Streik im Güterverkehr "Was bei der Bahn passiert, ist Gift für Deutschland"

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Stahlkochern drohen teure Schäden

Was in der Automobil- und Chemiebranche zu ärgerlichen und kostspieligen Produktionsausfällen führt, kann bei den Stahlunternehmen schnell extrem teuer werden. Die Hochöfen benötigen einen konstanten Nachschub an Erz, Koks und Schrott. Anders als Produktionsroboter können Hochöfen nicht einfach abgeschaltet werden, ohne das Material und den Brennstoff konnte der Hochofen kaputt gehen. Sobald das Feuer brennt, darf es rund 20 Jahre lang nicht erlöschen – alles andere würde Millionen verschlingen.

Über die Hälfte der Transportmengen bei der Anlieferung der Rohstoffe und dem Abtransport der Fertigprodukte werden in der Stahlbranche über die Bahn abgewickelt. Das sind rund 65 Millionen Tonnen pro Jahr - oder 200.000 Tonnen am Tag.

„Ein Fünf-Tage-Streik im Schienengüterverkehr wäre von den Stahlunternehmen nicht aufzufangen“, sagt die Sprecherin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Beate Brüninghaus. „Ein kurzfristiges Ausweichen auf andere Verkehrsträger ist nur sehr eingeschränkt möglich. Daher geben mögliche Streiks auf der Schiene – auch vor dem Hintergrund einer anziehenden Stahlkonjunktur – Anlass zu größter Sorge.“

Das sind die Bahngewerkschaften GDL und EVG

Selbst ohne teure Schäden an Hochöfen schätzen Fachleute die Kosten für den Streik auf rund 50 Millionen Euro pro Tag. Andere Experten gehen jedoch von einer nicht ganz so hohen Schadenssumme aus. „Diese Zahl ist vermutlich politisch und nach meiner Einschätzung hoch gegriffen“, sagt Logistik-Professor Kille. „Der Umsatz im Schienengüterverkehr liegt bei etwa 15 Millionen Euro pro Tag. Fahren nur ein Drittel der Züge, entgehen der Bahn rund zehn Millionen Euro pro Tag. Die indirekten Effekte auf die Wirtschaft sind deutlich schwerer zu beziffern.“

Frage der Verhältnismäßigkeit

Dazu kommt, dass nicht alle Regionen gleich stark betroffen sind. Der Streik auf der Schiene wirkt sich auf große Unternehmen in Ballungsräumen stärker aus als auf Firmen auf dem Land. „Der Güterverkehr auf der Schiene spielt sich inzwischen größtenteils zwischen großen Knotenpunkten ab, in ländlichen Regionen ist es schon länger nicht mehr profitabel“, sagt Kille.

Je nach Planung der Unternehmen könnten die Lieferausfälle innerhalb weniger Tage bis einer Woche aufgeholt werden. Das mag zunächst wenig dramatisch klingen, kann aber schnell Millionen kosten.

„Weselsky verliert jedes Maß“

Für VDA-Präsident Wissmann stellt sich bei der Länge des Streiks die Frage der Verhältnismäßigkeit. „Es drängt sich zunehmend der Eindruck auf, dass es der GDL nicht in erster Linie um die Anliegen der Lokführer, sondern um gewerkschaftliche Eigeninteressen geht“, sagt Wissmann. „Man kann nur hoffen, dass das geplante Gesetz zur Tarifeinheit solchen Auswüchsen Einhalt gebietet.“

Auch die Kritik aus der Politik wird zunehmend lauter – am Vorgehen der GDL und ihres Vorsitzenden. „Claus Weselsky verliert gerade jedes Maß“, sagte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi zu „Spiegel Online“. Die Politikerin forderte Weselsky auf, seine Streikpläne zurückzuziehen. „Mit diesem abermaligen Ausstand schadet die GDL allen Gewerkschaften, sie beschädigt die Solidarität innerhalb der Bahn-Belegschaft, und sie verärgert Hunderttausende von Bahnkunden, denen jetzt Chaostage bevorstehen.“

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) warnte davor, die öffentliche Akzeptanz für den neuen Bahnstreik über Gebühr zu strapazieren. Der „Bild“-Zeitung sagte Dobrindt, Streik sei zwar ein elementarer Bestandteil der Tarifautonomie. Doch sollten die Tarifparteien „mit diesem hohen Gut sehr verantwortungsvoll umgehen“. CDU-Generalsekretär Peter Tauber betonte: „Die Dauer des Streiks allein lässt jedes Maß vermissen.“

Mit Material von Reuters

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