Steigende Fluggastzahlen „Die CO2-Abgabe ist wie Zahnschmerz“

In Verruf: Ein Flugzeug produziert laut Umweltbundesamt pro Personenkilometer sechsmal so viele Treibhausgase wie die Bahn. Quelle: dpa

Die Welt hat Angst vor dem Klimawandel – zugleich steigen die Passagierzahlen bei Lufthansa und Easyjet. Wie das zusammenpasst und warum die Erderwärmung mehr von einem Tiger haben müsste, erklärt Konsumpsychologe Hans-Georg Häusel.

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Der Psychologe Hans-Georg Häusel (67) promovierte am Max-Planck-Institut über Geld- und Konsumverhalten und veröffentlichte zahlreiche Fachbücher über Hirnforschung und die Macht des Unbewussten beim Kauf. Häusel hält Vorträge über Finanzpsychologie, lehrt an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich und arbeitet für die Münchner Händler-Beratungsfirma Gruppe Nymphenburg.

WirtschaftsWoche: Herr Häusel, laut einer Umfrage hat die Menschheit dieser Tage vor nichts so viel Angst wie vor dem Klimawandel. Gleichzeitig rechnen Lufthansa und Easyjet mit steigendem Passagierwachstum für das laufende Geschäftsjahr. Sind wir alle bigott?
Häusel: Die Erderwärmung ist zunächst einmal etwas extrem Abstraktes und liegt irgendwo weit in der Zukunft. Eine Reise aber ist eine viel direktere Belohnung für unser Gehirn, die schlägt das Abstrakte um ein Vielfaches. Der Mensch ist sozial opportun. Wird er gefragt, sagt er: Ja, der Klimawandel ist was ganz Schlimmes. In solch einer Antwort steckt zu einem guten Teil soziale Rechtfertigung. Fast alle stimmen auch der Aussage zu, man sollte mehr Bio-Lebensmittel kaufen, aber im Durchschnitts-Einkaufskorb liegen dann nur sechs Prozent Bio-Ware. Wir sagen, man sollte nicht lügen. Wir lügen aber 20 mal am Tag. Das heißt, unsere soziale Rechtfertigung hat so gut wie nichts mit unserem Verhalten zu tun, weil das extrem stark belohnungsorientiert ist. Der Verzicht auf etwas, das theoretisch der ganzen Welt nutzt, aber praktisch nur dann, wenn alle verzichten, ist schwer vermittelbar.

Kurz vor der Europawahl ergab eine Umfrage, dass 55 Prozent der Deutschen eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes für zielführend halten. Rund 47 Prozent der Bundesbürger können sich laut einer Umfrage des Instituts Yougov vorstellen, auf Flugreisen aus Umweltschutzgründen zu verzichten. Müssten wir nicht innerlich zerrissen sein, wenn wir Flüge buchen?
Eigentlich ja. Aber so ist der Mensch. Wir wollen im sozialen Kontext nicht als Umweltsau dastehen. Der Belohnungscharakter dieses Tickets und die Freude daran, ein Schnäppchen gemacht zu haben und etwas Aussicht auf die konkrete, erfahrbare Belohnung sind so viel stärker.

Konsumpsychologe Häusel:

Vielfliegerei liegt im Trend: Die Luftfahrtbranche rechnet mit einer Steigung von fünf Prozent des Flugverkehrs pro Jahr. Wie schaffen es die Menschen, ihre Ängste auszublenden, zumindest für den Vorgang des Ticketkaufs?
So groß und allgegenwärtig sind diese Ängste ja nicht. Wer steht denn morgens auf, guckt bibbernd aus dem Fenster und denkt: Morgen geht die Welt unter? Die emotionale Stärke dieser Angst vor dem Klimawandel ist nicht besonders groß. Anders, als wenn etwa ein Tiger vor Ihnen steht.

