Stellenabbau bei Siemens Joe Kaeser in der Kritik

Der angekündigte Abbau von fast 7000 Stellen beim Münchener Dax-Konzern sorgt weiter für Entsetzen. Die Kanzlerin mahnt, die Belegschaft protestiert und einer gerät zunehmend unter Zugzwang: Siemens-Chef Joe Kaeser.

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Der Siemens-Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser wird von Kritikern persönlich für den massiven Stellenabbau verantwortlich gemacht. Quelle: dpa

Bei heiklen Themen verkümmern selbst die größten Manager oft zu Duckmäusern. Joe Kaeser nicht. Der Siemens-Chef hat eine klare Meinung. Und er hält damit auch öffentlich nicht hinterm Berg. Nach dem Wahlerfolg der AfD sprach Kaeser etwa davon, dass dies auch „eine Niederlage der Eliten in Deutschland“ sei.

Man habe AfD-Wähler zu lange als Menschen am Rande der Gesellschaft abgetan anstatt sie einzubinden, erläuterte Kaeser. Und weiter: Es sei die Aufgabe von uns allen, Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen, eine Perspektive zu geben, so der Siemens-Vorstandsvorsitzende. Es war eine beißende Kritik an den etablierten Parteien und den sozialen Eliten, wie sie ein im Amt befindlicher Spitzenmanager in Deutschland so noch selten zuvor getätigt hat.

Bei vielen Siemens-Mitarbeitern kam das gut an. Und auch bei Hagen Reimer von der IG-Metall in Bayern sorgten die Worte des Top-Managers für Zustimmung. Das war ein „guter Kommentar“  des Siemens-Chefs, sagte Reimer dem Handelsblatt. Umso größer ist bei dem Gewerkschafter allerdings jetzt der Ärger.

In welchen Sparten Stellen wegfallen

Denn Kaeser will fast 7000 Stellen in der kriselnden Kraftwerkssparte streichen und mehrere Werke schließen – etwa in Görlitz in der Oberlausitz, einer Region mit hoher Arbeitslosigkeit und großem Wählerzuspruch für die AfD. Vor diesem Hintergrund wirke Kaeser jetzt wie ein „Sonntagsprediger“, ätzt Reimer. Und er ist mit seiner Kritik nicht alleine.

Noch nie zuvor seit seinem Amtsantritt im Sommer 2013 stand der Siemens-Chef so in der Kritik. Selbst Angela Merkel, die ihm sonst so wohlgesonnene Kanzlerin, sah sich nun bemüßigt über ihren Sprecher zumindest die Einhaltung von fairen Regelungen beim Personalabbau von Siemens anzumahnen.

Bei der Belegschaft herrscht dagegen längst ein anderer Ton. Mit einer Menschenkette um das Berliner  Gasturbinenwerk des Konzerns protestieren Hunderte Beschäftigte gemeinsam mit Michael Müller, dem sozialdemokratischen Bürgermeister der Hauptstadt, gegen den Kahlschlag bei Siemens.

„Für den augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht“, appellierten die Mitarbeiter etwa mit einem Zitat des Firmengründers Werner von Siemens an das aktuelle Management. Doch der Vorstand um Kaeser demonstriert bislang Härte. Schließlich besteht in der Kraftwerkssparte Handlungsbedarf. Siemens hat hier lange auf große Gasturbinen gesetzt. Doch in Zeiten der Energiewende werden eher kleine, dezentrale Grünstromlösungen von Kunden bestellt. Die Folge: Das Angebot an großen Gasturbinen übersteigt die weltweite Nachfrage deutlich.

Die globalen Fertigungskapazitäten liegen bei etwa 400 Turbinen pro Jahr. Tatsächlich verkauft wird aber nur etwa ein Viertel davon, zuletzt 110 Stück. Siemens-Chef Kaeser sieht daher keine Alternative zu den harten Einschnitten. Das bringt die Arbeitnehmervertreter wiederum auf die Barrikaden.

Denn vor zwei Jahren wurde bereits der Abbau von gut 1.200 Mitarbeiter bis 2020 bei der Sparte Power & Gas beschlossen. „Obwohl dieses Programm noch nicht einmal völlig umgesetzt ist, will der Vorstand jetzt mit doppelter Härte zuschlagen. Das ist inakzeptabel“, sagt Hagen Reimer von der IG-Metall in Bayern. Bei den Gewerkschaftern im Süden gilt Siemens-Chef Kaeser mittlerweile als der „größte Jobkiller, der derzeit in Deutschland unterwegs ist“.

