Steinkohle-Ausstieg Die Ewigkeitskosten explodieren

Ab 2019 muss sich die RAG-Stiftung um die Ewigkeitslasten des Steinkohle-Bergbaus kümmern. Rechnerisch sind die Kosten dafür explodiert. Trotzdem sollen die jährlichen Einnahmen der Stiftung für die Finanzierung reichen.

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Ende 2018 soll das letzte Steinkohle-Bergwerk schließen. Quelle: dpa

Essen Ende 2018 ist endgültig Schluss mit der Förderung von Steinkohle in Deutschland. Dann schließt die allerletzte Zeche, Prosper-Haniel in Bottrop. Dann wird sich die RAG-Stiftung, die 2007 gegründet wurde, endlich ihrem eigentlichen Zweck zuwenden: Sie muss langfristig die Finanzierung der so genannten Ewigkeitslasten des Bergbaus gewährleisten – unter anderem die Haftung für Bergschäden, das permanente Abpumpen von Grubenwasser oder die Rekultivierung.

Auf den ersten Blick steht die Stiftung vor einer kaum zu bewältigenden Aufgabe: Wegen der anhaltend niedrigen Zinsen ist der Barwert der langfristigen Pflichten geradezu explodiert. 2007, bei der Gründung, war der Rückstellungsbedarf noch mit sechs Milliarden Euro veranschlagt worden. Ende 2015 waren es schon 37 Milliarden Euro, Ende 2016 rund 81 Milliarden Euro und Ende 2017 wird der Wert nach den Worten von Stiftungschef Werner Müller zwischen 400 und 500 Milliarden Euro liegen.

Für Müller, der vor gut einem Jahrzehnt die Idee für das Stiftungsmodell hatte und seit 2012 der Vorsitzende ist, sind diese Zahlen aber „ziemlich absurd“. Nach seinen Worten ist das ein reiner bilanzieller Effekt ohne praktische Relevanz. Die Steuerzahler müssen sich keine Sorge machen, dass sie doch noch für die Bewältigung der Lasten einspringen müssen: „Die RAG-Stiftung ist gut ein Jahr vor dem Ende des deutschen Steinkohlebergbaus unverändert auf bestem Wege, die an sie gestellten Aufgaben ab 2019 stemmen zu können.“

Für Müller ist relevant, wieviel die RAG-Stiftung ab 2019 pro Jahr aufwenden muss und mit welchen Jahreseinnahmen sie rechnen kann. Die erwarteten Ausgaben lägen unverändert – und von Wirtschaftsprüfern bestätigt – bei jährlich 220 Millionen Euro. Die Jahreseinnahmen würden bei „mehr als dem Doppelten“ liegen.

2016 erwirtschaftete die Stiftung einen Überschuss von 393 Millionen Euro und führte damit mehr als erwartet den Rückstellungen zu. Und die Einnahmen sollen weiter steigen. Abgesehen von geopolitischen Entwicklungen habe die RAG-Stiftung „keine größeren Risiken“, sagte Müller.

„Auch in einem Niedrigzinsumfeld lässt sich gut Geld verdienen“, betonte Finanzvorstand Helmut Linssen, „wir haben dies erreicht, indem wir unsere Kapitalanlagen global ausgerichtet und unsere Investments auf verschiedene Asset-Klassen verteilt haben. Darüber hinaus profitieren wir von der Anlage in höher rentierliche illiquide Assets.“

Die RAG-Stiftung hat in den zehn Jahren das Vermögen fast verdreifacht – von sechs Milliarden auf knapp 17 Milliarden Euro. Sie verkaufte insbesondere Anteile am Spezialchemiekonzern Evonik, an dem sie noch 68 Prozent hält, und investierte in Zehn Mehr- und sowie Minderheitsbeteiligungen an mittelständischen Unternehmen.


Unzufrieden mit der Kursentwicklung von Evonik

Den weitaus größten Anteil des Überschusses liefert die Beteiligung an Evonik. Sie warf eine Dividende von 363,9 Millionen Euro ab. Die Immobiliengesellschaft Vivawest brachte 36,4 Millionen Euro ein, die Beteiligungsgesellschaft 5 Milliarden Euro; übrige Kapitalanlagen steuerten 36,4 Millionen Euro bei.

Abzüglich Steuern und den Aufwendungen für die kulturellen Aufgaben der Stiftung blieb der Überschuss von 393 Millionen Euro. Das waren knapp 60 Millionen Euro mehr als ein Jahr zuvor. Abgesehen von den beiden Jahren 2008 und 2013, in denen die Stiftung Aktien von Evonik platzierte, war der Gewinn noch nie so hoch.

Nicht zufrieden ist Müller mit der Kursentwicklung von Evonik. „Beim Aktienkurs ist weiterhin Luft nach oben“, sagte der ehemalige Bundeswirtschaftsminister. „Leider wird das Potenzial, das in Evonik steckt, nach wie vor nicht ausreichend gewürdigt.“ Dies zu ändern, sei eine der Aufgaben des neuen Chefs Christian Kullmann, der Anfang Mai den Vorstandsvorsitz von Evonik von Klaus Engel übernommen hat. Die RAG-Stiftung habe aktuell keine Pläne, weitere Anteile zu verkaufen, stellte Müller fest.

Den dramatischen Anstieg der Ewigkeitslasten erläuterte Linssen anhand der Zinsentwicklung. 2006, als die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG den Rückstellungsbedarf mit sechs Milliarden Euro feststellte, sei mit einem Realzins von 2,5 Prozent kalkuliert worden. Ende 2014 habe er bei 0,99 Prozent gelegen, Ende 2015 bei 0,62 Prozent und Ende 2016 bei nur noch 0,29 Prozent, erklärte Linssen. Dadurch seien die Verpflichtungen rechnerisch auf 81 Milliarden Euro geklettert: „Dieser Anstieg sieht dramatisch aus, ergibt sich aber aus der Veränderung des Zinssatzes in der Nähe des Nullpunktes, wo geringe absolute Veränderungen große relative Änderungen bewirken: eine Halbierung des Zinses bedeutet finanzmathematisch eine Verdoppelung des Barwerts.“

Und es dürfte noch schlimmer werden, oder wie Müller es ausdrückt besonders „absurd“. „Spätestens zum Jahresende 2018 könnte der Realzins negativ werden mit seltsamen Konsequenzen für den Barwert“, sagte Linssen: „Wir sind hier weiterhin in intensiven Gesprächen mit den Wirtschaftsprüfern zur Lösung des Problems.“

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