Gibt es denn den sogenannten Greta-Effekt gar nicht, also eine Verhaltensänderung, die auf die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg zurückzuführen ist? Sind die Fridays-for-Future-Proteste mithin sinnlos?
Sinnlos sind sie nicht, aber solche Verhaltensänderungen sind extrem langwierig und schwierig. Sicherlich wird hier und da im Kleinen eine Veränderung der Akzeptanz wahrgenommen, so dass längerfristig auch Veränderungen im Verhalten herbeigeführt werden könnten. Aber so etwas dauert. Ideal wäre es, wenn die Politik das unökologische Verhalten bestrafen würde. Der Mensch lernt fast nie durch Einsicht, sondern nur durch konkrete Bestrafung.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr forderte jetzt, Flüge für unter zehn Euro dürfte es nicht geben; mit Eurowings kann man aber bereits ab 25 Euro nach Nizza oder Mallorca fliegen. Erste Politiker fordern ein Verbot von Inlandsflügen. Muss das Fliegen wieder zum Luxus werden?
Das ist die große Frage, weil sie die soziale Gerechtigkeit tangiert: Sollen diejenigen, die viel Geld verdienen, den Planeten vernichten können, während die anderen zu Hause bleiben? In der Theorie ist es eigentlich ganz einfach: Nur die Supermarkt-Verkäuferin mit einem Einkommen bis zu 30.000 Euro sollte zum Billigtarif nach Mallorca fliegen können, und der Millionär zahlt das Fünffache. Das wäre der gerechte Weg, ist aber natürlich nicht durchsetzbar.

Andere halten dagegen, man solle weniger Verbote, stattdessen mehr Anreize schaffen. Wie könnten diese Anreize aussehen?
Die Anreize müssen äußerst konkret sein. Der Mensch muss für sein Verhalten belohnt werden. Also theoretisch: Man bekommt 500 Euro aus der Bundeskasse, wenn man seinen geplanten Flug nicht antritt. Solche Belohnungen funktionieren, das zeigt etwa die Abwrackprämie. Aber so etwas wird hier natürlich nicht passieren, und wenn ich mit Anreizen nichts erreichen kann, muss ich etwas verbieten. Aber Politiker, allen voran die Grünen, wollen keine Verbote; und zwar nicht, weil sie nicht funktionieren, sondern weil sie dann nicht mehr gewählt werden. Verbote sind ja politisch nicht opportun.

Aber sie funktionieren.
Sicher funktionieren sie, etwa bei der Glühbirne, beim Sicherheitsgurt, oder dem Handy am Steuer. Anreize sind aber allein deshalb besser, weil sie politisch besser durchsetzbar und damit realistischer sind. Von der Flugbranche braucht man da im Übrigen nichts erwarten. Die Flugunternehmen sagen, wir sind im Wettbewerb und die Rahmenbedingungen werden von der Politik gesetzt. Die Rahmenbedingungen der Luftfahrt sind aber international, damit sind wir auf EU-Ebene, was es nicht einfacher macht. Unternehmen verhalten sich grundsätzlich opportunistisch.

von Beat Balzli, Rüdiger Kiani-Kreß

Lufthansa-Chef Carsten Spohr sagte im Juni, es „enttäusche“ ihn, dass erst weniger als 1 Prozent seiner Kunden bei der freiwilligen CO2-Kompensation mitmachen. Ist das nicht heuchlerisch? Wenn er weniger Umweltverschmutzung will, soll er doch teurere Flugtickets verkaufen, weniger Flugzeuge fliegen lassen.
Er handelt damit aus seiner Sicht rational: Die Konsumenten haben ja die Möglichkeit zur Kompensation. Damit hat er die Verantwortung abgewälzt, und kann seine Tickets weiter zum wettbewerbsfähigen Preis anbieten. Man könnte sagen, er hat sein ökologisches Feigenblatt gezeigt. Das ist nicht unbedingt ein besonders soziales Verhalten, aber wie gesagt: für ihn rational. Die CO2-Abgabe ist eine konkrete Strafe. Geldverluste wie diese werden im Schmerzzentrum des Hirns verarbeitet, in ähnlichen Regionen wie Zahnschmerzen. Das ist ein extrem aversiver Reiz. Den tun wir uns in aller Regel lieber nicht an. Wenn sie gewünscht wird, muss diese Abgabe verordnet werden.

In Frankreich wird ab kommendem Jahr eine Ökosteuer auf Flugtickets fällig: Pro Flugpreis können bis zu 18 Euro aufgeschlagen werden.
Es ist nicht genug, aber mehr geht politisch nicht. Es ist aber der richtige Weg. Da wird zwar schon Kritik laut im Sinne von Paternalismus und Bevormundung, aber man kriegt es anders halt einfach nicht hin. Als Politiker braucht man schon eine dicke Haut, deswegen bewundere ich Emmanuel Macron und seine Regierung dafür.

Macht Ihnen sonst etwas Hoffnung?
Die Frage ist, wie virulent, wie drängend wird es jetzt: Packt hier doch noch der Greta-Effekt? Werden wir also akzeptieren, dass die Politik hier eingreifen muss, etwa mit einer CO2-Steuer? Greta und ihre Anhänger schaffen hier ein Bewusstsein für Veränderung. Das sollte man unbedingt nutzen, um die politischen Rahmenbedingungen zu ändern und ökologischer zu handeln.

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