Kürzungen könnten moderater ausfallen


IG-Metall-Hauptkassierer Jürgen Kerner hatte im Gespräch mit dem Handelsblatt kritisiert, die Kürzungen würden auch in anderen Bereichen das Vertrauen in die Führung unterminieren. „Wenn die Sozialpartnerschaft hier nicht mehr hält, wachsen auch in anderen Sparten wie der Bahntechnik die Sorgen, dass Zusagen nicht eingehalten werden“. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung drohte er sogar mit Streiks:  „Sollte der Vorstand bei seinen Plänen bleiben, werden wir mit den uns als Gewerkschaft zur Verfügung stehenden Mitteln weitermachen", sagte er. „Dann schließen wir auch einen Arbeitskampf, also Streiks, als letztes Mittel nicht aus.“

Was die IG-Metall besonders pikiert: Obwohl die Ergebnisse zurückgehen, erzielte Siemens in seiner Kraftwerkssparte zuletzt noch immer eine Umsatzrendite von gut acht Prozent. Gewinne und trotzdem Arbeitsplatzabbau – diese Konstellation birgt Zündstoff. Am Mittwoch und Donnerstag dürfte es deswegen wieder heiß hergehen. Da treffen sich die Betriebsräte von Siemens zu Ihrer alljährlichen Versammlung in Berlin. Etwa 600 Arbeitnehmervertreter werden erwartet. Am Donnerstag stößt auch Siemens-Personalchefin Janina Kugel dazu und wird die Kürzungspläne verteidigen müssen.

Normalerweise stehen bei der Veranstaltung Themen wie der Sozialbericht im Mittelpunkt. Doch diesmal wird der Stellenabbau in der Kraftwerkssparte das alles dominierende Thema sein. „Das wird ziemlich lebendig werden“, heißt es im Umfeld der Teilnehmer. Zudem ist am Rande der Betriebsräte-Versammlung eine Kundgebung geplant. Die IG-Metall rechnet mit etwa 2.500 Teilnehmern.

Siemens will mit den Arbeitnehmern so schnell wie möglich in Verhandlungen über die Einschnitte eintreten. Doch die haben keine Eile. Es gebe derzeit nicht einmal eine Verhandlungsbasis, heißt es bei der IG-Metall. Grundlage dafür wäre, dass das Siemens Management die Radikalität der angekündigten Maßnahmen abmildert, also auf die Schließung von ganzen Standorten und betriebsbedingte Kündigungen verzichtet. Schließlich hatte Siemens 2010 eigentlich eine unbefristete Standort- und Beschäftigungsgarantie ausgesprochen. Der Konzern will nun aber Ausnahmeregelungen nutzen.

„Mehrere Standorte zu schließen und betriebsbedingte Kündigungen in den Raum zu stellen, ist indiskutabel“, erklärte Hagen Reimer von der IG-Metall. Und weiter: „Herr Kaeser muss das Thema nun zur Chefsache machen und auf uns zugehen.“ Doch der Siemens-Chef überlässt die Verkündung von schlechten Nachrichten und die zähen Verhandlungen mit den Arbeitnehmern vorerst Personalchefin Kugel.

In Branchenkreisen hält man es für möglich, dass die Kürzungen nach den Detailverhandlungen etwas moderater ausfallen könnten, als bislang verkündet. Das war in vergleichbaren Fällen meist der Fall. Womöglich wird sich dann auch noch Kaeser direkt in die Verhandlungen einschalten.

Wie groß die Unruhe bei Siemens derzeit ist, zeigt sich gut an Standorten, die gar nicht direkt von den Kürzungsplänen betroffen sind. Bei einer Betriebsversammlung in der Niederlassung München zeigten die Beschäftigten dem Vorstand zuletzt symbolisch die rote Karte. Man habe den Eindruck, dass Siemens vor allem in den USA zukaufe und investiere während in der Heimat Arbeitsplatz um Arbeitsplatz abgebaut werde, klagte der Betriebsratsvorsitzende Günter Prietz. „Man hat das Gefühl, der Vorstand hat sich den Spruch von US-Präsident Trump zu eigen gemacht ‚America first‘.“

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