vor Sondereinflüssen kletterte um 6,5 Prozent auf 2,2 Milliarden Euro.
Ein zupackender Manager
Doch hinter der Fassade ist der brutale Umbau in vollem Gange. Als Mann fürs Grobe hat Konzernchef Kley vor zwei Jahren den erfahrenen Manager Stefan Oschmann auf die Großbaustelle Pharma geholt. Der 55-jährige Bayer, der zuvor fast zwei Jahrzehnte lang für den US-Namensvetter Merck & Co. arbeitete, ist die letzte Hoffnung der Darmstädter, um das Medikamentengeschäft wieder flottzukriegen.
Der Pharma-Chef, der als zupackender Manager gilt, holte neue Top-Führungskräfte von außen, strich die Zahl der Therapiegebiete zusammen, schaffte klare Verantwortlichkeiten und konzentriert die Kräfte auf neue Krebspräparate. Ob die Wende gelingt, kann sich im Pharmageschäft mit seinen langen Entwicklungs- zyklen erst in Jahren zeigen. Oschmann genießt freilich eine hohe Reputation – selbst Manager anderer Pillenkonzerne trauen dem Pharmachef von Merck einen Erfolg zu.
Lange gab es in der Eigentümerfamilie Vorbehalte gegen eine harte Restrukturierung. Zu groß war die Verbundenheit mit den Mitarbeitern in Darmstadt und langjährigen, aber erfolglosen Managern. Die Sippe, mittlerweile auf 220 Mitglieder angewachsen, ist das eigentliche Machtzentrum von Merck. Die Mehrheitseigentümer initiierten etwa den Verkauf des Generikageschäfts 2007 oder die Verstärkung der Chemiesparte durch das US-Unternehmen Millipore 2010. Doch ausgerechnet dem Verfall des Pharmageschäfts sah die Familie lange zu.