Stromnetz-Ausbau Unternehmen können Investitionen kaum stemmen

Das Betreiben der deutschen Stromnetze ist an sich ein lukratives Geschäft. Aber die immensem Investitionen, die jetzt anstehen, dürften die Unternehmen überfordern. Die Hintergründe des Dilemmas.

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Die alten Netze schaffen die Energiewende nicht. Quelle: dpa

Manchmal müssen Unternehmen zu ihrem Glück gezwungen werden. Als die damalige EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes im Jahr 2006 die Energiebranche mit Plänen für eine Entflechtung der großen Energiekonzerne konfrontierte, empfand das der damalige Eon-Chef Wulf Bernotat als Kampfansage.

Um für mehr Wettbewerb zu sorgen, wollte Kroes die großen Verbundkonzerne, die bislang alles von der Stromproduktion bis zum Vertrieb beherrschten, zwingen, ihre Höchstspannungsnetze abzugeben. Mit diesen Überlandleitungen wird der Strom überregional transportiert, ehe er über kleinere Verteilnetze zum Verbraucher gelangt.

In Deutschland wurde dieses 35.000 Kilometer lange Höchstspannungsnetz damals noch von den vier Energieriesen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall Europe kontrolliert, die jeweils für eine Region zuständig waren. Nur mit einem Kartellverfahren konnte Kroes Bernotat zum Einlenken zwingen. Anfang 2010 übernahm der niederländische Netzbetreiber Tennet für rund eine Milliarde Euro die Leitungen. Bernotats Nachfolger Johannes Teyssen allerdings dürfte angesichts der gewaltigen Herausforderungen durch die Energiewende über die Transaktion inzwischen froh sein.

Das bittere Fazit aus einem Jahr Energiewende
Kühltürme des Braunkohlekraftwerkes der Vattenfall AG im brandenburgischen Jänschwalde (Spree-Neiße) Quelle: dpa
Freileitungen verlaufen in der Nähe eines Umspannwerkes bei Schwerin über Felder Quelle: dpa
Die Flagge Österreichs weht auf einem Hausdach Quelle: dpa
Ein Strommast steht neben Windkraftanlagen Quelle: AP
Windräder des Windpark BARD Offshore 1 in der Nordsee Quelle: dpa
Eine Photovoltaikanlage der Solartechnikfirma SMA Quelle: dpa
Euroscheine stecken in einem Stromverteile Quelle: dpa

Genau wie die Konkurrenten bei Vattenfall und RWE, die ebenfalls ihre Netze verkauften. Vattenfalls Tochter 50-Hertz hat der belgische Netzbetrieber Elia gemeinsam mit einem australischen Infrastrukturfonds übernommen. RWE hält an der Netztochter Amprion nur noch 25 Prozent, der Rest gehört einem Konsortium von Finanzinvestoren unter Führung der Commerzbank. Nur EnBW hat sich den Unbundling-Wünschen bislang widersetzt. Die neuen Eigentümer wurden durch ein eigentlich verlässliches Geschäft angelockt.

Für die Nutzung der Netze dürfen sie von den Energiehändlern Gebühren verlangen, die diese wiederum auf die Verbraucher umlegen. Diese werden zwar von der Bundesnetzagentur gedeckelt. Für neue Investitionen dürfen die Netzbetreiber aber mit einer Verzinsung von über neun Prozent kalkulieren - das ist gemessen an Kapitalanlagen eigentlich ordentlich.

Kuriose Folgen der Energiewende
Schwierige Löschung von Windrad-BrändenDie schmalen, hohen Windmasten sind bei einem Brand kaum zu löschen. Deshalb lassen Feuerwehrleute sie meist kontrolliert ausbrennen – wie im April in Neukirchen bei Heiligenhafen (Schleswig-Holstein). Quelle: dpa
Tiefflughöhe steigtDie Bundeswehr hat die Höhe bei nächtlichen Tiefflügen angepasst. Wegen Windradmasten kann die Tiefflughöhe bei Bedarf um 100 Meter angehoben werden. Der Bundesverband Windenergie (BWE) begrüßt, dass dadurch Bauhöhen von bis zu 220 Meter realisiert werden können. Die Höhe des derzeit höchsten Windradtyps liegt bei etwa 200 Metern. Quelle: dpa
Dieselverbrauch durch WindräderViele neue Windkraftanlagen entstehen – ohne ans Netz angeschlossen zu sein. Solange der Netzausbau hinterherhinkt, erzeugen die Windräder keine Energie, sondern verbrauchen welche. Um die sensible Technik am Laufen zu halten, müssen Windräder bis zu ihrem Netzanschluss mit Diesel betrieben werden. Das plant etwa RWE bei seinem im noch im Bau befindlichen Offshore-Windpark „Nordsee Ost“. Quelle: AP
Stromschläge für FeuerwehrleuteSolarzellen lassen sich meist nicht komplett ausschalten. Solange Licht auf sie fällt, produzieren sie auch Strom. Bei einem Brand droht Feuerwehrleuten ein Stromschlag, wenn sie ihren Wasserstrahl auf beschädigte Solarzellen oder Kabel halten. Diese Gefahr droht nicht, wenn die Feuerwehrleute aus sicherer Entfernung den Wasserstrahl auf ein Haus richten – aber, wenn sie dabei ins Haus oder aufs Dach gehen. Stromschlagsgefahr gibt es ebenso für Feuerwehrleute, wenn sie nach einem Straßenunfall Personen aus einem beschädigten Elektroauto bergen müssen. Quelle: AP
Störende SchattenWindräder werfen Schatten – manche Anwohner sehen darin eine „unzumutbare optische Bedrängung“, wie es das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ausdrückte. Es gab einer Klage recht, die gegen ein Windrad in Bochum gerichtet war. Im Februar wies das Bundesverwaltungsgericht die Revision des Investors ab. Das Windrad wird nun gesprengt. Quelle: dpa
Gestörte NavigationAuf hoher See wird es voll. Windparks steigern nicht nur das Kollisionsrisiko mit Schiffen. Die Rotoren stören auch das Radarsystem. Der Deutsche Nautische Verein schlägt daher vor, dass Windparks nur genehmigt werden, wenn die Betreiber auch neue Radaranlagen an den Masten installieren. Quelle: dapd
Windrad-LärmWindräder drehen sich nicht nur, dabei machen sie auch Geräusche. Je stärker der Wind, desto lauter das Windrad – und das wollen viele Bürgerinitiativen nicht hinnehmen. Ein Beschwerdeführer aus dem westfälischen Warendorf erreichte im September 2011 vorm Verwaltungsgericht Münster zumindest, dass eine Windkraftanlage nachts zwischen 22 und 6 Uhr abgeschaltet wird. Quelle: dpa

Mit der Energiewende kommt jetzt aber eine solch gewaltiger Investitionsbedarf auf die Unternehmen zu, dass sie Probleme haben, die neuen Leitungen am Kapitalmarkt vorzufinanzieren. Besonders laut klagt der Käufer des Eon-Netzes: "Tennet in Deutschland hat einen Wert von einer Milliarde Euro. Wir haben aktuell Investitionsentscheidungen über 5,5 Milliarden getroffen. Es werden voraussichtlich mindestens weitere 15 Milliarden Euro auf uns zukommen. Dieser riesige Kapitalbedarf ist kaum mehr zu bewältigen", sagte Lex Hartman, Mitglied der Geschäftsführung, jüngst.

Für Tennet ist die Aufgabe besonders schwierig: Im Netzgebiet liegt die Nordseeküste. Das Unternehmen ist deshalb für den Anschluss der dort geplanten Offshore-Windparks zuständig, und es stößt technisch und finanziell an die Grenzen. Der RWE-Konzern klagt schon, weil sich der Anschluss seines ersten Offshore-Windparks in der Nordsee verzögert. Ähnlich schwierig ist die Situation für 50-Hertz, dessen Netz an die Ostsee grenzt.

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